Wege zum Ruhm

Die meisten wollen berühmt werden, andere bessern lediglich ihre Rente auf: Immer mehr Leute versuchen, über Casting-Agenturen einen Fuß ins TV- und Filmgeschäft zu bekommen.

Thomas Voburka über eine Branche, die mit Glamour lockt, aber nur selten Tariflöhne zahlt.

»Alle können was werden, nur du bleibst was du bist«, lautet ein alter Sinnspruch der Branche, der den Stellenwert, den der Statist in der Hierarchie einnimmt, exakt wiedergibt. Trotzdem wollen alle zum Film. Deutschland im Frühjahr 2002: An jeder Ecke eröffnet ein Casting-Büro, Stadtmagazine weisen den Weg in die »Star-Academy«, die Charts sind bevölkert von BroSis und No Angels.
Doch die Wege zum Ruhm sind mitunter steinig, kaum einer taugt wirklich zum Superstar, und selbst Andy Warhols »15 Minutes of Fame«, die dieser einst jedem zugestand, sind bedauerlicherweise nicht einklagbar. So bleibt so manchem Gescheiterten als letzter Ausweg und ultimativer Karriere-Kick nur die Alternative, selbst (Hoffnungsfrohe) zu vermitteln. Seit 1995 ist private Arbeitsvermittlung in Deutschland erlaubt. Man braucht lediglich einen guten Leumund und schlaffe 1.000 Euro Kaution – schon eröffnet man seine eigene Casting-Agentur und vermittelt Darsteller und Komparsen, was vorher dem »Künstlerdienst« der Arbeitsämter vorbehalten blieb.
Marlene Schmitt (»mit T-T«) aus Leverkusen erfüllte sich nach 20 Jahren »Statisterie« den Lebenstraum: Sie vermittelt nun Komparsen an Produktionen wie »Tatort« und »Nikola«. Doch die rothaarige Marlene zahlt leider nicht viel: 50 Euro Gage für zehneinhalb Stunden Arbeit sind selbst in einer Branche, welche die letzte Gehaltserhöhung in den 80-er Jahren sah, ein Hungerlohn. Für so wenig Geld gibt’s kein Talent: Und deshalb stehen die armen Statisten, die »Mama Marlene« (Szene-Jargon) mit dem obligatorischen Film-Bussi begrüßt, äußerst selten vor einer steilen Karriere.
Antje Schneider und Deborah Stender aus Düsseldorf gründeten 1999 die »A+D PEOPLE«-Agentur. 2.500 Kleindarsteller, Models und Komparsen haben sie in der Kartei, denen sie in knapp drei Jahren ca. 12.000 Auftritte vermittelten – im Schnitt hat man also Jeden fünfmal untergebracht. Dafür rufen einige der Statisten (»ungefähr 100«) jedoch auch dreimal pro Woche in der Agentur an und fragen nach einem Job. »Leider nicht immer die Begabtesten«, wie man gesteht, doch für so manchen der »Shooting-Stars« gibt es von »A+D« mehr als den üblichen »Fünf-Sekunden«-Auftritt. Der wird dann auch entsprechend honoriert: Bis zu 500 Euro pro Tag sind durchaus drin.

»Ich hatte ein Mentalitätsproblem«, erzählt Gad und kratzt sich hinter dem Ohr. »Ich war am falschen Ort (Schwelm), hatte einen Beruf, der mir nicht gefiel, und war umgeben von Leuten, die mich anödeten!« Mit 40 hat Gad dann seine Firma verkauft, seit acht Jahren wohnt er in Köln und verdingt sich liebend gerne als Komparse. »Wenn ich dürfte, ginge ich sieben mal in der Woche zu einer Produktion.« Der Privatier Gad gibt häufig die Rolle des exaltierten Lebemanns, die Filmwelt ermöglichte ihm die Begegnung mit Kreativen, die er in seinem Berufsleben als Kaufmann nicht traf.
Typen wie Artur. Der 31-jährige Rockabilly-Fan mit den weichen Zügen entwirft klobigen Silberschmuck und arbeitet nebenbei als Model für »Diesel«. Komparsenjobs »macht« er schon lange nicht mehr – seit er im letzten Film von Werner Herzog eine Sprechrolle hatte, liebäugelt er mit dem Schauspielerberuf. Falls es nicht klappt, kein Problem: »Eine Musikerkarriere tut`s auch«.
Artur und Gad sind die Ausnahmen im Komparsenmilieu. Die meisten der »Alteingesessenen« haben mit Kunst nichts am Hut, sie bessern Arbeitslosengeld oder (Früh-)Rente auf und suchen einen einfachen Job ohne Verantwortung. Längst haben sie die Quintessenz des Statistendaseins verinnerlicht: Selbst der Film macht aus Verlierern keine strahlenden Gewinner.

Mit dem Boom der privaten Fernsehsender in den 90er Jahren explodierte der Bedarf an Film- und Fernsehschaffenden. Begabte Autoren, Regisseure und Kameraleute fehlten an allen Ecken und Enden, und auch mit den Schauspielern war nicht allzu viel los. Manch teure Produktion erwies sich als Praktikanten-Stadl. Das Publikum fühlte sich den Künstlern gleichwertig, wenn nicht sogar überlegen: Die Darbietungen der diversen Veronas sorgten für das volksübergreifende »Kann ich auch«-Gefühl. Doch das Geschäft hat sich professionalisiert: Wer letztes Jahr die RTL-II-Serie »Popstars« gesehen hat, muss anerkennen, die Mädels und Jungs, die da agierten, sind fleißig und zeigen (mitunter) Talent. Viele haben eine Gesangs- und Tanzausbildung absolviert, und wie man einen »geraden« Satz in die Kamera spricht, weiß heutzutage ohnehin jeder x-beliebige Manndecker eines Bezirksligisten.
Nadine, 26, hat BWL studiert, aber keine Lust auf einen Job im Büro: »Kann ich immer noch machen, wenn ich älter bin!« Nadine ist blond, leidet garantiert nicht unter Magersucht, und hat ein ziemlich hübsches Gesicht. Seit sie vor einem halben Jahr zum ersten Mal ins Scheinwerferlicht trat (»Ladykracher«), hat sie Blut geleckt. »Mein Traum ist der Moderatorenberuf.« Unbeirrt verfolgt sie ihr Ziel, lässt sich von Rückschlägen nicht entmutigen und holt sich momentan den letzten Karriereschliff in Los Angeles. Menschen wie Nadine landen früher oder später bei »Mediabolo« in Hürth.
Die TV-Casting GmbH »Mediabolo« ist mit 290.000 erfolgshungrigen Menschen in der Kartei die größte Agentur im Land. Nebst Schauspielern, Kleindarstellern und Komparsen, die man überwiegend an Soaps, Talkshows und als Zuseher für Quizsendungen vermittelt, betreut man zurzeit auch 15 Moderatoren, die man bei Fernsehsendern, Radiostationen und, falls sich da nichts findet, mitunter schon einmal bei Messen unterzubringen versucht. »Casting ist die Kunst zu wissen, wen man sucht«, umreißt Geschäftsführer Joseph Z. Surholt selbstbewusst das Motto der Agentur.
Viele der »Mediabolo«-Mitarbeiter haben irgendwann einmal selbst bei einem Casting mitgemacht und wechselten erst später die Fronten. Die 20 fest angestellten Casting-Redakteure und die 40 »Freien« haben großen Spaß an ihrem Job. Sie sind jung, gut aussehend und unterscheiden sich bestenfalls marginal von den Leuten, deren Eignung für eine Fernseh-Karriere sie feststellen sollen.

Herr Suchrow arbeitet bei der »Komparsenvermittlung des Kölner Arbeitsamtes«. Liebevoll hat man dort Fotos und Biografien von 18.000 Statisten archiviert, die man an Film, Funk, Fernsehen und die Bühnen der Stadt vermittelt. Die Fotos an den Pinnwänden des Büros sind stumme Zeugen so manches Glanzauftritts der Schutzbefohlenen, doch in den letzten Jahren hat man nur noch wenig zu tun – fast scheint es, als wären die goldenen Zeiten vorbei. Warum das so ist, weiß Herr Suchrow nicht, kann den Grund bestenfalls erahnen: Wenn die MitarbeiterInnen der »Komparsenvermittlung« über »Tariflöhne« sprechen, »Kleidergeld«, »Überstunden«, »Wochenendzulage« oder »Nachtzuschlag«, dann hören die Produktionsfirmen nicht zu, und bezahlen lieber die Vermittlungsgebühr an die »Privaten« – die bei einer Vermittlung durch das Arbeitsamt entfällt. Bei der »Komparsenvermittlung des Kölner Arbeitsamtes« ist man erschüttert, dass sich so viele Menschen ausnutzen lassen, ob der vagen Aussicht auf ein klein wenig Ruhm. In dieser Hinsicht hat man nur wenig Tröstliches parat: Nur einer aus ihrer Kartei hat es nach Hollywood geschafft: Den Namen darf man aus »Gründen des Datenschutzes« zwar nicht nennen, doch soviel sei verraten: Der Mann ist »bewegt« und legt großen Wert auf die Feststellung, nicht mehr Statist zu sein.

Szenen eines Castings

Um bei der Gerichtsshow »Alexander Holt« Laiendarsteller zu werden, muss man seine gute Kinderstube vergessen können.

Bei der TV-Casting Agentur Mediabolo sucht man geeignete Kandidaten für die SAT-1-Gerichtsshow »Alexander Hold«. Mutig muss er sein, der Alexander-Hold-Kandidat, sprachgewandt sowieso und eine schauspielerische Grundausbildung wäre garantiert nicht verkehrt. Außerdem sollte der »Laiendarsteller« darauf gefasst sein, dass man ihn nach dem Auftritt in der Sendung für einen veritablen Sittenstrolch hält: Der Thrill der Hold-Fälle findet nämlich bevorzugt weit unterhalb der Gürtellinie statt. Was einer leisten muss, bevor er von Richter Alexander Hold verurteilt (Angeklagter), oder angehört (Zeuge) wird, hat Franz K. (46, Name von der Redaktion geändert) am eigenen Leib erfahren.
Die Einladung zum Casting verdankt er dem Tatbestand seiner Staatsbürgerschaft: Einen österreichischen Textilingenieur soll er mimen, der glücklich und zufrieden mit seiner Frau, einem »wesentlich jüngeren« Ex-Model in den Tag hinein lebt, bis zu dem Moment, als die Gattin im »Robinson Club« den nigerianischen Animateur Ken kennen und lieben lernt. Der tumbe Salzburger ahnt nichts von der Liebelei, wird nicht einmal stutzig, als Frau Textilingenieur zur Fortsetzung der Modelkarriere nach Deutschland zieht. Vermutlich würde er noch heute das Apartment bezahlen, das die untreue Frau längst mit dem gut aussehenden Afrikaner teilt, hätte die missgünstige Nachbarin nicht gepetzt. Zu allem Überfluss neigt Madame auch noch zur Bigamie, und hat Ken, zwecks Erlangung der Aufenthaltserlaubnis, geehelicht. Nun sitzt der »Animateur« (der auch nicht ahnte, dass es noch einen anderen Mann gibt) in Abschiebehaft, die Hauptdarstellerin steht wegen »Vielmännerei« vor Gericht, und selbst der gemütliche Österreicher ist nicht gewillt zu verzeihen. Die ideale Ausgangslage für einen typischen »Richter Alexander Hold«-Plot. Da trifft der (unterschwellig vorhandene) Rassismus des Österreichers auf den verletzten Stolz des Afrikaners und vor Gericht fliegen die Fetzen. Ganz so, wie es die knapp drei Millionen starke Alexander-Hold-Zusehergemeinde goutiert.

Ermutigt vom juvenilen Redakteur, ziehen Ken und Franz dann beim Casting über die Angeklagte her. Sie schimpfen wie die Rohrspatzen, genutzt hat es nichts: Nach München, zur Aufzeichnung der Sendung, fahren andere und kassieren das »Zeugengeld« (120 Euro). Sie entsprechen einfach nicht dem gewünschten Typ. Ken sieht zu wenig nigerianisch aus (Jung-Redakteur: »Sie könnten ja Italiener sein!«) und Franz ist der Auffassung, dass selbst ein Österreicher vor Gericht nicht seine (gute) Kinderstube vergisst.
Gemeinsam mit Franz und Ken bereiten sich an diesem Tag noch ein paar türkische Studenten und ein weibliches Zwillingspärchen auf das Casting vor. Die Türken wirken ausgesprochen kultiviert und haben ziemliche Mühe mit dem gewünschten »Stefan & Erkan«-Slang. Die Zwillinge sollen in einer Familientragödie agieren, in der die eine Schwester der anderen einen Becher mit Salzsäure zu trinken gibt. Warum machen hoffnungsvolle junge Menschen bei so einem Schwachsinn mit? Hakan: »Ist doch nur Fernsehen, glaubt ohnehin keiner, was da passiert. Deshalb kann ich mich auch nicht blamieren!« Ken, der bei der Stadtsparkasse den Kunden das »Online-Banking« erklärt, denkt ähnlich und macht »ohnehin fast alles für Geld«. Die Zwillinge, die in der Kreditabteilung einer Düsseldorfer Privatbank arbeiten, sind aus Abenteuerlust hier, und Franz war noch nie beim Fernsehen und will auch nie wieder hin.