Neue Dioxinschleuder für Köln

Die Katze ist aus dem Sack: Wenn die Stadt Köln nicht bis Ende 1987 die Planfeststellung für eine Müllverbrennungsanlage beantragt, wird der Kölner Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes dieses Verfahren im Wege einer Ersatzvornahme einleiten. Im Klartext: Die Dioxinschleuder im Kölner Norden soll auf jeden Fall gebaut werden.

Die Ankündigung von Regierungspräsident Antwerpes war von der Verwaltung geschickt vorbereitet worden. Einen Tag zuvor hatte sie einen Artikel in den Kölner Stadt-Anzeiger (9.7.86) lanciert, worin noch einmal kräftig Stimmung für die Müllverbrennungsanlage gemacht wurde. Die Stadt, hieß es in de Artikel von Heinz Tutt, werde spätestens 1989 im eigenen Müll ersticken, wenn nicht endlich der Widerstand gegen die MVA gebrochen werde. Alle Argumente des zuständigen Beigeordneten und geradezu leidenschaftlichen Verfechters einer Verbrennungsanlage im Kölner Norden, Wolfgang Keil (SPD), wurden der Reihe nach fein säuberlich aufgelistet, um schließlich in der Feststellung zu münden, die »Abgasprobleme« einer MVA seien zwar schwierig aber lösbar. Das Rollenspiel im kölschen Machtkartell hatte wieder einmal glänzend funktioniert.
Die Altparteien im Kölner Rat waschen ihre Hände in Unschuld. Haben sie nicht alles getan, um die bei den Bürgern so ungeliebte MVA entbehrlich zu machen? Gab es nicht gerade deshalb noch im Januar diesen Jahres einen Ratsbeschluss, der ein Konzept zur Vermeidung beziehungsweise Wiederverwertung von Abfällen vorsah? War es nicht die Verwaltung, die sich aller politischen Vernunft zum Trotz wieder einmal querstellte? Und ist es in der Tat nicht wirklich so, dass der Rat gegenüber dem Regierungspräsidenten als oberster Aufsichtsbehörde letztlich machtlos ist? Wenn die Kommune keine befriedigende Lösung für das Müllproblem findet, kann der RP einen »Müllnotstand feststellen.
Als oberste Aufsichtsbehörde wäre er sogar befugt, den Bau einer MVA anzuordnen. Rat und Verwaltung könnten dann der Kölner Bevölkerung bequemerweise einfach mitteilen, dass alle umweltfreundlichen Alternativen leider von höherer Stelle vereitelt worden seien.

Doppelbeschluss und einfache Ausführung

Die geplante MVA ist in fast schon klassischer Weise ein Kind der SPD. Angefangen hatte es damit, dass das Reinigungs- und Fuhramt 1982 angesichts des ständig wachsenden Müllbergs dem Rat den Bau einer MVA als »großtechnische Lösung« des Problems vorgeschlagen hatte. Sehr bald formierte sich jedoch Widerstand, insbesondere die Bürgerinitiative Wohnen und Umwelt in Longerich erreichte durch massive Öffentlichkeitsarbeit eine vorläufige Aussetzung des Projekts. Gefordert wurde die Entwicklung von Konzepten zur Abfallvermeidung. Die Kölner SPD konterte mit einer genialen Idee, sie fasste 1983 zum Thema Müll einen Doppelbeschluss. Recycling, Schadstoffsammlung und Abfallvermeidung sollten dazu beitragen, das Müllproblem in den Griff zu bekommen. Sollte dies jedoch nicht die gewünschten Ergebnisse bringen, dann sollte die Müllverbrennung »ins Auge gefasst werden«.
Der Antrag für diesen Beschluss stammte aus der Feder des SPD-Linken Dr. Vollmann und wurde damals mit nur einer Stimme Mehrheit verabschiedet. Wie es Doppelbeschlüsse nun einmal an sich haben, wurde in der weiteren Entwicklung der zweite Teil besonders ernst genommen. Im Januar diesen Jahres wurde mit den Stimmen aller Fraktionen einschließlich der Grünen zwar einmal mehr ein Müllvermeidungskonzept bschlossen, eine Absage an die MVA enthielt dieser Beschluss jedoch nicht.
Durch die jüngste Anordnung des RP sind die Beschlüsse vom Januar zur Abfallvermeidung als Alternative zur MVA noch nicht einmal das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind. Damals wurden Modellversuche zur Müllvermeidung in zwei ausgewählten Stadtteilen beschlossen, die im Herbst dieses Jahres beginnen und dann über zwei Jahre laufen sollten. Weil aber bis jetzt noch nicht einmal die entsprechenden Stellen eingerichtet wurden, wird mittlerweile frühestens Anfang 87 mit dem Beginn der Projekte gerechnet, die dann bis Anfang 1989 laufen würden. Ende 1987 läuft die vom Regierungspräsidenten gesetzte Frist jedoch schon ab. Die Modellversuche werden damit zur Verhinderung der MVA ebenso viel beitragen können, wie die Genfer Verhandlungen zur Abrüstung. Sie sind nur noch pure Show zur Besänftigung der Bürger, ein Utensil aus der Trickkiste der Kölner SPD.

Mehr Dioxin für Köln

Einmal abgesehen davon, dass die Müllverbrennung die teuerste Variante der Müllentsorgung ist, ist sie auch in ihren ökologischen Auswirkungen die verheerendste. Eine MVA ist gleichsam ein chemischer Reaktor, dessen angeblich »technische« Beherrschbarkeit immer wieder behauptet wird. Die Emission hochgiftiger Substanzen kann jedoch nicht angezweifelt werden, darunter auch das berüchtigte Seveso-Gift 2,3,7,8-TCDD.
Im November 1984 war beispielsweise auch die Müllverbrennungsanlage von Ford auf Anordnung des Gewerbeaufsichtsamtes untersucht worden. Die im Reingasstaub ermittelten Dioxinwerte wurden jedoch als »unkritisch« bewertet. In einem Schreiben des Düsseldorfer Umweltministers Klaus Matthiesen an die Longericher BI vom Oktober vergangenen Jahres hieß es dann auch ganz lapidar: »Diese Untersuchungsergebnisse liegen im Rahmen der bei den Hausmüllverbrennungsanlagen in Nordrhein-Westfalen durchgeführten Ermittlungen.«
Besser lassen sich keine Eigentore erzielen. Im Rahmen dieser Untersuchungen war nämlich auch der MVA Bielefeld/Heepen die Unbedenklichkeit bescheinigt worden. Der Bielefelder Umweltdezernent Uwe Lahl ließ jedoch zwischenzeitlich (1986) durch das Bremer Umweltinstitut neue Messungen durchführen, mit dem Ergebnis, dass bei der gerade erst fünf Jahre alten MVA höhere Dioxinwerte festgestellt wurden als diejenigen, die zur Schließung der Hamburger Chemiefabrik Boehringer geführt hatten. Die Aussagekraft der vom Land 1984 durchgeführten Messungen kann damit mehr als bezweifelt werden. Damals wurde nach dem beliebten Motto verfahren, dass nicht sein kann, was nicht messbar ist. Da die Messverfahren mittlerweile verfeinert wurden, ist es wahrscheinlich dass jetzt andere Messergebnisse zu erwarten sind.
Auch eine vom schwedischen Ministerium für Umweltschutz in diesem Jahr in Auftrag gegebene Studie kam zu der Erkenntnis, dass MVAs weit mehr Dioxine abgeben als bisher angenommen wurde. Der schwedische Chemiker Ture Svensson hatte in der Umgebung von MVAs elf Frauen aus Nordschweden und 53 Frauen aus der BRD untersucht. In der Muttermilch ermittelte er Dioxinwerte, die zehn bis tausend mal höher lagen als die für Kleinkinder als zulässig erachtete Tagesdosis.

Nach uns die Sintflut

Nicht nur wegen der Produktion des Seveso-Gifts muss die Müllverbrennung als ausgesprochene Umweltschweinerei bezeichnet werden. Es ist geradezu eine besondere Spezialität der Verbrennung, das dabei alle möglichen Varianten von den bekanntermaßen extrem giftigen chlorierten Kohlenwasserstoffen produziert werden. Darüber hinaus fallen Salzsäure und Flusssäure an, sowie einige Schwermetalle, insbesondere Quecksilber, Cadmium, Blei und Zink. Wenn man einmal davon absieht, was davon alles durch den Schornstein geblasen wird, entstehen beachtliche Mengen von Sondermüll, die wiederum entsorgt werden müssen. Schon jetzt aber sind die Kapazitäten der Sondermülldeponien erschöpft, auch ein Problem, das sicher nicht dadurch gelöst werden kann, dass nur noch mehr Sondermüll produziert wird. Die Verbrennung verlagert damit den »Müllnotstand« vom Hausmüll beziehungsweise vom Klärschlamm zum Sondermüll, fürwahr eine saubere Lösung. Nicht umsonst ist RP Antwerpes auf der Suche nach einem Standort für eine neue Sondermülldeponie. Irgendwo muss das ganze Gift ja schließlich hin, welches er jetzt auch mit der MVA produzieren will.
Wenn man aber doch nicht davon absehen will, dass die verschiedensten giftigen Substanzen über den Schornstein einfach in der Luft verteilt werden, dann wird sichtbar, dass die geplante MVA im Kölner Norden auch in dieser Hinsicht nur Teil ist eines flächendeckenden Skandals: im Norden gibt es nämlich bereits, betrieben von der Firma Ford, eine Müllverbrennungsanlage sowie eine Schlammverbrennungsanlage zur Entsorgung von Farb-, Schleif- und Filterschlämmen sowie von Schrottölen. In Leverkusen gibt es neben der städtischen Hausmüllverbrennungsanlage eine Sondermüllverbrennungsanlage von Bayer. Damit auch der Kölner Süden nicht zu kurz kommt, wird schließlich vom Regierungspräsidenten eine MVA in Niederkassel/Lülsdorf geplant, worin Hausmüll aus dem Rhein-Sieg-Kreis verheizt werden soll. Gleichzeitig wird von der Rheinischen Olefin Wesseling bereits eine Sondermüllverbrennungsanlage betrieben. Man mag darüber streiten, ob es Köln jemals gelingen wird, den enormen Aufstieg zur Kulturmetropole am Rhein auch zu schaffen, als Giftmetropole wird es wohl jeder gelten lassen müssen.
Auch nach der Anordnung von Antwerpes ist jedoch noch nicht ausgemacht, ob die Niehler Giftschleuder gebaut werden wird. Die Longericher BI will jetzt erst recht keine Ruhe geben und die Verantwortlichen insbesondere aus den Kreisen der Kölner SPD unter Druck setzen. Noch vor dem Vorpreschen von Antwerpes hatte sie einen von ca. 2.200 Bürgerinnen und Bürgern unterzeichneten Bürgerantrag beim Oberbürgermeister und MVA-Befürworter Norbert Burger eingereicht, mit dem sich nun die zuständigen Ausschüsse sowie der Rat werden befassen müssen. Der Antrag fordert nicht nur die endgültige Absage an die MVA, sondern benennt auch klare umweltschonendere Alternativen, die bisher von der Stadt nur halbherzig oder gar nicht angegangen worden sind, warum auch: die Müllverbrennungsanlage hatte sie ja immer schon in der Hinterhand.