Bewegung, Dynamik, Mobilität

Neil Young ist ein Autonarr und will außerdem immer noch die Welt retten. Auf seinem neuen Album »Fork in the Road« kommt der Mann zu sich selbst

Das Auto. Mit seinem Aufstieg zum Massenkonsumartikel verknüpft sich für viele ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Kapitalismus. Man spricht vom Fordismus, denn es war Henry Ford, der vor hundert Jahren die hohe Kunst der »wissenschaftlichen Betriebsführung« praktisch zu verwirklichen trachtete und die billige Massenproduktion von Autos durchsetzte. Autos kaufen keine Autos, so Ford, also wurden sie dermaßen günstig produziert, dass auch Fords Arbeiter sie sich leisten konnten.

Mit dem Fordismus verbinden sich – historisch übrigens nie real existierende – Vorstellungen von Mobilität und persönliche Freiheit auch für Proleten, der Traum von sozialer Sicherheit und der Blick auf die endlose Landschaften des amerikanischen Westen, den sich das motorisierte Volk nun erschließen konnte. Und diesen Traum hat Neil Young – in seinem ureigenen Idiom – in geradezu absurd konsequenter Weise besungen.

Young ist Autofetischist, ein entrückter Sammler von alten Cadillacs. Wenn er in seinen Texten den Ozean anbetet oder von Sternen singt, dann verbergen sich dahinter Markennamen von amerikanischen Straßenkreuzern. Seine Hymne »Long may you run« ist keinem Freund gewidmet, sondern einem Auto. Als junger Mann brach der Kanadier einst aus seiner Heimat nach Kalifornien auf. Ein weiter Weg. Nur er und ein Cadillac. Im Gepäck die Gitarre. Das schweißt zusammen.
Youngs Autonarretei ist natürlich doppelbödig, weil Young, indem er vordergründig die Kraftdroschken verhimmelt, dadurch auch den amerikanischen Proletentraum besingt. Und dieser Traum zerbröckelt gerade schneller als die dpa mit Tickermeldungen nachkommen kann. Die Autoindustrie liegt danieder, die Technologie amerikanischer Wagen ist hoffnungslos veraltet, Detroit ist bald nur noch Wasteland, Industriearbeitsplätze gehen Woche für Woche in fünfstelliger Höhe verloren. Und amerikanische Brücken haben die Eigenschaft, während des Stoßverkehrs zusammenzuklappen. Höchste Zeit für Young einzugreifen.
Neil Young, das muss man wissen, ist nicht nur der beste Songwriter seiner Generation (Bob Dylan? Nein, der ist ein Alien.), er ist nicht nur der Gitarrengott des minimalistischen Post-Dilettantis­mus. Er ist auch erfolgreicher Unternehmer, der digitale Aufnahmeverfahren entwickelt hat und Spielzeug für behinderte Kinder. Wer wenn nicht er ist prädestiniert, die Krise der Autoindustrie, die auch eine ideologische ist, zu meistern? Und das ist nur halb so ironisch, wie es sich liest.
Jetzt kommt alles zusammen: sein rastloses Musikgenie (entweder Young schweigt für mehrere Jahre oder er haut binnen kürzester Zeit Album um Album raus; gerade befindet er sich in letzterer Phase); sein Entrepreneurship; sein Wertkonservatismus (der noch in der Hippie-Ära ein Bekenntnis zum amerikanischen Traum fand). »Fork in the Road« heißt sein neues Album (Reprise/Warner, bereits erschienen), vierzig Minuten Schepperrock mit seiner aktuellen Tourband. Zehn hastig raus­­gehauene Stücke, die durchaus schwächliche Ideen ventilieren, aber – von diesen offensichtlich be­­wusst in Kauf genommenen Makeln abgesehen – kompakt, knackig und in der Aussage zornig sind. Die Verzerrer leisten ganze Arbeit, Youngs Folkharmonien werden ordentlich durchgebruzzelt.

»Fork in the Road« ist ein Konzeptalbum, dass sich um Autos dreht, um moderne Autos, Autos der Zukunft, Autos für Amerika. Young singt das Hohelied auf Elektromotoren und Hybridantriebe. »Awesome power of electricity, storred for you in her big battery«, richtig gelesen, der Elektroantrieb wird als weibliche Entität besungen. Und der Ölmulti von nebenan natürlich als Umweltverschmutzer angeprangert, dagegen von der »new energy as it quietly goes« geschwärmt. Auch Young weiß, »just singing a song won’t change the world«, denn die Grundlage von Veränderung ist nicht Träumerei, sondern … Bewegung, Dynamik, Mobilität. Ein Auto will gefahren werden, »You can be what you try to say while the big wheel rolls.«
»Lincolnvolt« lautet Youngs Zauberwort. Es drückt die Verbindung von amerikanischer Wertarbeit und neuer Technologie aus, von Proletenschweiß und dem Erfindergeist der Hippiegeneration. Das Zauberwort wird eingelöst von seinem Steinzeit-Rock, der unter den Bedingungen der Blog-Generation – schnell, spontan, auf digitale Verbreitung setzend – produziert wurde. Hybride Kunst? Hybridtechnologie!

Mit »Fork in the Road« löst Young die stets leicht wolkige Singer/Songwriter-Kunst in praktischen Materialismus auf. Poetisch geht es kaum noch zu. Stattdessen muss man wissen, wer der Feind ist, und wo er steht: »Forgot this year, to salute the troops. They’re still there in a fucking war. It’s no good. Whose idea was that? I’ve got hope, but you can’t eat hope. I’m not done. Not giving up. Not cashing in. Too late. There’s a bailout coming but it’s not for you. It’s for all those creeps watching tickers on TV.«
Neil Young, mittlerweile fast 64, kommt (nach wie vielen Jahren eigentlich?) wieder nach Köln. Seine Konzerte – Variante: Rock – sind ein großer Rausch, Feedback-Orgien, Landpfarrerdelirien, stoisches Rumgeschrubbe auf der E-Gitarre. Das war schon 1970 so, und es wird auch 2020 nicht anders sein. Nur der Tourbus, der ist jetzt natürlich
Konzert: Fr 19.6., Tanzbrunnen, 18.30 Uhr