Norbert Scheuer: Überm Rauschen

Man kann die letzten drei Bücher von Norbert Scheuer durchaus als Trilogie lesen: Den Roman »Flussabwärts« (2002) über den Aufbruch des Protagonisten aus seinem Eifeldorf in die Stadt Aachen, die romanhafte Geschichtensammlung »Kall, Eifel« (2005), die eine Vielzahl von Personen und Situationen vorstellte, und den neuen Roman »Überm Rauschen« (2009). Darin schildert der Ich-Erzähler eine Rückkehr in die Eifeler Heimat.

Leo Arimond ist nach Kall zurückgekommen, um auf seinen Bruder Hermann, der sich in offensichtlicher Verwirrtheit nach dem Tod seiner Geliebten in seinem Zimmer eingeschlossen hat, beruhigend einzuwirken. Die Mutter lebt nach dem zweiten Schlaganfall im Heim; die elterliche Gastwirtschaft wird von der ehemaligen Angestellten Alma dürftig weitergeführt, rundum hausen Sonderlinge, Zu-kurz-Gekommene und irgendwie in der Provinz Steckengebliebene, die der Leser bereits aus Scheuers früheren Büchern kennt.

Die Erinnerung an der Angel

Doch in diesem dritten Roman wird noch eine große Passion dargestellt: das Angeln. Immer wieder zieht es den Erzähler an den Fluß hinterm Haus, dorthin, wo schon der Vater dieser Leidenschaft gefrönt hatte. Über das Angeln hinaus, dessen Techniken liebevoll beschrieben werden, gewinnt der Erzähler aus der Begegnung mit dem Fluß und seinen Fischen auch eine Poetik der Erinnerung, ein Bild der Zeit, ihres Vorüberfließens. Mal verwendet er den Begriff des Seismographen, um die Speicherfunktion des Flusses auszudrücken, mal den der Matrize, »auf der sich alles unentzifferbar einritzt«.

Das Angeln wird zum Eintauchen und Hervorholen von Geschichten aus dem ewigen Strudel der Zeit. Vielleicht hatte das auch den verstorbenen Stiefvater um- und angetrieben, als er seine Chronik schrieb: »Alles sollte in dieser Chronik stehen, was es über den Ort und den Fluss zu berichten gab.« Die Romane Norbert Scheuers jedenfalls lösen auf wunderbare Weise dieses Versprechen ein und re-poetisieren eine den Kölnern nicht unvertraute Region: Kall ist nämlich keineswegs bloß das reale Kall, ein Kaff in der Nordeifel, sondern überall – ein poetischer Ort der Erinnerung, »Teil einer fiktiven inneren Welt«, wie es in der Danksagung zu diesem Roman am Ende heißt.

Buch
Norbert Scheuer: Überm Rauschen.
C.H.Beck, München 2009, 165 S., 17,90 €