Die unbekannte Bekannte

Dreißig Jahre Isa Genzken: Das Museum Ludwig zeigt die erste große Retrospektive

Viele Jahre war Isa Genzken der berühmteste Geheimtip der deutschen Kunstszene – obwohl sie schon als Studentin in der einflussreichen Düsseldorfer Galerie Konrad Fischer ausstellte und schon Anfang der 80er Jahre an großen Überblicksausstellun­gen teilnahm, »Art Allemagne Aujourd’hui« in Paris, der Kölner »Westkunst«, den »Skulpturenprojekten« Münster, mehrmals auf der »Documenta«. Doch erst in den letzten Jahren nahm eine beite Öffentlichkeit sie wahr, als sie Deutschland 2007 im Pavillon auf der Biennale Venedig vertrat – und entdeckte eine fast 60-Jährige, deren Experimentierlust und Offenheit so manchen jüngsten Künstler in den Schatten stellt.

Diese Unbekanntheit hängt sicherlich mit ihrer Rolle als Künstlerin zusammen. Genzken behauptete sich früh in der Domäne Skulptur, als andere Künstlerinnen auf das in den 70ern weiblich besetzte Video auswichen. Möglicherweise hängt die paradoxe Situation auch mit der 14-jährigen Ehe mit dem schon damals berühmten Maler Gerhard Richter zusammen, dem sie nicht nur ästhetisch einen selbstbewussten Gegenpart bildete, oder mit ihrem zuweilen expansiven Temperament. Genzken lebte und arbeitete jedenfalls in Köln, als die Stadt vor Jahrzehnten zur unruhigen Kunstmetropole aufstieg – und man kannte sie in der Szene.

Eine Künstlerin für Künstler

Fest steht: Bislang waren immer nur Ausschnitte des Werkes zu sehen. Und dies entfaltete sich nicht langsam, sondern zeichnet sich durch Innovation und mutwillige Brüche aus. Den ersten handgefertigten, aber technoid anmutenden »Ellipsoiden« (1976/ 92) und »Hyperbolos« (1979/83) folgten massive architektonische Betonfragmente auf Stahlgestellen, gingen in leichte, nahezu luzide Fensterrahmen über, denen schließlich die jüngsten Materialassemblagen folgten, die eher an Robert Rauschenberg als an die Minimalisten erinnern, in deren Kontext man sie gerne gesehen hat. Immer wieder erneuerte Genzken ihr eigenständiges wie eigenwilliges Vokabular – abseits der Mainstreams und der Theoriemoden. Obwohl sie regelmäßig zu sehen war (gerade in Kölner Galerien), blieb sie so ein Geheimtip mit der zweifelhaften Auszeichnung »Artist’s artist«. Dieses Etikett sollte wohl auch verdecken, dass man sie weniger teuer als gleichaltrige Malerfürsten handelte.

Genzkens kleine, nahezu hörige Fangemeinde bestand aus Intellektuellen, Theoretikern, Schreibern und Kuratoren, die in ihr eine verletzliche und zugleich starke weibliche Position im männlichen Kunstbetrieb suchten, aus ihrem Werk einen Diskurs um Kontextualismus und Feminismus sponnen, daraus Urbanismus-, Konsum- oder Modernismuskritik webten. All das stimmt und stimmt zugleich nicht. Zu souverän ist ihre Kunst, als dass sie sich in Bedeutung und Theorie auflösen ließe. Der mit zahlreichen Fotografien, Zeitungsausschnitten und Folien überklebte »Spielautomat« (1999/2000) kann das demonstrieren: Dem blinkenden Gerät eignet etwas improvisiert Spontanes, andererseits weckt es den Eindruck einer persönlichen Sammlung von Bildern, die Genzken selbst aufgenommen hat. Den intimen Charakter verstärkt die Deutung der Abgebildeten: Neben Bildern von Leonardo die Caprio finden sich Schnappschüsse von Andy Warhol, des amerikanischen Konzeptkünstlers Lawrence Weiner und von Kai Althoff, der noch am Beginn seiner Karriere stand. Der moderne Reliquienaltar betont zugleich den magischen Ursprung der Fotografie, in der Bild und Vorbild verschmelzen.

Zurück nach Hause

Dass die erste große Genzken-Retrospektive nun im Rheinland – der Region ihres Studiums und ersten Auftritte – gezeigt wird, ist nicht nur aus biografischer Perspektive ein Glücksfall. Erstmals überhaupt ist es möglich, jenseits der formalen Sprünge die großen Bögen und Leitmotive ihres Werks zu entdecken. Das Kölner Ludwig und sein Leiter, Kasper König, sind jedoch auch aus anderen Gründen prädestiniert. Im Museum realisierte Genzken bereits 2000 zusammen mit dem Fotografen Wolfgang Tillmanns die saalfüllende Doppelinstallation »Science fiction, hier und jetzt zufrieden sein«, eine monumental verspiegelte Doppelwand. König hat sie seit ihren Anfängen immer wieder präsentiert: von seiner legendären Ausstellung »Westkunst« 1981 in den Kölner Messehallen bis zum letzten »Skulpturenprojekt« 2007 in Münster.

Dass er nun diese Ausstellung, gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Nina Gülicher, kuratiert, versteht sich fast von selbst. Dass Isa Genzken sie letztlich wohl selbst dirigiert, aber auch: Bei Redaktionsschluss stand die Werkauswahl natürlich schon lange fest – die endgültige Präsentation jedoch noch nicht. Wer Isa Genzken kennt, wird auf eine Überraschung gespannt sein.


Isa Genzken – Sesam, öffne Dich!
Museum Ludwig, Di-So 10-18,
1. Do im Monat 10-22, 15.8.-15.11.,
Eröffnung 14.8., 19 Uhr

Katalog im Verlag der Buchhandlung Walther König,
Köln 2009, 48 €
Rahmenprogramm: Vortrag Paul Groot: Ekstatische Visionen in traumhaften Modellen und Betonobjekten,
Di 18.8., Museum Ludwig, 19 Uhr