Kann denn Liebe Sünde sein?

Eine etwas andere Dreiecksgeschichte:

In »Stellet Licht« erzählt Carlos Reygadas betörend sinnlich

von verbotener Liebe unter Mennoniten

»Welche Frau soll ich lieben?« Unbeantwortet steht die verzweifelte Frage zwischen Vater und Sohn. Der Vater ist ratlos. Sein Sohn, ein verheirateter Mann und Vater von sechs Kindern, hat sich in eine andere Frau verliebt. »Das ist das Werk des Teufels«, sagt der Vater schließlich, denn er und sein Sohn sind Anhänger einer strengen Glaubensgemeinschaft, in der Liebesuntreue nicht nur als schwerer Verrat an der Ehe, sondern auch als Frevel an Gott gilt.

Die ewig leidvolle Geschichte eines Mannes zwischen zwei Frauen findet in Carlos Reygadas’ bildgewaltiger Erzählung »Stellet Licht« unter beinahe archetypi­schen Bedingungen statt. In einer Mennoniten-Gemeinde im Norden Mexikos, deren Mitglieder noch das Plautdietsch ihrer ostpreußischen Heimat sprechen, agieren die Beteiligten – von Laien­­schauspielern dargestellt – im engen Rahmens eines religiö­sen Regelsystems. Johan Voth (Cornelio Wall) und seine Frau Esther (Miriam Toews) folgen den Maximen von Weltabge­­
­wandt­heit, Gottesfurcht und Arbeit und führen ein harmonisches Familienleben mit bäuerlichen Tagesroutinen. Erst durch die Liebe zu Marianne (Maria Pankratz), die wie eine Naturgewalt über ihn hereinbricht und über Jahre andauert, gerät Johan an den Rand der Verzweiflung und treibt Esther an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.
Der mexikanische Regisseur Reygadas etablierte sich mit seinem kontemplativ-provokantem Erstlingsfilm »Japón« (2002) und dem spektakulären Sex- und Klassenkampf-Drama »Battle in Heaven« (2005) im internationalen Autorenkino als forcierter Stilist mit sicherer Hand für krass-realistische Details. Mit »Stellet Licht« (2007) legte er nunmehr seine dritte und bislang stimmigste Arbeit vor. Reygadas verzichtet beispielsweise weitgehend auf musikalische Verstärkung, um die Natur oder das Gefühl der Erhabenheit zu beschwören. An die Stelle reißerischer Aufdeckung tritt stille Beobachtung, und bei emotional aufreibenden oder intimen Momenten zieht sich die Kamera oft in weite Einstellungen zurück.

Auch das für Reygadas’ Filme typische Interesse für sakrale Ausdrucksformen in lebensweltlichen Zusammenhängen findet sich in »Stellet Licht« weniger ausgeprägt als es vorerst den Anschein haben mag. Zwar liegt Johan mit seiner verbotenen Liebe in Konflikt mit seiner Gottesfurcht, doch letztlich werden weniger moralische Wertvorstellungen als konkrete Körper verhandelt. Sogar Johans gläubiger Vater erinnert sich daran, dass auch er einmal beinahe seine Familie für eine neue Frau verlassen hätte, denn: »Ich wollte etwas spüren.«

Gerade diese Körperlichkeit der Liebe und die Sogwirkung des Tastsinns finden ihren Ausdruck in der Materialität der Bilder. Bei den Liebesbegegnungen zwischen Johan und Marianne bleibt Reygadas mit der Kamera dicht an den Körpern und steigert durch die Geräusche von sich küssenden Mündern, streichelnden Händen und Wind in den Haaren die taktile Qualität seines Bildmaterials. Auch die bereits vergangene Liebe zwischen Johan und seiner Frau findet Nachhall in Berührungen und Handreichungen, wenn auch oft nur über die Kinder vermittelt. In einer von wunderbar schwebender Zeitlosigkeit geprägten Szene am Wasser baden die Eltern ihre Söhne und Töchter, seifen blondes Haar ein und massieren kleine Füße. Auch hier findet sich wieder der zärtliche Liebesdienst am Körper, der sich schließlich in den Routinen einer Leichenwäsche wiederholen wird.
Immer wieder fächert Reygadas die karge Weite der mexikanische Landschaft in langen Pano­ramafahrten auf, doch zielt die kontemplative Naturbetrachtung weniger auf Transzendenz und sym­bolische Verdichtung denn auf Sichtbarkeit ab. Die Bilder verweisen auf ein Diesseits und auf die Kraft des Kinos. Wenn Esther mitten auf der Landstraße im prasselnden Gewitterregen aus dem Auto ihres Mannes springt und sich in tödlichem Herzweh an einen Baum klammert, dann hat vielleicht der Himmel seine Schleusen geöffnet, um mit der Heldin zu weinen. In jedem Fall aber verdichten sich die Ströme des Regens und der Tränenfluss der weinenden Esther zu einer Bildkomposition der Verzweiflung, durch die der große Schmerz der allein gelassenen Frau erst ­so richtig sicht- und fühlbar ge­macht wird.

Ohnehin findet sich das Glück in »Stellet Licht« gerade auch dort, wo es Gott nach den Regeln seiner weltabgewandten Gläubigen nicht vorgesehen hat. Als Johan seinen Traktor aus der Reparatur holt und dort aus einem Radio ein populärer mexikani­scher Song tönt, fährt ihm die Musik in die Glieder und er muss vor lauter Freude laut mitsingen und mehrere Jubelrunden mit dem Auto drehen. Dann erscheint das Leben für kurze Momente schwerelos, einfach und dementsprechend sinnvoll. Doch die Gesetze des Glaubens und die Gesetze der liebenden Körper lassen sich nicht in Einklang bringen, und inmitten des gewaltigen Unglücks scheint es wenig Unterschied zu machen, ob das Schicksal von Gott vorherbestimmt oder von Menschen gemacht wurde. Was aber bleibt, ist die Nachhaltigkeit der Bilder.

Stellet Licht (dto) MEX/F u.a. 07,
R: Carlos Reygadas, D: Cornelio Wall Fehr, Maria Pankratz, Miriam Toews, 136 Min. Filmpalette, ab 18.6.