Wer mit wem unter welchen Bedingungen?

Mit »Beeswax« läuft während der Cologne Conference ein Mumblecore-Film im Programm. Ein Blick auf ein Genre.

Labels sind klebrige kleine Biester. Einmal angebracht, bleiben sie haften wie der Teufel an der armen Seele, wie Fliegenpapier auf Brustbehaarung. Abreißen geht nicht mehr. Man kann sie bestenfalls verleugnen, aber das wird den Rest der Welt nicht daran hindern, einen ständig darauf anzusprechen. Besser, man dreht den Spieß um und verkündet bei jeder Gelegenheit, wie stolz man doch darauf sei, dieses Etikett zu tragen. Woraufhin die Gespräche weniger werden dürften, schließlich hat niemand Lust auf eine Unterhaltung mit einem, der nur ein Thema kennt: sich selbst.

Damit sind zugleich die Schwierigkeiten und der Erfolg einiger Ultra-Low-Budget-Filmemacher aus den USA umrissen, die seit einigen Jahren in losen Zusammenschlüssen und ohne eine »Schule« zu bilden Filme realisieren. Sie bitten Freunde und Bekannte vor die Kamera und lassen diese Dialoge, Emotionen und Situationen nach lockeren Vorgaben improvisieren. Und weil die Filmemacher keinen Wert darauf legen, alles in festen Umrissen auszumalen, sondern die elliptische Form, das Unartikulierte und den halb verschluckten Nebensatz bevorzugen, hat sich dafür der Ausdruck »mumblecore« etabliert. Und jetzt ist keine Diskussion über diese Filme mehr möglich, ohne sich nicht zugleich über Sinn und Unsinn dieses Begriffs auszulassen und Analogien zu ziehen: zur Nouvelle Vague, zu Dogme 95, zur Berliner Schule. Zu den Filmen von John Cassavetes, Eric Rohmer oder Jean Eustache.

Nun steckt in jedem dieser Vergleiche ein Quentchen Wahrheit und eine Handvoll Unsinn. Anstatt filmhistorische Referenzen herzustellen, kann man ebenso ganz andere Einflüsse erkennen. Punk beispielsweise, und dessen unangestrengtes Credo des Do-It-Yourself. Getreu dem Motto: Wir machen das so, weil wir das so machen – und wir laden unsere Freunde dazu ein. Meist geht es in den Filmen um die gegenwärtige Lage von Twenty-Somethings, die sich zwischen Künstlerdasein, ausgebremster Selbstverwirklichung und unterbezahlten Universitätsjobs an den Gedanken gewöhnen müssen, irgendwann erwachsen zu werden. Wenn sie eine Liste ihrer zukünftigen Ambitionen aufstellen, steht ganz oben: mehr Zeit draußen verbringen. Weiter reicht es nicht.

Die Antriebslosigkeit und die beständige Nabelschau ihrer Protagonisten bringt den Filmen und ihren Machern immer wieder den Vorwurf ein, Filme für ein privilegiertes Publikum zu drehen: Mitte 20, weiß, Mittelklasse, College-Ausbildung, politisch uninteressiert. Man kann es auch positiv formulieren: Die Filmemacher wissen sehr genau, wovon sie erzählen und zu wem sie sprechen. Derart präzise Zeichnungen dieses spezifischen gesellschaftlichen Segments in den USA wird man anderswo kaum finden. Und anders als die Exemplare des sogenannten Independent-Cinema, die in Wirklichkeit mit großzügigen Budgets in eigens eingerichteten Unterfirmen der Major-Studios hergestellt werden, sind die »Mumblecore«-Filme tatsächlich unabhängige Produktionen, die meist digital gedreht und im Selbstvertrieb übers Internet vermarktet werden.

Andrew Bujalski, dessen Debüt »Funny Ha Ha« von 2002 als Gründungsfilm des Genres gilt, dreht ausschließlich auf Zelluloid: die Körnung des 16-mm-Films als Ausweis der Aufrichtigkeit des Gezeigten. Seine Protagonisten findet Bujalski in seinem Bekanntenkreis, die Geschichten drehen sich um die Liebe, das Leben und was dafür gehalten wird. Die Figuren Bujalskis wirken in ihrem Handeln gebremst, Entscheidungen werden verschoben oder nie gefällt, Dialoge verlieren sich im Nirgendwo. In Bujalskis »Mutual Appreciation« erklärt der Indie-Musiker einer Radiomoderatorin auf einer WG-Fete, dass er nicht länger ihr Freund sein wolle. Woraufhin sie ihn verwundert ansieht: Sind wir zusammen? Auch in Bujalskis aktuellem Film »Beeswax« sind die Protagonisten die meiste Zeit damit beschäftigt, Gespräche darüber zu führen, welchen Status dieses Gespräch eigentlich gerade hat. Wer mit wem unter welchen Bedingungen eine Partnerschaft eingeht oder abbricht – ob intim, familiär, geschäftlich, juristisch – das ist die Frage, die alle Beteiligten umtreibt. Um im Bild des Titels zu bleiben: Jeder kann sich entscheiden, wie er sein Bienenwachs einsetzt – sich gemütlich in seiner Wabe einrichten oder aber eine Kerze anzünden, um die man sich mit anderen versammeln kann. Weil Bujalski ein unendliches Vertrauen in seine Darsteller hat, ist »Beeswax« einer dieser Filme, bei dem man vergisst, dass man im Kino ist und nicht bei Freunden zu Hause auf dem Sofa herumlümmelt.


Mi 30.9., 21 Uhr, Filmforum: Beeswax.
USA 09, R: Andrew Bujalski, D: Tilly
Hatcher, Maggie Hatcher, u.a., 100 Min.
Im Rahmen der Cologne Conference, 30.9.-4.10.
Info: www.cologne-conference.de

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