Liebe rostet nicht

 

 

Heiligabend wurde Lemmy von Motörhead 65. Er hat also alles gesehen und überlebt, und so kann er die Wahrheit sprechen, egal wie schlicht die ist. Lemmy sagt also über Karrieren im Rock’n’Roll: Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Anvil wurde das Unglück zuteil, fast immer zu falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Das ist zu oft die Heimatstadt Toronto, wo Sänger Steve »Lips« Kudlow und Drummer Robb Reiner 1973 als Teenager die Metal-Band gründeten.

Wir sehen die beiden zu spät zu einem Gig in einem leeren Prager Kellerloch kommen, in dem sie sich fast noch um die Gage hauen müssen, wir sehen sie auf Fes­tivals, wo sie als Opener quasi noch vor Einlass auftreten müs­sen. Sie könnten heulen, und das tun sie auch. Denn den 50-Jäh­rigen ist bewusst, dass ihnen auf den Köpfen nicht nur die lockige Währung des Metals allmählich ausgeht und der obli­gatorische nackte Oberkörper auf der Bühne kaum mehr sa­tis­faktionsfähig ist. Lips und Robb reden auch schon vom Sensen­mann, der inzwischen näher scheint als ein möglicher Erfolg.

Zwei Jahre lang hat Sacha Gervasis die Speed-Metal-Pioniere begleitet. Gervasis war in den 80er Jahren Anvil-Fan und -Roadie. Später war er zeitweise Drummer der US-Band Bush, um schließlich als Drehbuchautor von Steven Spielbergs »Terminal« einen Welterfolg zu feiern.
Da Vergleiche mit der Musik-Doku-Fiction »This Is Spinal Tap« nicht zu verhindern sind, wenn ein Film von einer Band neben der Erfolgsspur handelt, beginnt Gervasis seine Dokumentation gleich mit Anspielungen, so sieht man auch Lips einmal den Lautstärkeregler seines Verstärker s auf elf drehen. Dann aber nimmt »Anvil« eine ganz andere Richtung und wird zu einem Liebesfilm. Manchmal würde er gerne von der Klippe springen, sagt Lips, als wieder einmal gar nichts geht und er an Brotjobs in Großküchen und Call Centern leidet. »Kannst du nicht«, erwidert sein Jugendfreund Robb, »weil ich dich aufhalten würde«. Der Film wäre nur ein Fünftel wert und Anvil als er­folglose Band austauschbar, wenn diese Freundschaft nicht wäre zwischen dem manisch-depres­si­ven Lips und Robb, dem melan­cholischsten Drummer seit Erfin­dung der Kesselpauke.

Doch es gibt ein Happy End, das der Film nicht zeigen kann. Weil es erst nach – und durch – ihn kam. So hat Gervasis’ Geschichte einer Freundschaft nicht nur auf Filmfestivals be­geis­tert, sie hat AC/DC ver­anlasst, Anvil als Vorgruppe zu buchen und Plattenfirmen um die Gunst der Band buhlen lassen. Lips ist gerade weit weg von den Klippen: »More recording«, ist auf der Band-Homepage zu lesen, »more gigs, more – more than ever!«

Anvil (dto) USA 08, R: Sacha Gervasi, Preview: 8.3., Rex, 19:30 Uhr, 80 Min. Start: 11.3.