Glückskekse von den Hängen des Himalaya

 

Das Museum für Ostasiatische Kunst zeigt, was die Welt noch nicht gesehen hat:

»Heilige Kunst« aus Bhutan, dem Reich des Donnerdrachen

 

Kalte, klare Morgenluft über dem Aachener Weiher, im Museumsbau am Ufer wirkt alles gedämpft. Der Blick streift leuchtende Stoffbilder, vergoldete Skulp­turen, ein niedriges Podest mir einem halbfertigen Sand-Mandala, im Raum hängt der dezente Duft von – Weihrauch riecht anders – Räucherkerzen? Letzte ordnende Handgriffe an den seltsamen Objekten auf dem mehrstöckigen Altartisch, dann hüllen sich die beiden jungen Mönche in rote Tücher und nehmen im Lotus­sitz auf zwei Kissen am Boden Platz. Unvermittelt beginnt, was in unseren Ohren wie bewusst ver­nuschelter Sprechgesang ankommt, sich schnell zu einer rhythmischen Klangfolge steigert, in der zweistimmige Rezitation, schnelle Trommelschläge und Schellenklänge sich nach undurchsichtigen Regeln organisieren, anschwellen, verschmelzen, sich wieder trennen. So hört es sich also an, das buddhistische Mantra. Denn dies ist – weg mit den westlichen Rezeptionsgewohnheiten – keine Performance, sondern ein Gebet.

Es sind zwei Welten, die in der Ausstellung »Bhutan – heilige Kunst aus dem Himalaya« aufeinander treffen. Schon deswegen ist der beste Einstieg die zwei mal am Tag praktizierte Befriedungs- und Reinigungszeremonie der Mön­che, die die Schau auf ihrer Welttournee begleiten, um schlechtes Karma fern zu halten und die heiligen Objekte zu beschützen. Handelt es sich doch bei den »Exponaten« um religiöse Kultgegenstände, die in ihrer Heimat in aktivem Gebrauch sind: Sie dienen der Anbetung, der Veranschau­lichung und Vergegenwärtigung der Lehren Buddhas. Bekanntlich bedarf es einer ansehnlichen Reihe von Inkarnationen, um deren hochkomplexe Natur und absolute Weisheit zu begreifen, so dass der gewöhnliche Ausstellungsbesucher entspannt akzeptieren darf, dass er in zwei, drei Stunden allen­falls den Hauch einer leisen Ahnung erhält. Dabei grüble er nicht über Fragen wie: Was sucht dieser Pappkarton mit Obst, bunten Rittersport und Schnittblumen auf einem Altar? Stört das rechts neben dem Altar auf einem Wandbildschirm laufende Video nicht die Zeremonie?

Widersprüche, so lehrte wohl auch der berühmte bhutanesische Guru Rinpoche, existieren nicht. Sie sind nur im dualistischen Den­ken des Westmenschen eine Quälerei. Also auf nach: Bhutan. Das kleine Königreich, am Rande des Himalaya zwischen Tibet und Indien gelegen, gilt heute als das letz­te authentische buddhistische Land. Es war bis vor fünfzig Jahren vom Rest der Welt abgeschnit­ten, öffnet sich erst in jüngster Zeit und bezaubert durch allerlei Merk­würdigkeiten. Unter den 700.000 Bewohnern zählt man 6.000 offiziell registrierte Mönche, in abgeschiedenen Tälern und an steilen Berghängen rund 2.000 Klöster und Tempel, praktiziert wird eine Tantrische Form des Buddhismus. Seit zwei Jahren ist der asiati­sche Kleinstaat eine konstitutionelle Monarchie, die auf ein wachs­tumsorientiertes Wirtschaftsmodell verzich­tet und sich den Umweltschutz und das »Gross National Happiness«, das Brutto­natio­nal­glück seiner Bewohner, als Staats­ziele in die Verfassung geschrieben hat. Aus der Perspektive eines Landes mit »Wachstums­beschleunigungs­gesetz« klingt das dermaßen sympathisch, dass ergänzt sei: Während der deutsch­sprachige Ausstellungskatalog eine Art buddhistisches Arkadien vorstellt, erwähnt das Auswärtige Amt auch die Vertreibung und Internierung nepalstämmiger Einwohner aus Süd-Bhutan um 1990, aktuell jedoch keine Menschenrechtsverletzungen.

Die in Zusammenarbeit mit der Regierung, internationalen Experten und der Honolulu Academy of Arts über Jahre erarbeitete Ausstellung ist ein Großprojekt, das einhergeht mit der erstmaligen Dokumentation, Erforschung und Restaurierung der Tempel- und Klosterschätze. Unter den 117 Exponaten aus dem 7. bis 20. Jahrhundert beeindrucken die »Thangkas«, großformatige Rollbilder (Tusche und Mineralfarben auf Stoff), vor allem durch ihren komplexen Bildaufbau. In ihm spiegelt sich die ganze Vielfalt der Götter- und Mythenwelt rund um Buddha, Bodhisattvas, spirituelle oder weltliche Führer. Offensichtlich kann man in einem Bild gleich eine ganze Reihe davon gleichzeitig erzählen. Nicht weniger Vielfalt bei den Skulpturen: Schrecken, Erleuchtung, Versenkung, Mitgefühl, Unter­wei­sung oder Kampfesgeist, ver­körpert in symbolische Figu­ren wie der aus einer Träne geborenen »Grünen Tara«, in symbolischen Farben und Handgesten, den »Mudras«.

Filmaufnahmen der rituellen Cham-Tänze, die bei mehrtägi­gen Klosterfesten aufgeführt werden, bereichern die Schau abermals um Eindrücke des gelebten Lebens. Wenn es dem Museum tatsächlich gelingt, im April wie geplant einige Tänzer für Auftritte nach Köln zu holen, wäre das ein Ereignis. Dass wir sie nicht vor Ort erleben können, weil dieses Land seine Touristenströme streng regelt, ist wohl ein Segen. Bhutan, so scheint es, geht seinen eigenen Weg. In den ersten zwei Wochen verzeichnete die Kölner Ausstellung den Rekord von 7.500 Besuchern, und wer wollte schon, dass diese die bhutanesischen Berge und Tempel stürmen und im ersten Klostergebäude ein Starbucks eröffnet? Als letztes Land der Erde führte man 1999 das Fernsehen ein. Das reicht doch erst mal.