Bedrohte Idylle

Todd Fields beeindruckendes Spielfilmdebüt »In the Bedroom« nimmt sich Zeit – mit gutem Grund.

Für den Architekten Frank Lloyd Wright bildete der Kamin den Kern des »Prairie House«, seiner Version des amerikanischen Einfamilienhauses. Der Kamin verankert das Haus; um ihn herum liegen die Wohn- und Esszimmerbereiche, wo sich die Familie zusammenfindet. Das Zentrum des amerikanischen Familienfilms ist jedoch häufig das Schlafzimmer, genauer gesagt das elterliche Bett. Hier wird die Familie gezeugt, wenn dies auch selten zu sehen ist, und hier bricht sie auseinander.
Das Schlafzimmer ist aber auch der Ort, wo über die Familie reflektiert wird, wo das in steil aufgestellte Kissen gebettete Ehepaar die Probleme seiner Kinder diskutiert. Auch Matt und Ruth Fowler (hervorragend: Tom Wilkinson und Sissy Spacek) besprechen die Belange ihres Sohnes abends im Bett, wo sie, so wird impliziert, auch noch andere Dinge tun. Alles deutet auf eine harmonische Beziehung, gewachsen im Rahmen eines beschaulichen Kleinstadtlebens. Matt betreibt eine kleine Arztpraxis, Ruth ist Musiklehrerin an der örtlichen High School. Sie haben gute Freunde, und sie haben ihren Sohn Frank, ihr ganzer Stolz, wird er doch schon bald ein Architekturstudium beginnen. Frank ist glücklich mit Natalie, der Mutter zweier kleiner Jungen, die von ihrem Mann getrennt lebt. Trotz seiner beruflichen Pläne ist Frank, seine Vorliebe für Wright belegt es, familienorientiert.

Ruhe und Alltäglichkeit

Die Fowlers leben in Camden, einem traditionsreichen Fischerort an der Küste Maines. Hier hat das Leben einen eigenen langsamen Rhythmus, den sich Regisseur Todd Field für sein Spielfilmdebüt ganz zu Eigen gemacht hat. Mit unglaublicher Ruhe beobachtet er seine Figuren bei ihren alltäglichen Gewohnheiten, sei es bei der Arbeit oder beim Kartenspiel, wodurch wir sie auf ganz unmittelbare Weise kennenlernen. Wenn gleich in der zweiten Szene Matt und Frank mit einem von Natalies Söhnen hinausfahren, um Hummerfallen zu leeren, offenbart sich Matts gutmütiges Wesen im Umgang mit dem kleinen Jungen. Was wir aus seinen an das Kind gerichteten Ausführungen über Hummer und Hummerfalle erfahren, liefert jedoch auch einen wichtigen Schlüssel für das Verständnis des weiteren Geschehens. An den Ausflug auf’s Meer werden wir uns erinnern, wenn Matt ein zweites Mal hinausfährt, sich jedoch ganz anders verhält. Wie das Fischen werden sich auch andere Tätigkeiten wiederholen und so zum Spiegel der Veränderung im Leben der Fowlers werden.
Nicht nur die Gewohnheiten, auch die häusliche Umgebung der Familie wird bis ins kleinste Detail registriert. Kaum zu zählen sind die Verweise auf Maler wie Andrew Wyeth, Winslow Homer und Edward Hopper, die wie Wright als spezifisch amerikanische Künstler gelten. Mal sind es direkte Referenzen, wie das Buch, das Ruth liest, oder an Franks Schreibtisch geheftete Abbildungen von Wrights Gebäuden. Mal sind es einzelne Szenenbilder, die das Werk der genannten Maler evozieren: eine Gardine am offenen Fenster, die sich leicht im Wind bewegt; das Haus der Fowlers in der Dämmerung; das Gesicht von Sissy Spacek, dessen Ähnlichkeit mit einzelnen Porträts von Wyeth fast unheimlich ist. Dieses Bildvokabular assoziiert die Fowlers mit einer amerikanischen Tradition, in der sich die Sehnsucht nach einer pastoralen Idylle – eingefangen in der Anfangssequenz des Films – mit dem Wissen um die Möglichkeit eines jeder Zeit hereinbrechenden Unheils verbindet.

Beschädigte Idylle

Ein solches Unheit ereilt die Fowlers: Richard, Natalies eifersüchtiger Ehemann, erschießt Frank. Die eigentliche Tat wie auch Richards erster gewalttätiger Streit mit Frank sehen wir nicht. Diese Auslassungen zwingen uns, darüber zu reflektieren, auf welcher Basis wir die Frage von Schuld und Sühne entscheiden, die für Matt und Ruth sofort beantwortet ist. Für sie steht fest, dass Richard Frank ermordet hat. Was wirklich passiert ist, ob es vielleicht ein Unfall war, ist für sie irrelevant. Sie wollen, dass Richard lebenslänglich büßt. Doch das Gesetz verwehrt ihnen diese Genugtuung, was es noch schwerer für sie macht, sich mit dem Tod ihres Sohnes abzufinden. Unfähig über ihren Verlust und ihre Wut zu sprechen, beginnen sie einander und das gemeinsame Bett zu meiden.
In Sean Penns Film »The Crossing Guard« (1995) schaffen es die Eltern nicht, diesen Prozess der Entfremdung, der auf den Verlust ihrer Tochter folgt, zu überwinden. Der Film setzt ein, als die beiden schon längst geschieden sind. Da die Mutter sich mit dem Tod des Kindes abgefunden hat, konzentriert sich der Film auf den Vater und dessen Befreiung von seinem Schmerz und seinen Rachegefühlen. In Penns Film geht es schließlich um die Erlösung durch Vergebung.
Obwohl Todd Field sich anders als Penn aller Dramatik verweigert, würde man seinem Film viel Spannung nehmen, verriete man, ob er für die Fowlers eine ähnliche Lösung bereithält. Immerhin nimmt der Film noch einmal eine deutliche Wendung, und obwohl er das ruhige Tempo beibehält, wird nun die Handlung von einem eindeutigen Willen vorangetrieben. Spätestens im dritten Akt erkennt man, dass sich der Film so viel Zeit nimmt, um nichts unvorbereitet zu lassen.
Maren Hobein

In the Bedroom (dto) USA 01, R: Todd Field, D: Sissy Spacek, Tom Wilkinson, Marisa Tomei, 138 Min.
Start: 2.5.