»Ich will den Krieg vor Gericht bringen«

André Shepherd ist der erste desertierte US-Soldat, der in Deutschland politisches Asyl sucht. Auf einer Vortragstour spricht er über seine Situation als Deserteur und Flüchtling, in Köln redete er unter anderem vor hundert Real­schülern. Im anschließenden Gespräch mit Anja Albert und Christian Steigels berichtet er von der Zeit im Irak, seiner Flucht und der Hoffnung auf ein neues Leben.

StadtRevue: Herr Shepherd, wie fühlt man sich als Deserteur?

André Shepherd: Gemischt. Eigentlich bin ich ein Mensch, der Sachen zu Ende bringt, die er begonnen hat. Aber meinen Vertrag bei der Armee konnte ich aus Gewissensgründen nicht mehr erfüllen. Der Irak-Krieg wird in den Geschichtsbüchern stehen – und ich muss meinen Kindern dann erzählen, was meine Rolle dabei war. Ich werde sicherlich nicht »Deserteur« auf meine Haustür schreiben – aber wenn mich jemand fragen wird, werde ich stolz darauf sein, was ich getan habe.

Gab es einen einschneidenden Moment, wo Sie dachten: Was wir tun, ist Unrecht?

Besonders das Chaos und die Zerstörung in Falludscha Ende 2004 haben sich mir tief eingebrannt. Die Apache-Helikopter, die meine Einheit reparierte, waren wichtiger Bestandteil dieser Operation. Wir belagerten die Stadt für sechs Monate und haben sie dem Erdboden gleichgemacht. Ein paar Tage vor den Kämpfen durften Frauen und Kinder weg, aber jeder Mann über zwanzig musste bleiben. Noch heute kann man wegen der Uran-Verseuchung einige Gegenden nicht betreten. Damit muss ich nun für den Rest meines Lebens klarkommen. Meine Arbeit hat zum Tod von vielen, vielen Menschen beigetragen, auch wenn ich nicht direkt gekämpft habe.

Sie hatten also schon während Ihrer Zeit im Irak Zweifel?

Ich habe dort erste Diskrepanzen bemerkt, zwischen dem, was uns erzählt wurde, und dem, was wirklich passierte. Das Land war keine Bedrohung, es gab keine Massenvernichtungswaffen. Das hat man uns sogar von Militärseite gesagt, aber als wir fragten, ob wir dann nicht gehen können, sagten sie: Nein. Als Gründe, warum wir im Irak waren, wurden uns ständig neue Sachen erzählt: Wir sollten die Menschen angesichts der bevorstehenden Wahlen beschützen, die religiöse Gewalt beenden, dann sollten wir Al-Quaida bekämpfen. Als ich zurück nach Deutschland geschickt wurde, recherchierte ich viel zum Irak-Krieg im Internet. Mir wurde klar, dass ich nicht mehr dorthin zurück kann und bin geflüchtet, als im April 2007 der zweite Marschbefehl kam.

Den Antrag auf Asyl haben Sie aber erst im November 2008 gestellt. Wie haben Sie es geschafft, sich hier 19 Monate lang zu verstecken?

Ich war in Süddeutschland. Die genaue Lage möchte ich nicht sagen, um meine Helfer nicht zu gefährden. In dieser Zeit habe ich mit vielen deutschen Organisationen darüber ­gesprochen, was ich machen kann. Denn ich wollte nicht in die USA zurück und dort ins Gefängnis.

Wie kamen Sie dann darauf, hier um Asyl zu ­bitten – immerhin hat das vor Ihnen noch kein amerikanischer Soldat gemacht?

Die Idee kam vom Military Counseling Network, einer Beratungsstelle für US-Soldaten in Deutschland. Die sagten mir auch gleich, dass sie nicht wüssten, ob es klappt. Aber als ich 2008 sah, dass die Kämpfe im Irak und Afghanistan weitergehen, entschied ich, mit dem Asylantrag auch ein Zeichen zu setzen.

In Ihrem Antrag argumentieren Sie, der Krieg sei völkerrechtswidrig. Warum haben sie sich denn überhaupt für diesen Krieg verpflichten lassen?

Die meisten Menschen gehen nicht zum Militär, weil sie unbedingt wollen, sondern weil es ihre letzte Chance ist. So war das auch bei mir. Ich lebte zwischen 2001 und 2003 zwei Mal für ein halbes Jahr in meinem Auto. Beim zweiten Mal dachte ich mir: So kann es nicht weitergehen. Ich wurde dann von einem Rekrutierer angesprochen. Ich sah das als Chance, ein neues Leben zu beginnen. Also unterschrieb ich im Januar 2004 – und im September war ich im Irak.

Und bis dahin hatten Sie noch keinerlei Zweifel an der Legitimität dieses Krieges?

Ich war ziemlich abgeschnitten von allem. Kein Internet. Nur ab und zu Nachrichten bei meinen Eltern. Die Medien in den USA sind fast alle gleichgeschaltet. Man hat nichts von dem erfahren, was Friedensorganisationen oder andere Regierungen an Kritik geäußert haben. Wenn etwas durchkam, zum Beispiel aus Frankreich oder Deutschland, wurde das immer als »old europe« dargestellt, wo die Leute alle verrückt sind.

Es klingt ein wenig so, als hätten Sie keine andere Chance gehabt, als in den Irak zu gehen. Als sei das ein Schicksal, gegen das Sie sich nicht wehren konnten.

Ich kann nur wiederholen: Ich wusste nicht, worauf ich mich einlasse. Die Armee hat uns nicht alles erzählt.

In den USA besteht die Möglichkeit, aus Gewissensgründen den Kriegsdienst zu verweigern. War das keine Option für Sie?

Dazu hätte ich der Überzeugung sein müssen, dass jeder Krieg falsch ist, egal, ob Angriff oder Verteidigung. Ich finde das irrsinnig. Wenn jemand in mein Haus kommt und mich und meine Familie bedroht, dann verteidige ich mich. Wenn man mir diese Frage gestellt hätte, hätte ich ehrlich antworten müssen. Hinzu kommt: Als Deserteur wird man in den USA ein Leben lang stigmatisiert. Man bekommt keinen Job, die meisten Leute verachten dich. Man kann auch gleich das Land verlassen.

So lange das Verfahren läuft, leben Sie in einem Asylbewerberheim in der Nähe von Karlsruhe. Wie ist das?

Besser als ich dachte, ein bisschen wie in einer Wohngemeinschaft. Wir kochen und putzen zusammen. Bei mir sind viele Iraker, das war zu­erst schon seltsam. Aber die wissen, wer ich bin.

Erwarten Sie denn noch in diesem Jahr eine Entscheidung?

Nein. Das ist ja kein gewöhnlicher Asylantrag, schließlich wird letztlich über die Legalität des Krieges entschieden. Ein positiver Bescheid des Bundesamtes für Migration wäre de facto eine Bewertung des Irakkriegs als illegal. Das ist dann nicht nur eine juristische, sondern auch eine politische Entscheidung. Und Deutschland will es sich nun mal nicht mit Amerika verscherzen.

Was machen Sie, wenn Ihr Antrag auf Asyl abgelehnt wird?

Dann leiten wir weitere Schritte ein, wenn es sein muss, gehen wir bis zum Europäischen Gerichtshof: Ich will den Krieg vor Gericht bringen.

Falls Sie Erfolg haben und Asyl bekommen, werden andere vermutlich Ihrem Beispiel folgen.

Ich erwarte nicht, dass alle in Deutschland stationierten Soldaten sofort Asylanträge stellen, aber wenigstens werden Menschen in der ganzen Welt wissen, dass es Orte gibt, an ­denen das möglich ist. Das Leben als Deserteur ist nicht einfach, du musst dich immer umschauen, und aufpassen, wer dich beobachtet – und das alles, weil du deinem Gewissen gefolgt bist.

Sie müssen damit rechnen, nie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren zu dürfen – auch wenn der Asylantrag in Deutschland akzeptiert wird.

Ich bin mir schon bewusst, dass ich mein Land nie wieder betreten werde – oder zumindest nicht die nächsten dreißig Jahre. Die Veteranen, die während des Vietnam-Kriegs desertierten, sind größtenteils nicht zurück­gekehrt. Die Vorstellung ist schon sehr hart.

André Shepherd aus Cleveland, Ohio, beantragte als bislang erster und einziger US-Soldat in Deutschland Asyl. Der 32-jährige frühere Informatik-Student beruft sich dabei auf eine EU-Richtlinie von April 2004, die besagt, dass Mitgliederländer Soldaten aufnehmen müssen, die nicht an einem völkerrechtswidrigen Krieg teilnehmen wollen. Solange sein Antrag läuft, steht
er unter dem Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention.
Im Juni 2009 heiratete Shepherd eine Deutsche.
Sein Anwalt hält eine Auslieferung an die USA,
wo ihm ­bis zu fünf Jahre Gefängnis drohen, daher
für sehr unwahrscheinlich.
Eine Entscheidung steht noch aus, derzeit läuft eine Anfrage des Bundesamtes für Migration an das ­Auswärtige Amt in Washington.