Lebendig geblieben

Ahnungsvoller Schauer und blankes Entsetzen: Der Filmclub 813 feiert 200 Jahre Edgar Allan Poe mit einer Filmreihe

Edgar Allan Poe (1809-49) ist eine der wenigen Größen der Weltliteratur, dessen Namensnennung selbst bei Menschen, die noch nie eine Zeile von ihm gelesen haben, direkt Assoziationen hervorruft: Poe ist die Gegenwart des Schreckens im Menschen, der Terror des Gewissens vor Freud. Natürlich lässt sich sein Werk nicht so eng begrenzen. Als Erzähler ist er ein Wegbereiter der Science-Fiction, als Lyriker ein Vorfahr des Symbolismus, zudem einer der Erfinder des modernen Kriminalromans, dank seiner Werke um Auguste Dupin, dem wohl ersten Detektiv der Literaturgeschichte, der seine Fälle methodisch durch Deduktion löst. Was bleibt, wenn man den Namen Edgar Allan Poe hört oder liest, ist Angst in allen möglichen Intensitätsgraden: vom ahnungsvollen Schauer bis hin zum blanken Entsetzen.

Das Kino hat relativ früh Gefallen an Poes Stoffen gefunden: Adaptionen seiner Texte finden sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts. Was nicht erstaunt: Seine bedeutendsten Werke fast alle recht kurz und damit passend für ein Kino, dessen Filme damals meist nur wenige Minuten lang waren. Zum anderen gab Poe gute Vorlagen ab für eine Kunst, die sich für die inneren Vorgänge des Menschen interessierte, für die Bebilderung seelischer Zustände. Poes Prosa und Poesie ist eher arm an äußeren Handlungen, dabei reich an Assoziationen. Ihn zu adaptieren bedeutet für die meisten Regisseure, Bilder für all diese Ahnungen und Andeutungen zu finden.

Nur wenigen gelang das so kongenial wie den Avantgarde-Meistern Jean Epstein und James Sibley Watson/Melville Webber, die 1928, unabhängig voneinander »The Fall of the House of Usher« adaptierten, beide mit ­faszinierenden, unterschiedlichen ästhetischen Zugängen, geeint im Wissen, dass ein direkter Weg von Poes Symbolismus zum Expressionimus führt.

In seiner Reihe anlässlich des 200. Geburtstags Poes geht der Filmclub 813 bis ins Jahr 1914 zurück, zu David Wark Griffiths »The Avenging Conscience: or Thou Shalt Not Kill«, der nominell die Kurzgeschichte »Das verräterische Herz« adaptiert, aber eigentlich mehrere Poe-Werke vermischt. Das sollte noch oft geschehen, da eine einzelne seiner Geschichten kaum genug Stoff für einen abendfüllenden Film hergibt.

Deshalb bot es sich an, Poes Vorlagen in Episodenfilmen zu verarbeiten: So besteht etwa »Histoires Extraordinaires« (1968) aus drei voneinander un­ab­hängigen Kurzfilmen, realisiert von Roger Vadim, Louis Malle und Federico Fellini – wobei ersterer eine so krude wie kühne Pop-Art-Fantasie schuf, während sich letzterer eine Art Horror-Parodie über den Italo-Western zusammenzauberte. Poes Geschichten sind geduldig. Bei Richard Oswalds exzellentem, vom Todestaumel des Ersten Weltkriegs durchtränkten »Unheimliche Geschichten« (1919), basiert nur eine der fünf Episoden auf Poe, weiterer Stoff stammt u.a. von Robert Louis Stevenson.

Eine andere Möglichkeit war, seiner eigenen Imaginationskraft freien Lauf zu lassen und Poes Geschichten lediglich als Ausgangspunkt zu verwenden. Da­­bei kam viel filmisch Brillantes bis Wunderliches, aber wenig Kongeniales zustande. Filmhistorisch Bestand hat Edgar G. Ulmers so bizarrer wie pointierter »The Black Cat« (1934), in dem Boris Karloff und Bela Lugosi einander unter den Augen eines verwirrt-unschuldigen Paares beharken. Auch hier wirft der Erste Weltkrieg einen langen Schatten über die Dinge und jenes Alte Europa, dessen Größe beschworen wird. Die Quasi-Fortsetzung »The Raven« (1935), realisiert vom harten Arbeiter Louis Friedlaender, kommt da nicht ganz mit, bereitet aber durchaus Vergnügen.

Bis heute ebenfalls legendär ist der Zyklus von Poe-Verfil­mun­gen, den Roger Corman in den 60er Jahren realisierte, beginnend mit »House of Usher« (deutscher Titel: »Der Untergang des Hauses Usher«, 1960), einer seiner etwas werkgetreueren Poe-Variationen. Bei »Premature Burial« (»Lebendig begraben«, 1962) ist schon viel eigene Fabulierlust am Werk. Bei der verschrobenen Komödie »The Raven« (»Der Rabe«, 1963) sind von Poe eigentlich nur der Titel und der Rabe mit Namen Nimmermehr geblieben. Ganz vage wird es dann bei »The Haunted Palace« (»Die Folterkammer des Hexenjägers«, 1963), wo der Titel zwar von Poe ist – die Geschichte aber von H. P. Lovercraft!
Von da aus ist es nicht mehr weit zu Spekulationen rund um Leben und Werk von Edgar Allan Poe. Statt ihn zu adaptieren, ­erfindet man Geschichten in ­seinem Geiste – oder was man ­dafür hält – und lässt ihn darin sogar bisweilen selbst auftreten. Antonio Margheriti machte das zum Beispiel in seinem ziemlich ­erstaunlichen »Danza macabra« (1964), von dem er selbst 1971 unter seinem Pseudonym Anthony M. Dawson ein Remake drehte: »Nella streta morsa del ragno« (»Dracula im Schloss des Schreckens«), in dem niemand Geringerer als Klaus Kinski ­Edgar Allan Poe gibt.

5.-31.7., Kino in der Brücke,
Infos: www.filmclub813.de