Nacktes Etwas

 

Modemacher Tom Ford verfilmt Isherwoods »A Single Man«

Im Mittelalter dauerte es eine absurd lange Zeit, bis ein Ritter in seine Rüstung gehievt und für das Turnier bereit gemacht wurde. Ähnliche Umstände macht es, das nackte Etwas, das George am Morgen aus dem Spiegel entgegenblickt, in den George zu verwandeln, den seine Umwelt als ordentlichen Literaturprofessur achtet und möglicherweise sogar schätzt. Sorgfältig schält sich der stets piekfein gekleidete Mittfünfziger in seine Ausgehuniform, die durch das Parfüm seines britischen Akzents vollendet wird. So gerüstet tritt er der feindlichen Welt entgegen: dem banalen Leben in einem Vorort von Los Angeles, der politischen Hysterie der Kuba-Krise und natürlich der bitteren Einsicht in die eigene Einsamkeit.

Es braucht keinen Modeschöpfer, um dieses elegische Mor­genritual zu inszenieren, aber es kann auch nicht schaden, einer zu sein. Schon deswegen ist es ein Glücksfall, dass Tom Ford aus der Modemarke Gucci ausgestiegen ist, um mit »A Single Man« den besten Roman Christopher Isherwoods zu verfilmen. So wie die Titelfigur feine Stoffe zum Überleben braucht, hilft es Ford, in Oberflächen schwelgen zu können, ohne dass es oberflächlich wirkt. Im Film wünscht sich George nichts sehnlicher als wenigstens in Schönheit zu sterben – und Ford scheint ihm diesen Wunsch mit erlesener Kunstfertigkeit erfüllen zu wollen.

Nachdem George sämtliche Vorbereitungen für seinen Selbstmord getroffen hat, beginnt er seinen letzten Tag, als würde am Abend nichts Besonderes geschehen. Er hält wie üblich seine Vorlesung, redet sich dabei etwas in Rage, trifft eine alte Freundin und wird immer wieder von Erinnerungen an seinen bei einem Autounfall gestorbenen Lebensgefährten heimgesucht. Die Trauer hält George fest im Griff, was Ford dadurch illustriert, dass er vor allem zu Beginn einen Grauschleier über die Bilder legt; nur für einzelne Momente bringt das Licht der Jugend satte Farben in den Film, bis die prachtvolle Abend­röte von Technicolor Geor­ges innere Abkehr von seinen Selbst­mordplänen nahe legt.

Tom Ford hat Isherwoods modernistisch-zurückhaltendes Buch behutsam melodramatisiert und mit dem britischen Schauspieler Colin Firth den denkbar besten George-Darsteller gefunden. Firth verleiht seiner Figur zu jeder Zeit die nötige Noblesse, bleibt selbst in den emotionalen Momenten ein wenig zugeknöpft und lässt uns trotzdem nicht vergessen, dass ein nacktes Etwas hinter der makellosen Fassade steckt.