Wallraffs Karneval

Undercover-Journalist Günter Wallraff hat sich mit seiner Recherche zu Rassismus in Deutschland verhoben. Seine Print-Reportage »Schwarz auf Weiß« und der zugehörige Film sind konzeptuell fragwürdig und ­ästhetisch altbacken. Bernd Wilberg findet Wallraffs Vorgehen ärgerlich und hat mit dessen Berater Mouctar Bah und mit Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) gesprochen.

Wallraff war wieder unterwegs. Und immer, wenn er zurückkommt, ist es ein Ereignis. Presse, Fernsehen, Politik laufen heiß. Nach seinem Comeback von 2007 mit einer Reportage als Agent in Callcentern hat die Stimme von Deutschlands berühmtestem Undercover-Journalist wieder Gewicht. Seitdem veröffentlicht Wallraff regelmäßig im Zeit-Magazin Erlebnisse als Obdachloser oder als Niedriglöhner in einer schäbigen Brötchenfabrik.
Diese und weitere Reportagen liegen in einem Sammelband vor: »Aus der schönen neuen Welt«. Darin Wallraffs neuestes Stück »Schwarz auf Weiß«, das unter dem selben Titel auch als Doku im Kino läuft. Sein Anliegen: Rassismus aufdecken. Sein Vorgehen: sich als Schwarzer verkleiden.

Doch schon die Pressefotos des Filmverleihs zeigen, wie fragwürdig die Methode ist. Wallraff sieht aus, als wolle er bei der kölschen Karnevalstruppe »Negerköpp vum Eigelstein« anheuern. Es gebe zwar »durchaus ein technisches Problem, wenn man sich als Weißer in einen Schwarzen verwandeln will«, schreibt Wallraff. Doch »mit einem besonderen Sprühverfahren« und Maskenbildnerin hätte er das Problem gelöst. Doch man sieht, dass irgendwas nicht stimmt. Und es gibt auch noch andere als bloß technische Probleme, aber die sieht Wallraff nicht. Zum Beispiel eine Antwort auf die Frage zu finden, ob man sich als Journalist auch als Frau verkleiden muss, um über Sexismus berichten zu können. Zurecht würde dann kritisiert, dass sich erstens ein Mann nicht einfühlen könne und zweitens genug Erfahrungsberichte von Frauen vorliegen, die solch eine Travestie weder notwendig noch sinnvoll machen.

Mouctar Bah kennt diese Vorwürfe an das Projekt. Er ist Schwarzer, Freund von Wallraff und war dessen Berater beim Film. Bah lebt in Dessau, wo Anfang 2005 sein Freund Oury Jalloh auf einer Polizeiwache bei einem Brand starb – gefesselt auf einer Matratze. Die diensthabenden Polizisten wurden in einem Gerichtsverfahren freigesprochen. Seitdem kämpft Bah mit seiner Initiative für eine unabhängige Untersuchung des Falls. »Ich habe mich gefreut, dass Günter den Film macht«, sagt Bah. Er glaube nicht, dass Weiße erkannt haben, dass Wallraff kein Schwarzer ist und deshalb irritiert gewesen sein könnten. Selbst seine schwarzen Freunde hätten bei einem kurzen Besuch geglaubt, Wallraff wäre Schwarzer. »Deutsche sehen die Hautfarbe und zweifeln dann gar nicht mehr«, so Bah. Er hat Wallraff beraten, wo schwarze Menschen Rassismus ausgesetzt sind: wenn sie auf dem Campingplatz einen Stellplatz beantragen, einen Schrebergarten haben wollen, bei der Wohnungssuche, auf Ämtern. Man sieht tatsächlich viele Formen von Rassismus in Wallraffs Film. Mit am meisten schockiert war Bah über eine Kölner Vermieterin, die Wallraff bei der Wohnungsbesichtung zunächst freundlich behandelt, aber anschließend den vermeintlichen Wohnungssuchenden aus Wallraffs Team erklärt, dass kein Schwarzer ins Haus passe. »Dieser verdeckte Rassismus«, sagt Bah, »betrifft tatsächlich viele Schwarze, aber auch andere ausländische Mitbürger.« Bah erzählt auch von sogenanntem »positivem Rassismus«, etwa wenn weiße Deutsche über »niedliche Negerkindchen im Kinderwagen« ins Schwärmen gerieten. Man wünscht sich, Bah käme bei Wallraff zu Wort.
Stattdessen sieht man Wallraff einen Schwarzen imitieren – und welch unbegabter Schauspieler er ist. Seine Phantasiesprache soll das gebrochene Deutsch eines Flüchtlings aus Somalia sein, doch unablässig dringt Wallraffs Rheinisch durch; er spricht Menschen auf eine Weise an, die viele aufdringlich finden, meist ist er allein und mit Plastiktüte auf Tour.

Mouctar Bah gesteht zu, dass Wallraff vielleicht auch aufgrund dieser Erscheinung auf Ablehnung gestoßen sei. Im Anzug wird Wallraff beim Uhrenkauf zuvorkommend behandelt, im bunten Hemd will man ihm einen Chronographen nicht in die Hand geben. »Aber warum muss man als Schwarzer erst wie Obama aussehen, um akzeptiert zu werden? Warum darf man nicht in afrikanischen Klamotten herumlaufen?«, fragt Bah. Natürlich habe das Verhalten mit sozialem Status zu tun, aber Wallraff zeige, »dass man als Schwarzer, der nicht aussieht, als ob er viel Geld habe, aufgrund der Hautfarbe gleich zweimal diskriminiert wird«.

Auch darüber gibt es seit vielen Jahren zahlreiche Untersuchungen und Erfahrungsberichte von Schwarzen in Deutschland. Und dort erfährt man mehr über den alltäglichen Rassismus als bei Wallraffs Karneval. Seine Methoden können gar keine Analyse liefern. Vor einem Fußballstadion schlendert Wallraff ziellos herum und fragt Fans: Wer spielt? Wie geht das Spiel aus? Wollen wir wetten? Dass die Fußballanhänger zu einem Großteil Rechtsextreme sind, sieht man an ihren Nazisymbolen. Die Reaktionen sind dementsprechend. Der Erkenntnisgewinn dieses Abenteuers ist gering, wie hätte es auch anders sein können? Warum hat Wallraff nicht seinem Berater Mouctar Bah und anderen Schwarzen die ­Möglichkeit gegeben, den Film zu machen? Mouctar Bah sagt: »Das haben mich viele gefragt. Aber wenn ich das gemacht hätte, wäre es niemals so bekannt geworden wie bei Günter Wallraff.«

Der Preis dafür ist, dass Wallraff Rassismus mit der Methode der self fulfilling prophecy aufdecken will. Jenseits des offensichtlich rechtsextremen Milieus zeigen Wallraffs Episoden zwar auch Rassismus, aber vor allem, wie hartherzig und hilflos weiße Deutsche auf Einzelgänger (Wallraff ist fast immer allein) reagieren, die umständlich Anschluss suchen und zudem sozial deklassiert sind (Wallraffs auffälligstes Merkmal neben dem bunten Hemd sind die Plastiktüten). So sieht man ihn, wie er auf einem Stadtfest in Magdeburg ungelenk alleine schunkelt und tanzt, sich unterhaken will, aber abgewiesen wird; wie er steif, mit starrem Blick nach vorn auf einer Parkbank Platz nimmt, auf der schon ein älteres Paar sitzt, das kurz darauf Reißaus nimmt; wie er bei Gummersbach verspätet einem Wandertreff hinterherhetzt und ständig wissen will, wo es »Brummbeeren« gibt – das macht die Rentner stutzig und ängstlich und sie mögen auch rassistisch sein, doch viel freundlicher hätten vielleicht auch Antifas im Autonomen Zentrum nicht reagiert, die vermutlich dächten, ihnen sei ein verhaltensauffälliger Verfassungsschützer auf den Fersen.

Es ist bezeichnend, wo Wallraff Rassisten sucht: unter spießigen Rentnern, unter Fußballfans, in Ostdeutschland, in der bayerischen Provinz. Interessant wäre gewesen, zu erfahren, wie man Wallraff beim linksalternativen Brunch in Berlin-Friedrichshain, in einem Kölner Bürgerzentrum, in einem studentischen Club im Hamburger Schanzenviertel begegnet wäre. Oder auch in Gruppen anderer Migranten, schwarzer Geschäftsleute.

Wallraffs Methoden-Problem ist ein Problem seiner journalistischen Sozialisation. Wallraff verhält sich zum Stand der Rassismuskritik wie Alice Schwarzer zum aktuellen Feminismus. Es ist ein Indiz für die Orientierungslosigkeit dieser Generation engagierter Journalisten, sich in aktuellen Debatten zurechtzufinden. Beide sind 1942 geboren, beide haben mit Aufsehen erregenden Aktionen Diskriminierung angeprangert: Wallraff mit Reportagen über die Machenschaften der Bild-Zeitung oder die Ausbeutung migrantischer Arbeiter in seinem Bestseller »Ganz unten« von 1985; Schwarzer mit dem Engagement gegen den Abtreibungs-Paragraphen 218 oder mit ihrer »PorNo«-Kampagne von 1987. Doch so wie Schwarzer die Gender-Forschung nahezu ausklammert – so verirrt sich Wallraff in einer allzu schlichten Rassismus-Analyse und bringt sich selbst in den Verdacht, rassistische Muster zu kopieren. »Wallraff spricht über Schwarze anstatt mit ihnen«, kritisiert Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). »Mit diesem Film wurde eine Chance vertan, das ist ärgerlich.« Della glaubt nach Gesprächen mit Wallraff nicht, dass er diese Kritik überhaupt begreife. »Das sind die Methoden aus den 80er Jahren, man spricht über diese Menschen als Opfer, man gibt ihnen aber keine eigene Stimme.« Mouctar Bah sieht es positiver. Er will den Film an Schulen zeigen, dort könne man aufkommenden Rassismus noch verhindern. »Aber es ist auch nötig, dass die Weißen mehr mit Schwarzen ins Gespräch kommen, die Kultur verstehen«, sagt Bah. Ein Film von ihm über den alltäglichen Rassismus hätte weißen Deutschen dabei mehr geholfen als Wallraffs rückwärtsgewandter Coup.


Buch:

Günter Wallraff: Aus der schönen ­neuen Welt. ­Expeditionen ins Landesinnere, KiWi, Köln 2009,
325 Seiten, 13,95 Euro.


Film:

Schwarz auf Weiß, D 09, R: Pagonis ­Pagonakis, ­Susanne Jäger, 86 Min. ­
Bis Redaktionsschluss war der Film noch im Odeon, Südstadt zu sehen.