Fit für Köln?

In der Halle Kalk zeigt der Choreograf Joachim Schlömer sein neues Stück »Fit for Life«. Gesa Pölert hat den Bühnensport verfolgt – und außerdem die Felder der Tanzbrache Köln erforscht.

 

Wie kommt man darauf, ein abendfüllendes Tanztheater-Stück so merkwürdigen Dingen wie Rohkosttherapie, Fitness und Fettabsaugen zu widmen? Themennot, wäre zu vermuten. Oder eine Art echter Not? Kunst als persönliche »Abrechnung« mit der eigenen gesundheitsbewussten Vergangenheit – wie Joachim Schlömer im Vorfeld von »Fit for Life« zu verstehen gab? Mit der groß angekündigten Spielplanänderung auf Grund des 11. September 2001 (s. SR 3/02) jedenfalls, unter deren Vorzeichen dieses Stück ins Programm genommen wurde, hat das Ganze wenig bis gar nichts zu tun: Der Choreograf selbst nämlich hat nie von der ihm zugedachten Rolle gehört, wie sich kurz vor der Uraufführung herausstellte.
Wie auch immer: »Fit for Life« schreit es von allen Plakaten, »Fit for Life« schreien Schlömers drei TänzerInnen und acht SchauspielerInnen auf der Bühne – und über eineinhalb Stunden hinweg therapiert diese Produktion das Publikum vom grassierenden Gesundheitswahn. Mittel: Persiflage. Rein rhetorische Fragestellung: Ist die Gesellschaft krank oder wir, die wir unser Leben noch nicht nach Slogans wie dem Titel gebenden ausgerichtet haben? Getanzt im engeren Sinne des Wortes wird dabei kaum, eher schafft sich Schlömer eine eigene Form durchchoreografierten Theaters: packt seine Szenencollagen in klar komponierte Abläufe und lässt die Darsteller in sprechenden Konstellationen und Körper-Bildern agieren.

Wellness im Isolationsstudio

Beeindruckend das Bühnenbild von Jens Kilian: Ein riesiges Trampolin, das kurz nach Beginn der Vorstellung in die Senkrechte gefahren wird und nun wie ein überdimensionales Kirchenfenster den Rahmen gibt für den Kult um weltlichen Erfolg. Eine gewollte Ambivalenz: Auch Schlömer inszeniert in Doppelbelichtungen, bildet Profanstes im Sakralen ab. Nicht gerade neu als Analogie, aber bis auf wenige echt tragikomische Stellen und die gekonnte Komposition das Einzige, was der Umsetzung seines abstrusen Themas eine gewisse dramatische Wirkung verleiht. Denn die vom Choreografen zusammengestellten Szenen aus der Welt des »Fit for Fun« haben alles, was sonst Religion zu bieten hat: Erweckungserlebnisse, Heilungsriten, Priester und Predigten, Messe und Beichte. Nur, dass es hier um die beste Lebenserfolgsbilanz, um das beste Körpergefühl, um den besten Sex geht. Die Seligkeit auf Erden eben.
Schlömer hat Bücher
wie »Ich habe den Krebs besiegt« oder TV-Verkaufssendungen von Schlankheitskuren studiert und lässt seine elf DarstellerInnen zu aufgenommenen oder selbst gesprochenen Texten über die Bühne hetzen. Mal chorisch als Masse in anonymen dunklen Angestelltenanzügen, immer wieder auch in kleinen Soli. Vor begierig-erregt filmenden und lauschenden TherapiekollegInnen bekennen zwei Frauen ihre Essstörungen. Blut spritzt, wenn eine andere die ihrem Körper angetane Schuld gesteht. Refrainartig wie ein Vaterunser mündet der kollektive Wellness-Wahnsinn immer wieder in Slogans wie »Ich will so bleiben, wie ich bin«. Und im Kreis an den Händen gefasst, beschwören alle gemeinsam ihr Glaubensbekenntnis: »Ich bin gesund – ich bin reich – ich habe viel Energie.« Dann ab in den Fitnessclub, wo geflirtet wird, was das Zeug hält. Nur, bei keinem dieser Kraftakte antwortet noch jemand: Wellness im Isolationsstudio. Unterfüttert wird dergleichen ab und an mit Nietzsche- oder Schwitters-Zitaten, was allerdings dem ganzen Unternehmen auch nicht mehr Gehalt zu geben vermag.
Schlömer brilliert vor allem mit viel Formwillen: perfekt rhythmisiertem szenischem Geschehen und streckenweise durchaus intelligent choreografierten Paralellschaltungen von religiösem und weltlichem Kult. In der großen hölzernen Schale des Trampolin-Unterbaus und im übrig gebliebenen Bühnenraum inszeniert er Klang, Text und Bewegung zu einer Art Theater-Symphonie mit Reprisen, Refrains und variiertem Thema. Zum Stolperstein wird, dass die geistige Leere der Fitnessstudios, die er abzubilden versucht, ungewollt von dem ganzen Unterfangen Besitz nimmt – nach eineinhalb Stunden »Fit for Life« wäre man am liebsten selbst unten auf dem (wieder heruntergelassenen) Trampolin, um sich den ganzen schön in Szene gesetzten Unsinn wieder aus den Knochen zu hüpfen.

Experimenteller Tanz vor halbleeren Sälen

Immerhin: »Fit for Life« ist seit Jahren die erste eigene Tanz-Produktion der Kölner Bühnen, die faktisch zum Zwei-Sparten-Haus mit seltenen Tanz-Gastspielen geworden sind. Seit Jochen Ulrichs »Tanzforum« 1997 endgültig weggekürzt wurde, speist man das Publikum mit Gastproduktionen ab – die zudem in jüngster Zeit oft erst sehr kurzfristig angekündigt wurden. Alarmierend ist es, wenn dann plötzlich, wie im letzten November, ein wichtiger Choreograf wie Wim Vandekeybus mit seiner belgischen Compagnie »Ultima Vez« kaum noch das halbe Schauspielhaus füllt.
Es scheint, als sei einem etwas experimentelleren Tanz in Köln schon das Publikum verloren gegangen. Nach dem eingeschlafenen Austausch mit dem allseits beliebten »Nederlands Dans Theater« stopft Intendant Günter Krämer momentan das Loch mit dreimal Schlömer. (Im Winter zeigte dieser »15 – in fifteen seconds«, eine Produktion für das Essener Folkwang-Festival, im April außer »Fit for Life«, das ins Repertoire übergeht, noch eine Neueinstudierung seines Baseler Abschiedsstücks »Senza Fine oder Als Rimini noch schön war«.)
Sollte Schlömer auch eine Option für längere Zusammenarbeit sein? Denn wieder einmal ist momentan von festen Plänen für eine neue Residenzcompagnie die Rede. Die allerdings mittlerweile von der neuen Intendanz geschmiedet werden. Und Schlömer selbst will von »keinerlei Gesprächen« wissen. Fest steht: Eingeladen wurde Schlömer noch von Günter Krämer, dessen Zeit als Intendant nach dieser Saison abgelaufen ist. Und Nachfolger Marc Günther wie sein geschäftsführender Intendant Peter F. Raddatz wollen für Köln »Erste Liga«, so Raddatz im Gespräch.
Im großen Vergleichsmaßstab betrachtet, hat sich Schlömer für eine solche Spielklasse mit den in Köln gezeigten Stücken nicht gerade empfohlen. Ohnehin ist von städtischer Seite noch keinerlei Garantie ergangen, die die Finanzierung eines solchen Unterfangens absichern könnte – ungeachtet dauernder Absichtserklärungen von Kulturdezernentin Hüllenkremer. Immerhin aber hat der Rat mittlerweile 60.000 Euro für »Vorbereitungskosten« zur Verfügung gestellt und ein Expertengremium berufen. Das soll eine Strukturanalyse erstellen und sich nach geeigneten Kandidaten umtun: »Wir arbeiten daran, die richtigen Leute zu finden und sie für Köln zu gewinnen«, beteuert Raddatz.

Kooperation mit mehreren Theatern der Region

Wunschvorstellung der neuen Intendanz ist eine in Tourneeplanung und Budgetverwaltung autonome, den Kölner Bühnen angegliederte Compagnie. Weiterhin wird, so Kulturamtsleiter Jürgen Nordt, ein Trägerschaftsmodell mit mehreren Theatern der Region – etwa Aachen und Bonn – diskutiert. Oder ein Austausch mit dem Ballett der Düsseldorf-Duisburger Deutschen Oper am Rhein. Letzteres hieße: Eine zeitgenössische Compagnie in Köln, Youri Vàmos’ klassisches Ballett in Düsseldorf – damit für das Publikum beider Städte ein »vielseitigeres« Programm. Und vor allem wohl Kostenersparnisse für Köln.
Die immerhin von Günther und Raddatz mit der Stadt ausgehandelte und vertraglich festgeschriebene »Absichtserklärung« für eine Kölner Tanzcompagnie wartet also darauf, erfüllt zu werden. Bleibt nur zu hoffen, dass die beiden dabei ebenso viel Durchhaltevermögen beweisen wie unlängst: Im Streit um das zukünftige Budget der Städtischen Bühnen haben sie der Stadt eine im überregionalen Vergleich ungewöhnliche Drei-Jahres-Garantie abgetrotzt.

»Fit for Life«, R/ Ch: Joachim Schlömer, B: Jens Kilian, 25.-27.4., 2.-4., 10.-12., 17., 18., 20.5., 19.30 Uhr, Halle Kalk.