Kill Adolf

Grausames Märchen: Mit der Rachefantasie »Inglourious Basterds« verweigert sich Quentin Tarantino dem

Authentizitätsdiktat im Umgang mit dem »Dritten Reich«

Freiheiten nimmt sich Quentin Tarantino nicht nur bei der Rechtschreibung, »Inglourious Basterds« pfeift ebenso auf historische Genauigkeit. Darauf stellt bereits der erste Satz ein: »Es war einmal im von den Nazis besetzten Frankreich«.

Tarantino erzählt ein Märchen mit den filmischen Mitteln Sergio Leones. Die Schrifttype im Vorspann, die Musik, die extremen Kameraeinstellungen, der gedehnte Spannungsaufbau gleich in der ersten Sequenz zitieren Italowestern. Doch wo die europäische Variante des amerikanischsten aller Filmgenres das Freiheitsversprechen des unbefriedeten Westens mit viel Zynismus als brutales »Survival of the Fittest« umdeutete, gibt Tarantino seiner Mischung aus Widerstandsdrama und Kriegsfilm ein geradezu utopisches Ende. Selbstverständlich ohne auf dem Weg dahin auf Gewalt und Zynismus zu verzichten.

Es ist ein grausames Märchen, das »Inglourious Basterds« erzählt. Zu Beginn der Besetzung Frankreichs durch die deutschen Truppen wird in einem französischen Bauernhaus eine jüdische Familie von SS-Schergen hingerichtet. Nur die Tochter der Familie kann entfliehen. Shosanna (Mélanie Laurent) baut sich unter falschem Namen in Paris ein neues Leben als Betreiberin eines Kinos auf.

Zur gleichen Zeit irgendwo in Europa. Leutnant Aldo Raine (Brad Pitt) stellt eine Gruppe
jüdisch-amerikanischer Soldaten zusammen, um Racheaktionen gegen Nazis durchzuführen. Angst und Schrecken sollen sie unter den deutschen Soldaten verbreiten. Die Truppe wird bald bekannt als »The Basterds«.

In Paris wird unterdessen Shosanna der Hof von einem deutschen Kriegshelden (Daniel Brühl) gemacht. Der filmverrückte Nazi will ausgerechnet in ihrem Kino die Galapremiere eines Propagandafilms veranstalten lassen – mit allen Größen des Dritten Reichs im Publikum. Shosanna sinnt auf Rache und weiß nicht, dass auch die »Bas­terds« an diesem Abend zuschlagen wollen.

Tarantino ändert die Geschichte

Am Ende wird die Weltgeschichte auf den Kopf gestellt. Ohne zu viel zu verraten: Nach Tarantinos Version wäre der Zweite Weltkrieg schon 1944 vorbei gewesen. Hitlers Ende wirkt in »Inglourious Basterds« wie ein satirischer Kommentar auf »Der Untergang«, in dem mit Hilfe des Hitler-Biografen Joachim Fest zwar die Umstände des Selbstmords im Führerbunker historisch so korrekt wie möglich dargestellt wurden, die Kamera aber seltsam ehrfürchtig und pietätvoll beim Tod des Massenmörders vor der Tür blieb. Tarantino dagegen breitet sein völlig fiktives Ende Hitlers genüsslich vor der Kamera aus.

Der jüdische Regisseur Eli Roth (»Hostel«), der den gefürchtetsten der »Basterds« spielt, bezeichnete Tarantinos Werk auf der Pressekonferenz zur Premiere in Cannes als »koscheren Porno« – natürlich nicht im sexuellen Sinne, sondern im Sinne einer illegitimen Wunscherfüllungsfantasie. »Inglourious Basterds« ist eine Rachefantasie, die ein geradezu subversives Potential entfaltet vor dem Hintergrund all der oft auf realen Geschichten basierenden Filme über den Zweiten Weltkrieg und das Dritte Reich, die die Fakten richtig darstellen mögen, aber sonst so ziemlich alles falsch machen. Dafür ist »Der Untergang« nur ein Beispiel von vielen aus den letzten Jahren.

Kino ohne Schnick-Schnack

Es mag unfair sein, das Zitat-B-Kino Tarantinos gegen solche Renommierproduktionen in Stellung zu bringen, aber der Blick über Genregrenzen kann erhellend sein. Tarantino geht zurück zu einem Kino, das seine Kraft ganz aus der Imagination zieht. So sehr neue Tricktechniken im letzten Jahrzehnt zu einer Virtualisierung auf den Leinwänden beigetragen haben, es gilt das Diktat eines zumindest oberflächlichen Realismus’ sobald es um vergangene Zeiten und fremde Länder geht – daher werden auch Debatten über Filme in den Medien längst nicht mehr nur von Filmkritikern geführt, sondern zunehmend auch von Historikern, Politikern und Ressortleitern. So wünschenswert die Orientierung an historischen Fakten im Einzelfall sein mag, so sehr hat sie zu einer Einengung filmischer Formen und zu einem mutlosen Korrektheitskino beigetragen. »Inglourious Basterds« wirkt in diesem Zusammenhang wie ein Befreiungsschlag.


Inglourious Basterds (dto) USA, D 09,
R: Quentin Tarantino, D: Brad Pitt,
Christoph Waltz, Mélanie Laurent,
152 Min. Start 20.8.


Hintergrundinfo: Christoph Waltz
Es klang wie eine der üblichen Lob­hudeleien. Ohne Christoph Waltz hätte er den Film nicht gedreht, betonte Quentin Tarantino im Vorfeld der Premiere von »Inglourious Basterds«. Das musste man nicht ernst nehmen: Im Film steckt deutsches Geld, er wurde weitgehend in Babelsberg gedreht, und durch die Beteiligung vieler deutscher Schauspielstars ist der hiesige Markt nach den USA der wichtigste für den Film. Da kann ein Extra-Lob für einen der deutschsprachigen Beteiligten nicht schaden. Um so überraschender: Tarantino hat recht. Ohne den in Österreich geborenen Waltz kann man sich »Inglourious Basterds« in der Tat kaum vorstellen. Als diabolischer Oberst Hans Landa stiehlt er auch dem nominellen Hauptdarsteller Brad Pitt die Show.Während der Weltstar schon am Südstaatenakzent des von ihm gespiel­ten Landa-Gegenspielers Leutnant Aldo Raine scheitert, parliert Waltz im Film mit Gusto in Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. Ein großer Vorteil bei einem Kriegsfilm, der zwar wenig Action bietet, dafür aber um so ausgedehntere Dialoge in vier Sprachen. Natürlich ist Waltz für deutsche Fernsehzuschauer kein unbekanntes Gesicht, aber seine Kinokarriere schien vorbei – in den letzten sechs Jahren hatte er nur eine Nebenrolle in einem Kinderfilm. Das wird sich durch »Inglourious Basterds« und den verdient gewonnen Schauspielerpreis beim Festival von Cannes hoffentlich wieder ändern.