»Die sagen alle, ich sei Kult«

»Blootwoosch, Kölsch un e lecker Mädche« – so singen es die Höhner und so schallt es an Karneval aus Hunderten von Eckkneipen und ­Sitzungssälen. Es scheint, dass Frauen im Karneval bloß als Funkemariechen oder bauchfreier Blickfang auf Herrensitzungen vorgesehen sind. Was denken die jecken Frauen selbst darüber? Johannes J. Arens hat mit Vertreterinnen des höchst offiziellen, aber auch des alternativen Karnevals darüber gesprochen. Bernd Wilberg nahm bei Mottoliedsängerin Marie-Luise Nikuta, der berühmtesten Frau des kölschen Karnevals, zu Hause auf dem Sofa Platz und ließ sich alles erklären.

 

 

Es gibt kein Klingelschild, und doch besteht kein Zweifel, dass es nur hier sein kann: Auf der schweren Holztür sind Dom und Kölschgläser eingearbeitet. Als die Tür aufgeht, steht dahinter Marie-Luise Nikuta in dem kleinen Flur wie auf einer Bühne. Selbst wenn sie nicht ihr blaues Bühnenkostüm angezogen hätte, würde man denken, sie müsse gleich anfangen zu singen. Stattdessen ist man aber schnell in ein lebhaftes Gespräch verwickelt: dass die Scheibenwischer ihres Autos nicht richtig funktionieren, dass sie dringend zum Friseur müsse, dass sie wohl einen Schnupfen habe, vielleicht aber auch eine Allergie, die Augen tun weh, aber die Stimme ist da. Das ist die Hauptsache für die Grande Dame des kölschen Karnevals. In ein paar Tagen beginnen ihre Auftritte, sechzig sind es insgesamt im Jahr.

Vom Flur aus führt eine schmale Treppe in den ersten Stock, links und rechts sind die Wände übersät mit Karnevalsorden. »Die kann ich ja nicht weggeben«, sagt Nikuta. »Ich habe jeden einzelnen aufgehoben, und wenn ich mal nicht mehr bin, werden die verkauft, natürlich für einen guten Zweck.«
Auch im Wohnzimmer erkennt man ihre Leidenschaft für’s Kölsche und den Karneval, allerdings nur in Details. Nichts ist hier überbordend, es ist die Wohnung einer 71-Jährigen, akkurat und aufgeräumt, alles ist an seinem Platz. An der Wand ein kleines Etui, »Brillengarage« steht da drauf. Hinter dem Fernseher ein Bild, dass sie mit Willy Millowitsch zeigt.

Wir sitzen auf der beigefarbenen Couch und trinken Kakao aus der Thermoskanne. »Richtigen Kakao, so wie früher«, sagt Nikuta und gießt die Tassen voll, »nicht Kaba oder so Zeug.« An der linken Seite der großen hellen Schrankwand steht eine kleine Stereo­anlage, rechts ein Klavier. Hier schreibt sie ihre Lieder.
Als Kind hatte sie Unterricht, aber sie kam nicht mit der strengen Klavierlehrerin zurecht. Den Rest hat sie sich selbst beigebracht. »Ich kann keine Kunststücke, aber es reicht aus.« 150 Lieder hat sie mittlerweile im Repertoire. »Alles selbst getextet und komponiert«, sagt Nikuta, und es ist einer der wenigen Momente an diesem Nachmittag, an dem in ihrer Stimme etwas Stolz mitschwingt. »Die Leute denken ja oft, ich mach nur Karnevalslieder, die Mottolieder. Aber mir geht es um so kleine Geschichten aus dem Leben.« 1972 hat sie die Willi-Ostermann-Medaille bekommen, quasi der Karneval-Nobelpreis – für ihre Verdienste um das kölsche Liedgut.

Köbesjacke und Röckchen

Angefangen hat alles 1968. Die damalige Versicherungskauffrau bei Gerling hatte gerade ihre Tochter geboren, als sie mit »Kölsch, Kölsch, Kölsch« dem Festkomitee ihr erstes Lied vorstellte. »Im Abend­kleid konnte ich so was schlecht bringen«, erklärt Nikuta. »Da bin ich dann mit Köbesjacke und kurzem Röckchen und Kölschkranz aufge­treten. Das kam natürlich gut an beim Elferrat, die bekamen ja auch immer lecker Kölsch.« Den Kölschkranz hat sie längst nicht mehr auf der Bühne dabei, weil ihr davon die Schulter schmerzt. Aber ihre blaue Jacke erinnert immer noch an das Köbeskostüm von damals.
Seitdem hat sie fast jedes Jahr ein Lied zum Sessionsmotto geschrieben, dreißig sind es mittlerweile. »Klar, manche Mottos waren natürlich saublöd, aber irgendwie ist mir immer was dazu eingefallen«, sagt sie und grinst. Das aktuelle Motto heißt »In Kölle jebützt«. Eine lösbare Aufgabe. »Na, da hatte ich schnell eine Idee, ich habe viele Freun­dinnen und Bekannte, die ihre Männer im Karneval kennengelernt haben. Da hab ich dann eine kleine Liebesgeschichte daraus gemacht.«

Für diese Mottolieder ist Nikuta bekannt und beliebt, aber bei einigen, die mit Karneval nicht viel anfangen können, auch gefürchtet. In der Stunksitzung wurde Nikuta oft mit Hohn und Spott überzogen. Anfangs habe sie das gekränkt, sagt sie. Der Kabarettist und Stunker Jürgen Be­cker habe ihr dann aber mal gesagt, man könne doch nur über Prominen­te Witze reißen, das habe sie dann eingesehen. Und überhaupt, die Zu­neigung überwiegt längst. Auf der Straße werde sie oft angesprochen und zum Kaffee eingeladen. Nikuta wirkt immer noch darüber verwundert. »Irgendwie mögen die mich, aber ich muss doch auch mal in Ruhe ein­kau­fen können.« Nikuta lacht etwas unsicher: »Die sagen, ich sei Kult.«

Auf Händen durch den Saal getragen

Kult ist Marie-Luise Nikuta vor allem in der schwulen Karnevalsszene. Als eine der ersten Vertreterinnen des offiziellen kölschen Karnevals ist sie auf schwulen und lesbischen Sitzungen aufgetreten. »Ich war Mitte der 70er Jahre engagiert im Pimpernell, das war eine Diskothek am Rudolfplatz. Mein Mann und ich kamen da rein, und da waren da nur Männer – die tanzten und küssten sich! Ich war so doof, ich wusste gar nicht, wo ich da bin!«, erzählt Nikuta und lacht ziemlich laut. »Mein Mann hat mich erst mal aufgeklärt. Da hab ich ihn gefragt, was ich machen soll. Und mein Mann meinte nur: Ja, singen! Was denn sonst?« Am Ende sei sie vom Publikum auf Händen durch den Saal getragen worden.

Anfangs habe man sie wegen Auftritten auf schwulen Sitzungen angefeindet, viele Briefe habe sie bekommen. »Damals war man noch nicht tolerant. Aber ich hab gesagt, was ich mache, geht euch nichts an.« Heute tritt Nikuta regelmäßig im schwul-lesbischen Karneval auf, für die schwule »Stattgarde Colonia Ahoj« und den CSD hat sie jeweils ein Lied geschrieben. »Die können feiern bis zum Abwinken!«, schwärmt Nikuta.

Dennoch hört man von ihr keine schlechten Worte über das Festkomitee und den offiziellen Karneval. Mit einer Ausnahme: »Heute sind die Sitzungsprogramme irgendwie alle gleich«, sagt sie. »Egal ob Rote Funken, Blaue Funken, Ehrengarde, Prinzengarde – immer sind Stelter, Cantz, Metzger, Willibald Pauls, Paveier, Höhner, Bläck Fööss dabei.« Und das mache es für den Nachwuchs schwer.
Natürlich mag sie die Bläck Fööss, auch die Höhner. »Aber musikalisch und vom Kölschen her, da sind die Bläck Fööss die bes­ten.« Das CD-Regal im Wohnzimmer ist nicht sonderlich groß, aber Nikuta sagt, sie möge sehr viel Musik, »auch englische Sachen wie die Beatles oder früher Bill Haley, das fand ich toll.« Selbst an Opern kann sie Gefallen finden, »bloß dieses Techno ist nicht mein Fall, da fehlt mir die Melodie.« Dass es im Karneval mittlerweile kaum noch Karnevalsmusik gebe, findet sie schade. »Oft ist das so Schlager- oder Ballermann-Musik, aber die Leute wollen doch richtige Karnevalsmusik hören«, sagt Nikuta.

»Ich hatte halt die guten Lieder«

Ob Frauen es im Karneval schwerer haben als Männer? Ja, das sei wohl so, sagt Nikuta und lehnt sich ins Kissen zurück, während sie sonst kerzengerade auf dem Sofa sitzt. Als sie 1968 beim Vorstellungsabend des Festkomitees aufgetreten sei, hätten die Männer sie nicht ernst genommen. Einer habe gesagt: »Ach, da ist wieder ’ne doofe Hausfrau, die singen möchte.« Nikuta beugt sich wieder vor und lacht, aber ohne jegliche Häme oder Genugtuung. »Ach, ich hätte nie gedacht, dass das ich mal so weit komme«, sagt sie und fügt nach einer Pause hinzu: »Aber ich hatte halt gute Lieder.«

Dass die Witze im Karneval frauenfeindlich seien, findet sie nicht. »Also es gibt ja auch genug Witze über Männer.« Sie störe es aber, wenn man sich über Schwache und Gebrechliche lustig mache. »Und dann immer diese Düsseldorf-Witze, das finde ich so läppsch – wenn es nichts mehr zu lachen gibt, müssen die Düsseldorfer dran glauben.« Nikuta vermisst die alten Büttenredner. »Das liegt daran, dass die Leute heute nicht mehr richtig zuhören auf den Sitzungen.«
Warum es so wenig Frauen im Karneval gibt? »Tja, Karneval ist immer schon eine Männerhierarchie gewesen«, sagt sie. Sie habe auch keine Ellenbogen gehabt, um sich durchzusetzen, nur ihre Lieder. Die habe sie immer zuerst ihrem Mann vorgespielt. »Wenn ich das mitsingen kann, hat er immer gesagt, dann können die das im Saal auch!«
Die Eingangstüre, sagt Nikuta, habe ihr Mann ihr geschenkt, nach eigenen Plänen beim Schreiner in Auftrag gegeben. Vor anderthalb Jahren ist Willi Nikuta gestorben. »Mein Mann hat mich immer unterstützt«, sagt Nikuta. Nein, es sei nie schwierig für ihn gewesen, dass sie prominent sei.

Soundcheck via Handy

Die Thermoskanne mit dem Kakao ist leer, jetzt hören wir uns noch »Ne Grömmel in d’r Tröt« an. Das Lied ist von 1972, aber Nikuta hat es neu aufgenommen: die Wechselbässe, die überdeutlichen Phra­sierungen ihres Gesangs, die Rückung der Melodie um einen Ganzton in der letzten Strophe – alles, all das, was Nikutas Musik ausmacht, kommt vor. Auch im Text, der ein ideales Köln besingt: den Spaß am Karnevalfeiern, die Bläck Flööss und die Höhner, Geißbock Hennes und FC. Im Refrain heißt es, dass alle weitersingen, auch wenn sie einen »Grömmel in d’r Tröt«, frei übersetzt: einen Frosch im Hals, haben. Das Lied ist soeben unter die zwanzig beliebtesten Karnevalslieder in der Reihe »Loss mer singe« gewählt worden. Nikuta hat das schon am Telefon erzählt, es ist das zweite Mal heute, dass sie, die sich sonst so bescheiden gibt, stolz wirkt. Nein, viel Geld könne man nicht verdienen, wenn man Kölsch singt, sagt Nikuta. Sie habe eine kleine Rente und die ihres Mannes. Aber sie mache weiter, in ein paar Tagen gehe es wieder los. »Hoffentlich ist die Erkältung dann weg«, sagt sie.

Lampenfieber hat sie längst keines mehr nach über vierzig Jahren auf der Bühne. Meist tritt sie mit Halbplayback auf, aber demnächst mal wieder mit richtiger Kapelle. Proben kann sie dafür nicht mehr. Während des Soundchecks hört sie sich die Kapelle via Handy an. »Dann kann ich sagen, ein bisschen schneller oder langsamer. Was soll ich denn so früh schon da sein? Da sitze ich dann nur blöd rum.«
Mittlerweile ist es draußen dunkel geworden. Über dem großen Fenster zum Garten ist ein Kölnpanorama aus Holz angebracht. »Warten Sie mal«, sagt Nikuta und bückt sich etwas umständlich in eine Wohnzimmerecke. Plötzlich erstrahlt das Kölnpanorama in indirekter Beleuchtung. Dann marschiert Nikuta zur Schrankwand und holt eine selbstgebrannte CD mit ihren Mottoliedern heraus. »Das sind aber nur die letzten zwanzig Jahre«, sagt sie. »Alle Mottolieder passen ja gar nicht auf eine CD drauf.«

Das aktuelle Mottolied von Marie-Luise Nikuta heißt »In Kölle jebützt« und ist als Maxi-CD erhältlich. Darauf findet sich auch eine neue Version ihres Songs ­»Ne Grömmel in d’r Tröt«, der gerade in die Top-20 von »Loss mer singe« gewählt worden ist. Eine Werkschau mit den 25 größten Hits – darunter nicht nur Mottolieder – versammelt die CD »Typisch Nikuta«.