Sexy Bastard

Nach »Amores Perros« kommt jetzt mit dem Teen-Film »Y tu mamá también« von Alfonso Cuarón ein zweites Werk eines jungen mexikanischen Filmemachers in die Kinos, das seine US-amerikanischen Vorbilder übertrifft.

Globalisierungsgegner – ein blödes Wort, da sind sich von liberal bis links, von Benjamin Barber bis Antonio Negri alle einig. Auch der mexikanische Regisseur Alfonso Cuarón kann mit dem Begriff wenig anfangen: »Die Diskussion sollte doch nicht darüber geführt werden, wie man die Globalisierung verhindert, sondern wie man sie demokratisiert – wie können wir sie verwirklichen, ohne Kulturen und Lebensweisen zu vernichten?« Eine Stimme, die unter all den Geistesgrößen, die sich über eine neue gerechtere Weltordnung die Köpfe zermartern, wenig auffallen würde, hätte Cuarón (»Große Erwartungen«) nicht einen Film gemacht, der die Potenziale einer wahrhaft globalisierten Kultur aufzeigt.
»Y tu mamá también« ist ein globaler Bastard, gedreht von einem Regisseur, der nach zehn Jahren Hollywood genervt von der US-amerikanischen Teen-Movie-Welle nach Mexiko zurückgekehrt ist, um ohne (Doppel)Moral und Heuchelei einen Film über hormongesteuerte Heranwachsende zu machen. Herausgekommen ist eine Mischung aus Coming-of-Age-Geschichte und Roadmovie, Nouvelle Vague und schwitzigem Sexfilm, zu gleichen Teilen »Bevis & Butthead« und »Jules & Jim«.

Der pubertäre Blick

Cuarón erzählt eine einfache Dreiecksgeschichte. Julio und Tenoch sind erst 17, Luisa, das Objekt ihrer Begierde, bereits 28. Auf einer Familienfeier lernen die beiden die verheiratete Spanierin kennen und laden sie zu einem Ausflug zum erfundenen Traumstrand Boca del Cielo (»Himmelsmund«) ein. Überraschenderweise geht Luisa auf das Angebot ein. Und bald sitzen die Drei in einem Auto und machen sich von Mexico City aus auf den Weg mit einer nur vagen Vorstellung davon, wo es eigentlich hingehen soll – auch wenn die beiden Jungs natürlich ein klares Ziel verfolgen.
Es geht also nicht um Footballspieler, die verklemmte Physik-Asse verprügeln oder die richtige Partnerwahl für den Abschlussball, aber wie in US-amerikanischen Produktionen treibt letztlich die Identitätssuche der jugendlichen Protagonisten die Geschichte nach vorne – auch wenn dieser Prozess in »Y tu mamá también« am Ende alles andere als abgeschlossen ist. Julios und Tenochs Leben wird durch die Reise für immer verändert, aber ihre Zukunft ist genauso ungewiss wie zu Beginn.
Was Cuaróns Film von Hollywood übernimmt, ist der »pubertäre Blick«, wie ihn Georg Seeßlen beschreibt: »›Pubertär‹ ist eben jener Blick, der mit einer Mischung aus Panik und Geilheit auf die Funktionen des Körpers gerichtet ist. Und dieses Interesse geht wahrlich von jedem Furz bis zur fachgerechten Zerstückelung des Körpers in den Slasher Movies. Sabber, Spritz und Kotz! Irgendwie kommt man in den Duschraum der Mädchen, in die Toilette, ins Leichenschauhaus.« Kollektive Onanierwettbewerbe im Freien, frühzeitige Orgasmen, nach dem Pinkeln mit ungewaschenen Händen Pizza essen – Szenen aus »Y tu mamá también«, die typisch sind für die Teenmovies der letzten Jahre. In der Darstellung von Sexualität unterscheidet sich Cuaróns Film dennoch deutlich gerade von US-amerikanischen Produktionen – und das nicht nur dadurch, dass man gerade die beiden Jungs häufig komplett nackt sieht. Während die Produktionen aus Mexikos nördlichem Nachbarland eigentlich nur zwei Arten der Darstellung von Sexualität kennen – komisch oder romantisch – gelingt »Y tu mamá también« eine weitaus realistischere und meist gerade deshalb humorvollere Schilderung menschlicher Intimitäten. Mal ist der Sex unbeholfen, mal überschwenglich, meist beides zugleich, aber nie lächerlich oder kitschig.

Die alltägliche Konfrontation mit dem Tod

Vom Duschraum der Mädchen in die Toilette, ins Leichenschauhaus. Auch »Y tu mamá también« folgt diesem Weg, aber anders als gewohnt. Während im Slasher-Film Teenager Serienkillern geopfert werden als Sühne für die Überschreitung gesellschaftlicher Regeln (meist Drogengebrauch oder illegitimer Sex), ist der Tod in Cuaróns Film Alltag, ständiger Begleiter auf dem Trip durch Mexiko: Früh im Film erklärt eine Stimme aus dem Off, dass an der Stelle der Straße, die die beiden Protagonisten gerade passieren, vor kurzem ein Migrant überfahren wurde, der den Weg zur Arbeit abkürzen wollte, später passiert das Trio Straßensperren mit maschinengewehrbehangenen Soldaten, und am Ende wird das Trio direkt mit dem Tod konfrontiert.
Es wirkt häufig unbeholfen, wie Cuarón unvermittelt zwischen Sex und Tod, Banalität und Ernsthaftigkeit hin und her springt – aber genau diese scheinbare Unausgegorenheit vermittelt eindringlich die Lebenswelt der 17-Jährigen. In welcher anderen Lebensphase schwankt die Befindlichkeit so zwischen Lebenslust und Selbstmordgedanken wie in der Pubertät?

Genregrenzen überrennen

So wird eine scheinbare Schwäche letztlich zur Stärke des Films. Dass allerdings Luisas Seitensprung am Ende doppelt gerechtfertigt wird, ist ärgerlich. Es scheint, dass bei Cuarón für Frauen immer noch andere moralische Maßstäbe gelten als für Männer.
Was an »Y tu mamá también« am meisten beeindruckt, ist die Lebensenergie, die er ausstrahlt. Mit viel Verve nimmt Cuarón ein von Hollywood geprägtes Genre und legt dessen Grenzen bloß, indem er sie überrennt. Und entlarvt somit alle »politisch unkorrekten« Tabubrechereien aus Hollywood als billigen Budenzauber.
Amerika mag vielleicht der Welt die popkulturellen Trends vorgeben, was daraus in neuen Kontexten gemacht wird, ist das Spannende. In Mexiko konnte es »Y tu mamá también« locker mit den Importen vom großen Nachbarn aufnehmen. Obwohl erst ab 18 freigegeben, wurde er zur erfolgreichsten heimischen Produktion aller Zeiten.

Y tu mamá también – Lust for Life (dto) MEX 01, R: Alfonso Cuarón, D: Maribel Verdú, Diego Luna, Gael García Bernal, 106 Min. Start: 2.5.