Zum Stand der kölner Kulturpolitik

Der Einsturz des Historischen Archivs am 3. März hat die Stadt aufgeschreckt. Und eine neue Köln-Debatte ausgelöst: Wahrgenommen wurde die ­Katastrophe von vielen als »symptomatisch« für die Kulturpolitik der letzten Jahre. Jetzt hat sich eine grosse Initiative konstituiert, die sich für die Kölner Kultur einsetzt und in dieser StadtRevue-Ausgabe zu einem Neubeginn aufruft.

 

Melanie Weidemüller sondiert die Kölner Lage und hat sich unerschrocken sogar ein weiteres Mal in den städtischen Kulturausschuss begeben. Hans-Christoph Zimmermann hat Gerhart Baum gefragt, warum er die Initiative unterstützt.

 

Dem Künstler Dan Perjovschi danken wir für seinen zeichnerischen Kommentar und das Covermotiv!

 

 

»Alle Menschen sind eigentlich klug.
Die einen vorher,
die anderen hinterher.«
Karl Valentin


Kölner Rathaus, Raum 119. »Es ist acht Minuten nach 16 Uhr«, bemerkt Herr von Rautenstrauch hörbar vorwurfsvoll in den schwatzenden Sitzungs­saal hinein. Der weißhaarige Nachfahre der Stifter­familie des Kölner Völker­kundemuseums, ansonsten vor allem bekannt für längere Redebeiträge in eigener Sache, versucht auch heute vergeblich ein bisschen preußischen Geist in die Runde zu bringen. Begrüßungsrituale, Last-Minute-Briefings, Aktenübergaben. Bis der Vorsitzende Lothar Lemper, zuständig für die Moderation, den ganzjährigen Karnevalsfaktor in dieser Versammlung sowie gelegentliche Wutausbrüche, sein Mikrofon einschaltet und die Sitzung des Kulturausschusses am 28. April eröffnet. Für Presse und Besucher gibt es wie immer zu wenig Stühle, aber heute müssen wir sowieso erstmal alle ­wieder stehen: Bitte erheben Sie sich zur Vereidigung eines ­neuen Mitglieds.

Ahnt der normale Kölner eigentlich, wie es zugeht im Kulturausschuss seiner Stadt? Hier treffen sich Kulturverwaltung, die Kulturabgesandten der Politik und einige so genannte »sachkundige Einwohner« und »sachverständige Bürger«, um die kulturellen Belange Kölns zu beraten und Ratsbeschlüsse vorzubereiten. Geballte Kompetenz also, ein Brainpool der Kölner Kultur mit maßgeblichem Einfluss? Schön wenn es so wäre. Wenn Kultur in Köln »Chefsache« wird, dann bedeutete das in den letzten Jahren meistens, dass Fritz Schramma gerade wieder kultur­politischen Schaden anrichtet. Bevorzugt am Kulturausschuss vorbei und unter Missachtung der demokratischen Spielregeln. Der Kulturausschuss, der ihn stoppen und dem Rat die Richtung vorgeben müsste, ist selbst Teil der kulturellen Misere, in die sich Köln hineinmanövriert hat. Und aus der es doch so gern wieder hinaus will, um eine richtig tolle Kulturstadt mit Dom und Kirchen und Geschichte und Musik und Freier Szene und den spitzenmäßigsten Leuchttürmen im ganzen Land zu sein. Der Kulturausschuss will das natürlich ganz besonders. Hier sitzen durchaus einige informierte und kämpferische Köpfe, aber auch sie verzweifeln regelmäßig an dem Widerspruch, der so schwer zu begreifen ist: Dass alle städtischen Vertreter immer und überall einhellig die Bedeutung der Kultur für diese Stadt betonen, quer durch alle politischen Parteien, quer durch die Stadtverwaltung, vom Kultur- über den Wirtschaftsdezernenten bis zum selbsternannten Kulturpolitiker Fritz Schramma – und dass die Dinge dennoch immer wieder schief laufen. Eine Erklärung wäre: Der Kulturausschuss ist Teil des Systems Köln. Sogar der bessere, aber er kommt nicht an gegen das System. Er ist so etwas wie der Hort des guten Willens, das schlechte Gewissen des Rates – während woanders dann doch ganz andere Dinge ausbaldowert werden. Nicht zuletzt, wenn es ums Geld geht: Kultur zählt zu den so genannten »freiwilligen Leistungen« einer Kommune. Wenn es woanders knapp wird, klaun andere Ressorts gern beim Kulturetat.

Auch wir am Pressetisch sind aufgestanden.
Unbequem, ich kämpfe mit dem unsinnigen Reflex die Hände zu falten, während der Vorsitzende routiniert nuschelnd in Richtung SPD vom Blatt abliest: »Ich verpflichte Sie, Ihre Aufgabe nach bestem Wissen und Können wahrzunehmen, das Grundgesetz, die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und die Gesetze zu beachten und Ihre Pflichten zum Wohle der Stadt Köln zu erfüllen.« Schön eigentlich, denke ich, diese Verpflichtung auf das Gemeinwohl der Stadtgesellschaft, schön, wenn es so wäre. Acht Wochen, der Einsturz des Stadtarchivs sitzt mir noch in den Knochen. Die angesprochene Anke Brunn willigt fröhlich ein: »Das will ich sehr gern, Herr Vorsitzender«. Damit ist die SPD-Landespolitikerin als neues Mitglied vereidigt, als Nachfolgerin von Georg Bögner, der Anfang des Jahres über seinen faulen Doktortitel stolperte. Wir dürfen wieder sitzen. Wir Zuhörer beengt in zweiter Reihe, die circa dreißig Ausschussmitglieder rund um das große Tisch-Karree hinter Namensschildchen, Papier­sta­peln, Wasserflaschen und auf­getürm­ten Buchgeschenken. Weiter zur Tagesord­nung. Aber kann man ein­fach im­mer zur Tagesordnung übergehen?

Wenige Tage nach dem Einsturz des Historischen Archivs gab es den ersten Offenen Protestbrief. Unterzeichnet von 30 Protagonisten des Kulturbetriebs. Sie formulier­ten ihre Bestürzung und forderten eine lückenlose Aufklärung der Um­stän­de, die zum Einsturz geführt haben. So wäre es wohl auch in jeder anderen Stadt geschehen, aber in Köln sitzt das Misstrauen tiefer. »Unsere Empörung ist aber auch darauf zu­rück zu führen, dass der Einsturz des Gebäudes symptomatisch ist für die Art und Weise, wie die Stadt Köln in den letzten Jahren mit ihrer vergangenen und gegenwärtigen Geschichte und Kultur umgegangen ist.« Auch das zweite Kölner Loch ist ein Sym­ptom, eine Fortsetzung. Viele erinnern sich nur allzu gut: An das Jahr 2002, als gegen den dezidierten Protest Kulturschaffender die geschichtsträchtige Kölner Kunsthalle abgerissen wurde, ohne dass es eine stimmige Planung für den Neubau gab – das erste »Kölner Loch« klaffte an der Cäcilienstraße. An die Diskussion um den denkmalgeschützen Opernbau von Wilhelm Riphahn, der knapp der Abrissbirne entkam. All das hat sich ins Gedächtnis der Kölner Kulturszene eingeschrieben. Deren aktu­elle Gefühlslage bringt ein anderer Offener Brief auf den Punkt und ruft zur Demonstration vor dem Rathaus auf: »Es reicht! Diese Stadt braucht einen grundlegenden Wandel.« Und dann sehr präzise: »Die Art der Entscheidungsfindung, das Selbst­verständnis von Rat und Verwaltung, die Nachvollziehbarkeit und Kontrolle politischer Entscheidungen müssen von einem neuen Geist des Verantwortungsbewusstseins getragen werden.« Das System Köln. War es naiv zu erwarten, man würde diesmal im Kulturausschuss etwas spüren von diesem neuen Geist, wenigsten einen Hauch?

TOP 4.1 ist kein Zankapfel, Entspannung. Wäh­rend Generalmusikdirektor Markus Stenz seinen neuen Spielplan vorstellt, krame ich im Gedächtnis nach Anke Brunn. Hat sie sich jemals in Sachen Kultur hervorgetan? Sie beerbt Bögner auch komissarisch als kulturpolitische Sprecherin der SPD. Mitglied des Landtages NRW, Vorsitzende des Ausschusses Haushalt und Finanzen, raunt mein Sitznachbar. Verspricht man sich von ihr Lobbyarbeit für Köln in Düsseldorf, wo das Landesgeld verteilt wird? Zumindest wird sie mit harten Zah­len umgehen können, nicht schlecht, wenn es bei den nächsten Koalitions- oder Haushaltsverhand­lungen um den Kulturetat geht. Inzwischen wird Herr Stenz ausführlich gelobt und beklatscht, zumindest die Kölner Musik ist auf Erfolgskurs, ja, erfreulich ist das, und man hat wenig zum freuen heute, gleich geht es um das Historische Archiv, also jetzt noch mal richtig träumen, ein Gürzenich-Orchester auf Welt­niveau, schon fallen die unvermeidlichen Vokabeln des Städtewettbewerbs, das Potenzial ausbauen, Leuchtturmprojekt, Allein­stellungs­merk­mal, Profil, Spitzenförderung, und die Idee mit dem »Staatsorchester NRW«, Landesförderung, grandios wäre das doch, schließlich kosten Leuchttürme und der General­musik­direktor will keine Luftschlösser, sondern Geld: 25 Orchester in Deutschland zahlen ihren Musikern bessere Gagen als Köln. Autsch. Stille.

(Lesen Sie den vollständigen Text und ein Interview zum Thema in der Printausgabe)