Songwriting in Zeiten der ­Paranoia

Die russische New Yorkerin Regina Spektor spielt entwaffnend schöne Songs

Es hört sich wie eine Bilderbuchkarriere an: Ein in Eigenregie aufgenommenes und übers Internet vertriebenes Album mit dem schlich­ten Titel »Songs« gerät 2001 in die Hände von Gordon Raphael, dem Produzenten der Strokes. Der bringt eine Lawine ins Rollen – Tourneen mit den Strokes und Moldy Peaches, gro­ßer Erfolg in England, wo die Songs gleich in mehreren Fernsehserien auftauchen.
Regina Spektors Karriere begann unmittelbar nach dem 11. September 2001 und hängt wohl mit diesen Ereignissen zusammen. Unmittelbar nach den Terroranschlägen erfuhr amerikani­sches Songwriting ein nie geahntes Comeback. Antifolk machte die Runde, wurde auch Regina Spektor als Etikette angehängt, entpuppte sich jedoch nicht als wütendes »Anti«, sondern als Rückbesinnung auf Folk als eine intime, zerbrechliche, zutiefst humane Musik. Spektors entwaffnend schöne, oft nur vom Klavier begleitete Songs passten in diesen Trend zu einer Innerlichkeit, die nicht Eskapismus sein wollte, sondern Ausdruck von Schwäche und Verletzlichkeit inmitten kriegerischer Zeiten.
Die Karriere der heute 29-Jährigen ist zudem bestens geeignet, ein anderes Bild von Amerika zu vermitteln. Ihr Lebenslauf liest sich wie die Erfüllung des amerikanischen Traums, in dem es diejenigen, die mit leeren Taschen kommen, zu etwas Großem bringen können. Über Österreich und Italien waren Reginas jüdische Eltern aus der Sowjetunion nach New York geflüchtet, mussten alles zurücklassen, auch das Klavier, das sie ihrer Tochter gekauft hatten. In New York fehlte es erst einmal an Geld, doch Regina ließ sich nicht unterkriegen und übte beharrlich in der benachbarten Synagoge. Mit einem Demotape bewarb sie sich am Konservatorium. Einem Werdegang als klassische Musikerin stand nichts im Weg, dank ihrer Eltern, beide virtuose klassische Musiker, war Spektor mit dem Repertoire von Mozart bis Chopin vertraut.
Aber sie wollte etwas anderes: eigene Songs schreiben, Songs, die ihre persönliche Situation als jüdische Einwandererin in Amerika widerspiegelten. So ist eine einzigartige Mischung aus klassischen Elementen, eingängigem Pop und Folklore aus ihrer alten und neuen Heimat entstanden. Als 2003 ihr offizielles Debüt »Soviet Kitsch« erschien, hatte Regina Spektor bereits Hunderte von Konzerten in kleinen New Yorker Clubs gespielt und gelernt, worauf es ankommt: Man muss das Publikum sofort packen, aber man muss auch eine eigene Handschrift ausbilden. Das ist ihr gelungen. Kaum eine gegenwärtige Songwriterin versteht es so gekonnt wie Regina Spektor, klassische Elemente in einfachen Pop einfließen zu lassen, so dass Chopin am Ende klingt, als sei er als Straßenmusiker an der Lower East Side aufgewachsen.

Konzert: 2.7., 20 Uhr, Gloria
Tonträger: Regina Spektor, »Far« (Sire Records/Warner), erscheint Ende Juni