Schlechter Sex

Eine neue Böll-Biografie zeigt vor allem die

Schwächen des Kölner Schriftstellers

Selten liest man in einer Biografie bereits auf den ersten Seiten, dass das Werk des Porträtierten aus heutiger Sicht »mit seinen verwelkt wirkenden Ideen und Stimmungen nur noch als Sperrmüll« betrachtet werden könne. Kritische Anmerkungen wie diese zerstreuen so gleich zu Beginn die Befürchtungen, dass die Böll-Biografie »Das Schwirren des heranfliegenden Pfeils« allzu verklärend ausfallen könnte. Im Gegenteil.

Der Autor Christian Linder beschäftigt sich seit dreißig Jahren mit dem Phänomen Böll. Sein Ansatz: allzu sentimentale Erinnerungen aus dem Weg schaffen, um dafür die Stärken des Literaturpreisträgers, die noch heute Bestand haben, umso deutlicher herauszuarbeiten. Sein Böll ist nicht vakuumverpackt in die Historie eingeordnet, nein, dieser Böll hat uns auch heute noch einiges zu sagen.

RAF-Jagd mittels Schlagzeilen

Linder nähert sich Böll nicht chronologisch, er springt durch die Geschichte, ordnet thematisch. Gnadenlos arbeitet er dabei immer wieder die Schwächen von Bölls Literatur heraus. Ein Beispiel: Linder zieht Parallelen zwischen unbeholfen geschriebenen Liebesszenen und Bölls privater Verklemmtheit mit dem Thema der Frau als der gütig Gebenden, madonnenhaft Segnenden. Niemals gelinge es Böll, die Sprengkraft von Sex zu beschreiben. In diesen Passagen urteilt Linder gnadenlos, spricht Bölls Texten jede aktuelle Relevanz ab.

Aber natürlich geht es hier nicht um die Demontage eines Kölner Unantastbaren. Ausführlich werden die Vorkommnisse im Januar 1972 geschildert: Böll veröffentlichte damals im Spiegel den Text »Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?« Darin verurteilt er die »Aufforderung zur Lynchjustiz«, mit der die Bild-Zeitung seinerzeit die RAF mittels Schlagzeilen jagte.

Das Bild des engagierten Intellektuellen

Daraufhin wurde der Schriftsteller durch eine beispiellose Medien-Kampagne als Sympathisant der RAF gebrandmarkt. Er verließ monatelang sein Haus nicht, erhielt Drohbriefe. Schließlich stand eines Tages die Dürener Polizei auf seinem Grundstück in der Eifel und verdächtigte ihn, Terroristen Unterschlupf zu bieten. Im Oktober des folgenden Jahres wurde Böll dann mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.

In der Schilderung der damaligen Umstände gewinnt die Biografie an Fahrt – und das Bild des engagierten Intellektuellen an Schärfe. Und Linder selbst spricht einen Gedanken aus, der sich im Laufe dieser interessanten, gut geschriebenen Biografie aufdrängt: Über seine literarischen Leistungen lässt sich streiten, unumstritten ist allerdings die Fähigkeit Bölls, sich zeitgenössische Themen zu Eigen zu machen und durch seine Positionen Debatten anzustoßen.