Musik ohne ­Musiker

Der 2008 in Köln gestorbene Fluxus-Künstler Terry Fox

wird diesen Monat mit einer großen Hommage geehrt

Es waren bildende Künstler, die in den 60er Jahren die Musik revolutionierten und deren Grenzen sprengten. Oder sollte man im Zusammenhang mit Fluxus gar nicht von Musik reden? Wenn Emmett Williams Steine ins Klaviergehäuse warf oder Wolf Vos­tell rohes Fleisch mit Stecknadeln spickte, entstanden zwar Klänge, doch diese waren von konventioneller Komposition und einem herkömmlichen Verständnis von Musik weit entfernt. Dass die 1962 ins Leben gerufene Fluxus-Bewegung sehr schnell Musik – oder zumindest Klang – für sich ent­deckte, hatte weniger mit einem gewollten Affront gegen den Musikbetrieb zu tun. In erster Line wollte sich Fluxus vom herkömmlichen, musealisierbaren Kunst­werk lösen. Situative und kommunikative Aspekte, nicht statische Werke standen von nun an im Mittelpunkt. »Kunst ist das, was das Leben interessanter als die Kunst macht«, erklärte Fluxus-Vertreter Robert Filliou. Also musste die Kunst selbst so flüchtig und vergänglich wie das Leben wer­den – auf diesem Weg entdeckte Fluxus die Musik, die flüch­tigste aller Kunstformen.

»Die einzigen Leute, für die Kunst existiert, sind die Anwesenden, und nur während dieser Zeit existiert die Kunst«, formulierte der vergangenen Oktober im Alter von 65 Jahren in Köln gestorbene Künstler Terry Fox das Prozesshafte der Bewegung. Wie vie­le Künstler seiner Generation be­gann er mit der Malerei, kam dann mit der Happening-Bewegung und den ersten aufkeimen­den Protesten gegen den Vietnam­krieg in Kontakt, was seinen Kunst­begriff mit einem Schlag ver­änderte. Wer als Künstler die gesellschaftlichen Verhältnisse ab­lehnt, muss auch die Gesetzmäßig­keiten des Kunstmarktes radikal in Frage stellen. Performance, Body Art und Klangkunst waren in den 60er Jahren Versuche, die Kunst vom kapitalistischen Markt loszukoppeln, da sich solche Arbeiten weder erwerben noch ausstellen lassen. Einige der frühen Aktionen von Terry Fox waren deshalb so ausgerichtet, dass niemand außer den in die Aktion Eingeweihten überhaupt wusste, dass hier gerade Kunst stattfand. Im öffentlichen Raum, beispielsweise auf einem Wochenmarkt in London, interagierten die Künstler, ohne dabei für Außen­stehende als solche aufzufallen.

Es ist das Paradox solcher Arbeiten, dass sie letztlich doch musealisiert und in den Markt rückgeführt werden können, sobald hiervon Ton- oder Bilddokumente existieren. Das wusste auch Terry Fox, der in Deutschland durch eine 1970 gemeinsam mit Joseph Beuys durchgeführte Ak­tion im Keller der Kunstakademie Düsseldorf bekannt wurde. Aus diesem Grund hat Fox immer wieder betont, dass die einzelne Aktion nicht wiederholbar, archivierbar oder reproduzierbar sei. Foto-, Film- und Tondokumente seien nur Abfall gegenüber dem stets an den jeweiligen Ort gebundenen Ereignis. Diese Trennung von Aktion und Dokument unterscheidet den Klangkünstler Terry Fox von herkömmlichen Komponisten: Seine Arbeiten nutzen die akustischen Besonderheiten des Raumes und spielen mit ihnen, ohne dass es sich dabei um musikalische Darbietungen im eigentlichen Sinne handelt. Oft sind nicht einmal Musiker aktiv an den akustischen Prozessen beteiligt. Für »34 Turns«, eine seiner letzten, erst nach seinem Tod realisier­ten Klanginstallationen im Großen Wasserspeicher am Prenz­lauer Berg, hat Fox 34 Kammern eingerichtet, die der Architektur der Kathedrale von Chartres nach­empfunden sind. In diesen Kammern befinden sich mit Salzkris­tallen gefüllte Metallgefäße, die durch die Raumluft leise, kaum vernehmbare Schmelzgeräusche von sich geben. Terry Fox, erklärte der Philosoph Martin Kunz an­lässlich einer Ausstellung 1982 in Luzern, macht auf diese Weise »die Räume zu einem Klangkörper und tritt nur als Auslöser dieser Klänge auf. Damit macht er einerseits die räumlichen Qualitäten des Schalls und Klanges sichtbar, andererseits transformiert er die Räume selbst mit akustischen Mitteln.«

Parallelen zu John Cage und dessen berühmtem Ausspruch ­»Jeder Ton ist Musik« liegen auf der Hand. Und noch etwas anderes verbindet die beiden, nämlich ihre Vorliebe für Stille, genauer gesagt für den Einsatz von akustischen Ensembles am Rande der Hörbarkeit. Dies ist die andere Seite von Fluxus, weit entfernt vom Poltern, mit dem Fluxus-Künstler 1962 auf den Wiesbadener »Festspielen neuester Musik« einen Flügel in seine einzelnen Bestandteile zerlegten. John Cage bezeichnete sich selbst sowohl als Anarchisten wie auch als Zen-Buddhisten und erklärte die Gegen­sätze mit dem Bild des Yin und Yang. Wie kaum eine andere Avant­garde-Bewegung war Fluxus einerseits auf humoristische Weise aggressiv, der antikünstlerischen Sinnzertrümmerung von Dada verpflichtet, und esoterisch zugleich. Brachial-Aktionen und höchst meditative Arbeiten bildeten in der Bewegung keinen Widerspruch. Dies kennzeichnet auch das Lebenswerk von Terry Fox, der 1970 mit einem Flam­men­werfer die Universität von Berkeley betrat und auf dem Campus zum Entsetzen der anwesenden Mitstudenten sämtliche Blumenbeete abfackelte. »Es handelte sich um chinesischen Jasmin, vor fünf Jahren gepflanzt, der in zwei Jahren blühen sollte«, erklärte Fox, um die Boshaftigkeit seiner Aktion noch zu betonen. Mit ihr sollten die Napalm-Angriffe in Vietnam auch auf dem Campus sichtbar werden. Ein angesichts von Vietnam blühendes Blumenbeet erschien Fox als unerträgliche Lüge.

Von 1996 bis zu seinem Tod lebte Terry Fox in Köln. Eine »Hommage an Terry Fox« ehrt den Künstler vom 8. bis 10. Oktober mit einem umfangreichen Konzert- und Aktionsprogramm. Ganz im Sinne von Terry Fox stehen nicht musealisierte Werke, sondern Konzerte von Freunden und Wegbegleitern wie Charlemagne Palestine und Arnold Drey­blatt im Mittelpunkt.