Mein Nachmittag bei Éric

Mein Nachmittag bei Éric

Der Filmclub 813 ehrt den im Januar verstorbenen Éric Rohmer mit einer Hommage –

unser Autor Olaf Möller hatte ihn kurz vor seinem Tod in Paris besucht

 

Es hatte etwas von einem expressionistischen Film Friedrich Wilhelm Murnaus, als sich Éric Rohmer aus dem Schatten seines Wohnungsflurs hervorschälte und das Arbeitszimmer am Arm seiner langjährigen Mitarbeiterin Françoise Etchegaray betrat. Vom Alter gebeugt bewegte sich der 89-Jährige langsam zu seinem Schreibtisch.

Wir wollten ein Interview drehen für eine Dokumentation von Jackie Raynal, Schnittmeisterin vieler Frühwerke Rohmers. Sie hatte mich nach Paris gebeten, damit es in dem Film auch ein paar Szenen gibt, in denen Rohmer Deutsch spricht – das er neben Literaturgeschichte als junger Mann studiert hatte. Er liebte die Sprache, drehte in ihr einen seiner schönsten Filme, »Die Marquise von O...« (1976), übersetzte für eine Theaterinszenierung sogar Kleists Ritterschauspiel »Das Käth­chen von Heilbronn oder Die Feuerprobe« in Teilen neu.

Rohmer hätte besser davon unterrichte werden sollen: Auch wenn wir uns vor und nach dem Dreh in Deutsch unterhielten, wollte er vor der Kamera nur Fran­zösisch sprechen. Darin fühlte er sich sicherer. Rohmer war, aller Gebrechlichkeit zum Trotz, immer noch Herr seiner Gedanken, willensstark, konzis und in seiner Heiterkeit von feiner Klarheit.

Es machte ihm viel Freude über »Die Marquise von O...« und Kleist zu sprechen. Allzu oft hatte er dazu nicht Gelegenheit. Gewöhnlich sprachen Journalisten mit ihm über seine Rolle in der Nouvelle Vague und die Geschichte der Cahiers du cinéma oder über seine drei großen Werk-Zyklen »Sechs moralische Erählungen«, »Komödien und Sprichwörter« und »Erzählungen der vier Jahreszeiten«.

Rohmer war aber sehr viel mehr. Geboren wurde er am 21. März 1920 als Maurice Henri Joseph Schérer in Tulle, etwa in der Mitte Frankreichs. Sein Bruder René Schérer ist ein renommierter Philosoph und recht umstrittener Schwulen-Aktivist. Sein Sohn René Monzat ist einer der wichtigsten Agitatoren der französischen Linken, Autor diverser Enthüllungswerke über Le Pen und den Front National. Rohmer selber war politisch schwer zu fassen: Er wurde immer wieder als Rechtsaußen der Nouvelle Vague bezeichnet (in seiner Jugend kultivierte er angeblich royalistische Sympathien), erwies sich aber im langen Lauf als einer ihrer am meisten freigeistigen und libera­len Denker. In den letzten Jahren trat er etwa als Kritiker des amtierenden Präsidenten der Republik hervor. Wobei vieles davon nichts als Hörensagen ist: Rohmer hielt sich gewöhnlich äußerst bedeckt – was nicht weiter überrascht bei einem Künstler, der sich über Jahrzehnte hinter gleich mehreren Pseudonymen verborgen hatte. Seinen einzigen Roman »Élisabeth« publizierte er 1946 unter dem Namen Gilbert Cordier.

Rohmer arbeitete lange Jahre als Lehrer – was ihm bei seinen so wunderbaren wie wenig bekannten Beiträgen für das französische Schulfernsehen geholfen haben dürfte. Erst dann konnte er sich auf das Kino als Lebensinhalt konzentrieren, zuerst als Journalist, meist für die Cahiers du cinéma, deren Chefredakteur er von 1957-63 war, bevor man ihn aus dem Magazin putschte. Vom Filmemachen gut leben konnte er erst ab den frühen 70er Jahren, als sich »Meine Nacht bei Maud« (1969) in den USA zu einem Kunstkinoerfolg entwickelte. Roh­mers Filme waren – mit Ausnahme seines experimentellen Historienprojekts »Die Lady und der Herzog« (2001) – nach Kinomaßstäben allesamt spottbillig. Das durchschnittliche Budget lag bei etwas über einer Million Euro, daher spielten seine Filme ihre Kosten relativ rasch wieder ein. Rohmer war ein sehr guter Geschäftsmann. Wahrscheinlich lernt man das, wenn man sich seine Kar­riere so mühsam aufbauen musste wie er. Sein Langfilmdebüt, der merkwürdig melancholisch-frustrierte »Im Zeichen des Löwen« (1959), kam mit dreijähriger Verspätung in die Kinos und entwickelte sich dort zu einem Kassenfiasko. Seinen nächsten abendfüllenden Spiel­­film konnte er erst 1967 mit »Die Sammlerin« realisieren, der durch solide Einspielergebnisse und den Hauptpreis des Festivals von San Sebastián seine Karriere stabilisierte. Dann kam »Meine Nacht bei Maud« – und damit der Weltruhm, der bis zu seinem Tod am 11. Januar dieses Jahres nicht abriss.

Rohmers Filme sind für viele eine Art Urbild für die Idee des modernen französischen Kinos: Schöne junge Menschen plaudern kultiviert Tiefsinniges. Wichtiger noch ist Rohmers unbedingte Liebe zum Alltäglichen, diese Lust, dem Augenblick so offen wie möglich zu begegnen, so viel Gegenwart wie nur möglich ästhetisch zuzulassen. Rohmer schrieb seinen Darstellern stets brillante Dialoge, mit denen konnten sie beim Dreh spielen. Das Sprechen, die Arbeit mit wie an den Worten, ist dabei genauso wichtig wie die Räume und die Bewegungen in ihnen.

Rohmer ging es darum, von der Gegenwart der Dinge selbst zu erzählen– das hatte er von Murnau gelernt. Dessen Totenmaske stand im Büro seiner Produktionsgesellschaft auf dem Sims eines zugemauerten Kamins – neben einem Foto der 1984, einen Tag vor ihrem 26. Geburtstag, verstorbenen Pascale Ogier, vielleicht der Rohmer-Darstellerin par excellence.