Foto: Manfred Wegener

Schmiergeldaffäre und Spendensumpf

Beim Bau der Kölner MVA wurden Bestechungsgelder gezahlt. Die Kölner SPD ist in einen Spendenskandal verwickelt. Wie beides zusammenhängt, ist umstritten.

Köln, den 1. März 2002. Freitagabend bei Bicistes. Manfred Biciste, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Kölner Rat, feiert seinen 57. Geburtstag. Die Kölner Sozialdemokratie feiert mit, und sie feiert ausgiebig. Auch Spitzenfunktionär Norbert Rüther, der dem Alkohol bereits ausgiebigst zugesprochen hat, als er am späten Abend angesprochen wird. »Kommt da was auf uns zu, Norbert?« »Ja.« »Trifft es uns hart?« »Ja.« »Werden Köpfe rollen?« »Ja.« So weit die Überlieferung.
Wenige Tage zuvor waren Sigfrid Michelfelder, ehemaliger Manager des Gummersbacher Anlagenbauers L+C Steinmüller, und Ulrich Eisermann, bis Mai 2000 Geschäftsführer der Kölner Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft (AVG), verhaftet worden. Eine bundesweite Razzia hatte Vermutungen erhärtet, dass die beiden Hauptbeteiligte einer Bestechungsaffäre rund um die Kölner Müllverbrennungsanlage sind. Steinmüller war Generalunternehmer beim Bau der MVA, die AVG Auftraggeber und Betreiber. Mehr als 29 Millionen Mark sollen von Steinmüller an Schweizer Briefkastenfirmen überwiesen und von dort aus weiter verteilt worden sein. An Manfred Bicistes Geburtstag sagte dann auf eigenen Wunsch Hellmut Trienekens, Chef des an der AVG beteiligten Entsorgungsunternehmens Trienekens, vor der Kölner Staatsanwaltschaft aus.
Norbert Rüther ruft einen Tag nach der Party den Kölner Parteivorsitzenden Jochen Ott zu einem klärenden Gespräch zu sich. Am Montagmorgen lässt er über seine Anwälte vermelden, er lege alle Parteiämter und politischen Mandate nieder und werde bei der Staatsanwaltschaft »zur Spendenpraxis der SPD Köln« und »zum Komplex Müllverbrennungsanlage« aussagen. Auch Rüther hatte Geld genommen, zur Finanzierung der politischen Arbeit, wie er versichert. Mit von der Partie, vermutlich aber in abnehmendem Maß eingeweiht, der langjährige SPD-Schatzmeister Manfred Biciste und eine noch unbekannte Zahl von Parteimitgliedern. Rüther hat zwischen 1994 und 1999 mindestens 830.000 Mark für die Parteienfinanzierung eingeworben und um die Herkunft des Geldes zu verschleiern, mussten fingierte Spendenquittungen über maximal 5.000 Mark gegengezeichnet werden. Zumindest ein Teil der »Spenden« bestand aus »Danke-schön-Leistungen« von Firmen, die städtische Aufträge erhalten hatten, darunter jeweils mindestens 150.000 Mark von Steinmüller und Trienekens.

Flügelübergreifender Konsens

Norbert Rüther ist einer der führenden Köpfe des rechten Parteiflügels, Biciste wird dem linken Flügel zugerechnet. Auch andere SPD-Spitzenpolitiker, rechts wie links, wussten von der illegalen Parteienfinanzierung. Die fingierten Spendenquittungen wurden ebenfalls flügelübergreifend gegengezeichnet. Das erklärt recht plausibel, warum die SPD nach dem Aktien-Skandal um ihren OB-Kandidaten Klaus Heugel 1999 nicht gründlicher aufgeräumt hat. Heugel wurde aussortiert, nicht aber die, die hinter ihm standen – zuallererst Norbert Rüther. Selbst die SPD-Linke um den damaligen Parteivorsitzenden Kurt Uhlenbruch, der bei der OB-Kandidatenaufstellung gegen Heugel unterlegen war, ging recht handzahm mit den innerparteilichen Gegnern um. Damals wie heute wird versucht die Affäre als das »Fehlverhalten von Einzelnen« zu deuten, so der Vizevorsitzende der SPD-Ratsfraktion Heinz Lüttgen neulich im Rat. Aber handelt es sich wirklich um individuelles Fehlverhalten, oder um einen Fehler im System?
Die Müllverbrennung ist ein strategisches Instrument sozialdemokratischer Industriepolitik in NRW, ersonnen in den 80ern, der Zeit einer abflauenden Konjunktur für Kraftwerksbauten und brisant steigender Abfallmengen. Um dem Entsorgungsnotstand zu begegnen, entschied sich die Landesregierung die thermische Entsorgung einzuführen – zum Nachteil alternativer Verfahren wie der umweltfreundlicheren biologisch-mechanischen Abfallbehandlung. Die Müllverbrennung hatte aus Sicht der Standortpolitiker einen entscheidenden Vorteil, mit ihr war es möglich den nordrhein-westfälischen Anlagenbauern wie Babcock, ABB-Noell oder Steinmüller Ersatzmärkte für den Kraftwerksbau zu schaffen – und damit auch Arbeitsplätze und Wählerstimmen zu sichern.
Mit der Einführung der Müllverbrennung eng verbunden ist das Modell der Public-Private-Partnership (PPP), die Kooperation von öffentlicher Hand und Wirtschaft in gemeinsamen Un-ternehmen. Dort, wo neue Müllverbrennungsanlagen entstehen, werden sie von PPPs gebaut und betrieben – meist gemeinsam mit Entsorgern wie Trienekens, Rethmann oder Edelhoff. Anfang der 90er Jahre steigen die Konzerne RWE und VEW (seit 2000 fusioniert) bei den bis dahin mittelständischen Unternehmen ein: ein Deponieverbot für Siedlungsabfälle ab 2005 zeichnet sich ab. Die Privatwirtschaft erhält einen exklusiven Zugang zu einem durch die gestiegenen Anforderungen an die Abfallbehandlung milliardenschweren Markt. »Für uns gibt es nur zwei Wachstumsmärkte: das internationale Geschäft und die kommunale Abfallwirtschaft«, erklärt ein Entsorgungsmanager im vertraulichen Gespräch. Für die Unternehmen hat sich die Politik gelohnt: Die RWE Umwelt AG ist die Nummer Eins der deutschen Abfallwirtschaft, ihre Tochter Trienekens AG die Nummer Eins in NRW; Babcock Borsig hat unter dem Dach seiner Tochter Babcock Borsig Power Environment fünf Anlagenbauer zusammengeschlossen, darunter auch L+C Steinmüller, und ist jetzt westeuropäischer Marktführer im Segment Müllverbrennungsanlagen.

Kampf für die Müllverbrennung

Die MVA in Köln ist die letzte, die in NRW gebaut wurde – eine von insgesamt 16 Anlagen. Eigentlich waren 22 geplant. Doch nach der Landtagswahl 1995 musste die SPD den Grünen als neuem Koalitionspartner Zugeständnisse machen. Überall dort, wo die Kommunalpolitik mitspielte, wurde auf weitere MVAs verzichtet. In Köln aber gab es vehementen Widerstand. Die Protagonisten: die SPD-Fraktion und Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier (SPD), der sogar ein vom Rat für zulässig erklärtes Bürgerbegehren anfechten ließ. Doch nicht nur Kölner Kommunalpolitiker beharrten auf dem Bau der MVA. Der damalige Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes, zugleich einflussreiches Mitglied des SPD-Landesvorstands, zählte zu den lautstärksten Befürwortern. Und auch in der Landespolitik fanden die Kölner weiterhin Unterstützung, durch den ehemaligen Umweltminister und damaligen SPD-Fraktionschef Klaus Matthiesen beispielsweise. Der mittlerweile verstorbene Matthiesen war einer der Initiatoren des Müllverbrennungsdeals in NRW und wechselte 1998 zur Kölner Entsorgungsholding Interseroh, an der fast die komplette Abfallbranche beteiligt ist.
Für viele liegt die Vermutung nahe, dass es zwischen den politischen Manieren und den Bestechungen einen Zusammenhang gibt, für die Bürgerinitiative KIMM und die Kölner Grünen etwa: »Gegner der Müllverbrennung müssen nun erkennen: Sie haben nie eine Chance gehabt.« Doch wie weit die Wirkung des Schmiergeldes tatsächlich reichte, ist längst noch nicht geklärt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in getrennten Verfahren, einmal wegen der Bestechungen und zum anderen wegen der fingierten Spenden: Es sei nicht davon auszugehen, dass die Zahlungen vor Auftragsvergabe von den Firmen versprochen worden seien, heißt es. Nur wenige Politiker und Verwaltungsbeamte zählen bislang zum Kreis der Verdächtigen. Norbert Rüther hat ausgesagt, die Unterlagen des Landtagsabgeordneten Hardy Fuß (SPD) wurden beschlagnahmt, Fuß ist auch Geschäftsführer der Trienekens-Tochter ITG und für die Abwicklung der MVA-Ausschreibung verantwortlich. Klaus Heugel gilt als Beteiligter in der Spendenaffäre. Hinweise auf Franz-Josef Antwerpes oder Lothar Ruschmeier geben die Ermittlungen nicht her.
Bedurfte es also überhaupt der Schmiergeldzahlungen, um den MVA-Deal durchzuziehen? Die Beziehungsnetzwerke, die RWE, Trienekens und andere Großunternehmen ebenfalls, unterhalten, beteiligen Sozial- und Christdemokraten gleichermaßen. Dankbarkeitsstrukturen werden auch durch lukrative Jobs und Spendenzahlungen aufrecht erhalten. Eine Partnerschaft, die sich bewährt, behält man gerne bei. In Neuss, Mülheim oder Oberhausen ist das nichts anders als in Köln. Deshalb lässt die Landesregierung nun – auf Initiative der Grünen – sämtliche Genehmigungsverfahren für MVAs in den 90ern untersuchen.

Geringe Aufklärungsbereitschaft

Im Kölner Abfallgeschäft spielte Trienekens von Beginn an mit: von den Vorbereitungen zur Gründung der gemischtwirtschaftlichen Abfallwirtschaftgesellschaft (AVG) bis hin zur weit gehenden Beteiligung an den Abfallwirtschaftsbetrieben (AWB) im Sommer 2000. Konkurrenten hatten nie auch nur den Hauch einer Chance in diese Phalanx einzudringen. Das System der Public-Private-Partnership bietet dafür den geeigneten Rahmen. Aus den Parlamenten in geschlossene Zirkel verlagerte Entscheidungen sind kaum nachvollziehbar oder kontrollierbar. Die Nähe zwischen Wirtschaft, Politik und Verwaltung sorgt zudem für gemeinsame Interessen, die sich in einer minimalen Bereitschaft zur Aufklärung zeigen. Das belegt auch der jüngste Kölner Ratsbeschluss.
Ein Dringlichkeitsantrag von Bündnis 90/Die Grünen lag vor, bei dessen vollständiger Annahme die Politik in der Korruptionsermittlung zur treibenden Kraft geworden wäre: der Rat hätte seinen Vertreter im Aufsichtsgremium des Stadtwerkekonzerns angewiesen auf Sonderprüfungen bei AWB und AVG zu drängen; das Rechnungsprüfungsamt sollte sich an Sonderprüfungen beteiligen und die Entstehungsgeschichte der Abfall-PPP rekonstruieren; und die Verwaltung wäre beauftragt worden zu klären, ob die Verträge mit Trienekens möglicherweise kündbar sind. Die zur Läuterung neigende SPD und die PDS hätten den Antrag mitgetragen. Doch verabschiedet wurde lediglich der Auftrag an das Rechnungsprüfungsamt. Die beiden weiter gehenden Aufklärungsversuche wurden von der CDU/FDP-Mehrheit »zur rechtlichen Klärung« in die Ausschüsse verwiesen.