Sieg oder Tod

Kino im Guerillastil: Steven Soderbergh zeigt zweimal

zwei Stunden lang den Krieger

Ernesto »Che« Guevara

 

Nicht nur die kubanische Revolution hat mit den Jahren viel von ihrem Glanz verloren, sondern auch das Erbe des Befreiungskampfes. Niemand schwärmt für heutige Guerilleros, die radikal-religiöse Ziele verfolgen oder im Drogen- und Menschenhandel er­folgreichere Handlungsfelder se­hen als in der Politik. Da kann man sich trefflich streiten, ob eine epische Auseinandersetzung mit der revolutionären Ikone Ernesto Che Guevara überfällig oder gänz­lich aus der Zeit gefallen ist. Insbesondere, wenn sie sich wie in Steven Soderberghs zweiteiligem Film »Che« beinahe ausschließlich auf die minutiöse Rekonstruktion des bewaffneten Kampfes kon­zentriert.

In den beiden Teilen »Revolucion« und »Guerrilla« erzählt Soderbergh die großen Kriege Che Guevaras nach. Der erste führt ihn an der Seite Fidel Castros im Triumphzug nach Havanna, der zweite zeigt den gescheiterten Versuch, die kubanische Revolution nach Bolivien zu exportieren. Gemeinsam ergeben sie das Entweder/Oder von Guevaras Existenz. In »Revolucion« heißt es an entscheidender Stelle, für wahre Guerillakämpfer gibt es nur den Sieg oder den Tod.

Che vereint beides in seiner Biografie, weshalb Soderbergh sein Leben konsequent auf diesen Gegensatz zuspitzt. Die jeweiligen Gründe für Triumph und Scheitern sind dabei schnell zusammengefasst: Auf Kuba gelang es den Revolutionären die Bevölkerung für sich zu gewinnen und das wachsende Heer freiwilliger Kämpfer mit straffer Disziplin zu führen; in Bolivien war nichts davon der Fall, vor allem, weil es dort keinen Fidel Castro gab.
Das erste, was man von Che Guevara sieht, sind seine schweren Stiefel. Dann schwebt gekräuselter Zigarrenrauch durchs Bild, gefolgt vom berühmtesten Fusselbart der jüngeren Geschichte. Soderbergh präsentiert die Insignien des Revolutionärs im betont übertriebenen Dokumentarstil, mit wackliger Handkamera, grobkörnigem Schwarzweiß-Film und etlichen Unschärfen, so als wollte er sich über die Ausbeutung des Mythos Che mokieren. Dem millionenfach reproduzierten Konterfei setzt Soderbergh dann ein Heldenbild entgegen, das sich jeder Festlegung entzieht. Bei ihm stapft Ernesto Guevara als unermüdlicher und mehr oder weniger vom Himmel gefallener Guerillero durch den Dschungel, er ist ein wahrer Krieger, dem die von Soderbergh selbst geführte Kame­ra allenfalls für Augenblicke von der Seite weicht.

Lediglich zwei Mal entlässt er seine Titelfigur aus dem unmittelbaren Kriegsgeschehen: als Castro und Guevara sich in Mexico City kennen lernen und als Guevara als Vertreter Kubas zu den Vereinten Nationen nach New York reist. Beide Episoden finden sich in »Revolucion«, wo sie in mehrere kurze Szenen aufgeteilt die Monotonie des Guerillakampfes durch­brechen, aber nicht die Distanz, die Soderbergh selbst in der Hitze des Gefechts gegenüber seinem Helden wahrt. Im zweiten Teil »Guerrilla« fehlen auch diese Ausflüge, etliche Szenen sind wie Spiegelbilder inszeniert, die sich lediglich durch die ausgedörrte Hochlandschaft und das fahle Licht Boliviens vom kubanischen Feldzug unterscheiden.
Aus dem, was in »Che« fehlt, könnte man viele weitere Film-Epen stricken. Soderbergh enthält seinem Publikum die beiden weltberühmten Posen Guevaras vor: der Revolutionär mit dem Barett und der als Märtyrer aufgebahrte Tote. Der ekstatische Marsch nach Havanna endet auf halber Strecke mit einer Lektion in soldatischer Disziplin, in der Liebe bleibt Che abstinent und als kubanischer Realpolitiker tritt er ebenso wenig in Erscheinung wie als junger Mann vor seiner Bekehrung zum Revolutionär. Doch wenn sich Soderbergh weder für Ches Motive noch für seinen Charakter, seinen Nachruhm oder seine umstrittene historische Bedeutung interessiert, was hat ihn dann dazu veranlasst, über Monate hinweg seiner Spur zu folgen und diese so penibel nachzuzeichnen?

Bei Benicio Del Toro, dem Hauptdarsteller und Produzenten des Films, ist die Frage einfacher zu beantworten. Er legt eine bis in die letzte Geste eindrucksvolle Imitation des Originals hin und versucht, sein eigenes Charisma mit dem Guevaras abzugleichen. Das ist nicht allzu schwierig, denn beide gelten in ihrer Gefolg­schaft gemeinhin als ziemlich coole Typen. Bei Steven Soderbergh sehen die Motive wohl etwas anders aus: In der kubanischen Revolution, erklärt Che in »Revolucion« einem Journalisten, gab es immer wieder Augenblicke, in denen der Sieg nur gegen alle Wahrscheinlichkeit und alle Vernunft errun­gen werden konnte.

Auf einen ähnlichen Triumph hofft offenbar auch Soderbergh und nimmt dabei das Bonmot, ­einen Kriegsfilm zu drehen sei selbst ein kleiner Feld­zug, auf ­seine Weise beim Wort. Sein »Che« ist eine Heldenverehrung ohne menschlichen Helden, ein Film, der alle Erwartungen an ­das Unter­haltungskino unterläuft und das internationale Publikum zudem mit spanisch sprechenden Dar­stel­lern vor den Kopf stößt. Auch hinter der Kamera lautet die Losung Alles oder Nichts, wobei Soder­berghs »Krieg« reiner Selbst­zweck ist. Er will sich scheinbar selbst bewei­sen, dass aus einem in­teresselosen Blick automatisch große Kunst entsteht, und wenn das Publikum dabei mitzieht, um­so besser. Das ist Kino im Guerilla­stil, aber noch lange keine Revolution.

Che – Revolucion
(Che: Part One – The Argentine) ­
USA/SP 08, R: Steven Soderbergh,
D: Benicio Del Toro, Franka Potente,
Benjamin Bratt, 126 Min., Start: 11.6.
Köln-Premiere (OmU):
5.6., Radstadion Open Air, 21 Uhr.
Der zweite Teil »Che – Guerrilla«
startet am 23.7.