Fotos: Manfred Wegener

Angst vorm Schwarzen Mann

Die NRW-Wahl rückt näher, die FDP steigt ab.

Da sagen einige Konservative, die Zukunft sei eh Schwarz-Grün. Nava Ebrahimi hat junge Politiker beider Parteien getroffen, um sich ein Bild von der Zukunft zu machen

 

Was sie trennt, ist das, was sie gemeinsam haben: Beide sind über Familie und Freunde, über die Ereignisse vor Ort zur Partei gekommen. Seine Eltern haben vermutlich nie etwas Anderes gewählt, ihre vielleicht einmal vor langer Zeit. Florian Braun und Katharina Dröge lehnen sich nicht auf. Mit der Pubertät kam für beide der Parteieintritt. Sie sind mit klaren politischen Haltungen aufgewachsen, sozialisiert und so, wie sie irgendwann selbstständig wurden und von zu Hause auszogen, sind sie heute selbstständige Mitglieder der Partei und bekleiden Ämter. All das hat sich allerdings in zwei ganz unterschiedlichen Milieus abgespielt.

Florian Braun, 20 Jahre, ist Vorsitzender der Jungen Union (JU) im Kreisverband Köln. Es sei kein inhaltliches Thema gewesen, das ihn in die Partei getrieben hätte, gibt er zu. Aber die Richtung habe ohnehin festgestanden. Freundeskreis und Familie gaben sie vor. »Ich habe mich im konservativ-christlichen Kreis eingeordnet, ohne das wirklich bewusst zu entscheiden. Aber es war halt so, ich fand das gut, also bin ich dabei«, sagt er in der Art eines Aufsteigers, entspannt zurückgelehnt, auf gepolsterten pastellfarbenen Möbeln sitzend. Die Cafeteria der Porzer Tanzschule ist ihm vertraut, denn hier schwebt er seit früher Jugend regelmäßig übers Parkett.

Braun wurde auf dem Inselfest der Christdemokraten in Porz initiiert, auch bekannt als »das größte von der CDU organisierte Volksfest der Welt«. Dort habe er Leute kennengelernt und Kontakte geknüpft, zwischen Biertischen, kölschen Bands und Auto-scooter. »Und gemerkt, dass das ein ganz netter Laden ist.« Er war 14 Jahre alt und trat wenige Monate später in die JU ein. Dann ging es recht schnell: Er wurde Neumitglieder-Betreuer in Porz, rückte in den Kreisvorstand auf, im Januar 2009 wählte ihn die Mitgliederversammlung zum Vorsitzenden.

Gegen Starbahnverlängerung gekämpft

Katharina Dröge ist 25 Jahre alt und Vorsitzende der Grünen im Kreisverband Köln. Ihre Eltern sind auch in der Partei aktiv. Von einem Redakteur der Wochenzeitung Die Zeit einmal nach Rebellion gegen die ältere Generation befragt, antwortete sie: »Wenn etwas total überzeugend ist, ist es schwierig, dagegen zu rebellieren.« Sie ist in Ladbergen groß geworden, einem Dorf in der Nähe von Münster. Dort fing sie mit 14 Jahren an, gemeinsam mit der Familie gegen die Startbahnverlängerung des Flughafens Münster-Osnabrück aufzubegehren und für ein Nachtflugverbot zu kämpfen.

Weil es in dem Dorf noch keine Grüne Jugend gab, gründete sie eine. »Für mich war Umwelt- und Naturschutz total wichtig«, sagt sie. Wenig später fand sie sich im NRW-Landesvorstand der Grünen Jugend wieder, und schnell stieg sie zu deren Sprecherin auf. 2006 wechselte sie in den Kölner Kreisvorstand der Mutterpartei und seit Juni vergangenen Jahres führt sie nun die Kölner Grünen an.

Braun und Dröge sind der Nachwuchs zweier Parteien, deren Allianz manche als reizvoll oder innovativ bezeichnen, Christdemokraten ebenso wie Grüne. Die Zukunft beginnt in NRW sehr bald, genauer am 9. Mai, weil dann ein neuer Landtag gewählt wird. Vielleicht werden CDU und Grüne dann koalieren; die Große Koalition ausgeschlossen, ist das neben Rot-Rot-Grün derzeit die wahrscheinlichste Variante. Was die Form betrifft, ähneln sich Florian Braun und Katharina Dröge. Beide wollen sich nicht von der Politik abhängig machen, beide studieren – er BWL, sie VWL –, um sich Alternativen zur Berufspolitik offen zu halten. Wenn es aber an die Inhalte geht, an die Vorstellung von einer lebenswerten Stadt und letztlich an das Menschenbild, könnten sie sich innerhalb des demokratischen Spektrums kaum fremder sein.

Florian Braun möchte viel bewahren, Katharina Dröge viel verändern. Die Gesellschaft zum Beispiel. Im Gespräch kommt sie schnell auf Solidarität zu sprechen. »Das heißt für mich, dass man auch mal zurücktritt und für Schwächere einsteht. Manchmal auch zu Lasten der Individualität.« Der letzte Satz geht ihr nicht leicht über die Lippen, aber sie hat sich einmal bewusst für ihn entschieden, so wirkt es. Sie sitzt nach vorne gebeugt, Ellenbogen auf den Tisch gestützt. Wenn sie nachdenkt, fährt sie mit dem Löffel am Rand der Cappuccinotasse entlang, auch nach drei Stunden noch, als der Milchschaum schon getrocknet ist.

In der Schulpolitik auf Parteilinie

Florian Braun kommt schnell auf Individualismus zu sprechen. »Darunter verstehe ich, dass jeder was erreichen kann, wenn er es möchte.« Deutschland sei ein sehr sozialer Staat. Er betont, dass er das für wichtig halte, aber »irgendwo muss man Grenzen setzen.« Generell könnte man das als sein Motto bezeichnen. Verändern will er kaum etwas, höchstens optimieren, wenn es nicht so gut läuft. Bewahren will Braun das dreigliedrige Schulsystem, weil so jeder Schüler in den Genuss individueller Förderung komme. Damit ist er auf NRW-Parteilinie. Klar, hier und da müsse optimiert, der Ganztag etwa ausgeweitet werden. Das brauche seine Zeit.

Dass in NRW mehr als sechs Prozent der Jugendlichen ohne Abschluss von der Schule gehen und dass sie sich selbst mit Hauptschulabschluss auf der Verliererseite sehen, führt er nicht auf die Trennung in Haupt-, Realschule und Gymnasium zurück. Das sei eine Sache des Hintergrundes. »Da muss man als Schüler versuchen, sich loszu­eisen und seinen eigenen Weg gehen.« Mehr Ganztag und mehr Einflussnahme der Lehrer seien sicherlich sinnvoll, ergänzt er.

Die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems wäre für Katharina Dröge der erste Schritt Richtung mehr Solidarität. Sozial- und Bildungssystem müssten so gestaltet sein, dass sie zu Solidarität erzögen. »Schüler müssen spüren, dass es nicht um Selektion geht und nicht darum, wer der Beste ist, wer es nachher auf eine Elite-Uni schafft, sondern darum, alle mitzunehmen«, sagt die Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes. Politik ändere nur schwerlich das Denken der Menschen, räumt sie ein. Für sie aber offensichtlich kein Grund, es gleich sein zu lassen.

Schwarz-Grün begeistert nicht

Ihr konservativer Gegenpart geht das pragmatischer an. Er und die JU beschäftigten sich mit Themen, bei denen sie etwas bewirken könnten, Jugendpolitik etwa. Auch Medienpolitik interessiere ihn. »Wir beschäftigen uns nicht mit irgendwas, womit wir sowieso keinen Erfolg haben, Globalisation oder so.«

Auf Schwarz-Grün angesprochen reagieren beide, getrennt voneinander befragt, träge. Blick in wenig begeisterte Gesichter. Er sagt, dass die Grünen einen großen Schritt auf die CDU zugehen müssten, um koalitionsfähig zu werden. »Für viele sind die Grünen eher ein Lebensgefühl als großes politisches Programm. Entscheidend wäre, ob Linke oder Bürgerliche die Oberhand hätten.« Sie befürchtet, dass die CDU den Grünen stark entgegen kommen werde. »Die CDU tut alles, um an der Macht zu bleiben, und auf die SPD hat die CDU gerade keinen Bock.« Die Minimalforderungen rattert sie runter: Abschaffung der Studiengebühren, längeres gemeinsames Lernen, Ausstieg aus der Kohleenergie. Doch dann kommen ihr Zweifel. »Wenn die CDU diese Forderungen erfüllen würde, müsste man fragen, wie ernst sie es eigentlich mit ihren Inhalten meint.«

Ja, welche konservativen Werte sind unantastbar? Für Florian Braun sind es Tradition, Familie, Glaube. »Dass man am Wochenende mit der Familie frühstückt, Weihnachten feiert, gute Verhältnisse bewahrt und freundlich miteinander umgeht.«

Wahlkampf auf der Schildergasse

Für beide beginnt demnächst der Straßenwahlkampf, das heißt zum Beispiel auf der Schildergasse stehen und Menschen im Shoppingrausch für politische Themen begeistern. Die Grüne holt Luft. »Da sind viele dabei, die sich überhaupt nicht für Politik interessieren und nur herumpöbeln.« Der Schwarze sagt: »Ein bisschen Mut muss man mitbringen.«

Vom Wahlkampf erholen kann er sich Mitte Mai auf dem Inselfest in Porz. Offen bleibt, unter welcher Landesregierung dann angestoßen wird. Sie wird zu dem Zeitpunkt an der Diplomarbeit sitzen und die Gedanken um die Frage kreisen lassen, ob Wohlstand ohne grenzenloses Wachstum möglich ist. Unterdessen kämpfen die Ladbergener immer noch gegen die Startbahnverlängerung und für das Nachtflugverbot. Gegen die CDU.