Wenn die Müllmöwen singen

Waren MVA-Spenden an die SPD nur Danke-schön-Leistungen oder doch das Einlösen-von-Versprechen? Aufnahme von Ermittlungen gegen Ex-Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier beantragt

Bislang ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft im MVA-Skandal wegen zweierlei Vergehen. Zum einen sitzen Sigfrid Michelfelder, Ex-Manager der MVA-Baufirma Steinmüller, und Ulrich Eisermann, ehemaliger Geschäftsführer des städtischen Entsorgungsunternehmens AVG, wegen Bestechung in Untersuchungshaft. Zum anderen ermitteln die Strafverfolger gegen Kölner SPD-Funktionäre wegen illegaler Spendengeschäfte. Bislang galt die Vermutung, dass Unternehmen führenden Sozialdemokraten vorab kein Geld für städische Aufträge versprochen haben. Ob es dabei bleibt, wird zunehmend zweifelhaft.
Müllmogul Hellmut Trienekens, mit seinen Firmen an den städtischen Entsorgungsunternehmen AVG und AWB beteiligt, und Sigfrid Michelfelder haben übereinstimmend den einstigen SPD-Spitzenpolitiker Karl Wienand belastet. Wienand, wichtiger Strippenzieher der sozial-liberalen Bundesregierung in den 70ern und nach einer Affäre in die Wirtschaft gewechselt, nutzte seit Anfang der 80er seine Beziehungen zur Akquise kommunaler Aufträge für Steinmüller und den Entsorger Edelhoff, wenige Jahre später auch für Trienekens. Wienand muss sehr erfolgreich gewesen sein, auch in Köln: Michelfelder zufolge hat er für den MVA-Auftrag Zahlungen in großer Höhe erhalten und Trienekens will sich sogar erinnern, mit ihm zusammen bei der Übergabe von Schwarzgeld in der Schweiz an einem Tisch gesessen zu haben – mit dabei AVG-Chef Ulrich Eisermann.
Besonders interessant ist dies, weil Wienands Genosse Norbert Rüther bislang behauptet, Spenden von Privatfirmen seien immer erst nach der Erteilung eines Auftrags seitens der Stadt Köln oder seitens städtischer Unternehmen akquiriert worden. Da Wienand aber offensichtlich versuchte, auf die Auftragsvergabe Einfluss zu nehmen, scheint es reichlich unwahrscheinlich, dass nicht Versprechungen im Raum gestanden haben sollen, die auch für Politiker und Verwaltungsbeamte erkennbar gewesen wären. Rüther bezeichnet die Spenden an die SPD als Danke-schön-Leistungen.

Zuneigungen zwischen Wirtschaft und Politik

Wie schwer es ist, die Umstände und Beweggründe einer politischen Entscheidung zu erkennen, wenn die Wirtschaft nicht mehr auf der einen und Politik sowie Verwaltung auf der anderen Seite stehen und entscheidende Figuren sogar die Lager wechseln, zeigt das Beispiel des gerade aufgeflogenen Bonner Bestechungsskandals. Der Vorsitzende der Bonner CDU-Ratsfraktion, Reiner Schreiber, ist zugleich Berater dreier Firmen, mit denen er in seiner Zeit als Stadtdirektor, als Chef der Stadtwerke und als nebenamtlicher Geschäftsführer der Müllverbrennungsanlage geschäftlich zu tun hatte. Schreiner soll bestechlich gewesen sein. Er sorgte für die Beauftragung des Mannheimer Technologiekonzerns ABB mit der Modernisierung des Bonner Heizkraftwerks und offenbar auch für die Beteiligung der Trienekens-Tochter TK Umweltdienste an der Bonner MVA mit Hilfe manipulierter Gutachten des Wirtschaftsprüfers BDO. Gebaut wurde die MVA von der Firma Von Roll, die geschäftliche Abwicklung übernahm das Kleinunternehmen Turicon. ABB soll Schreiner geschmiert haben, mit Von Roll, Turicon und BDO verbinden den CDU-Mann Beraterverträge, deren Datierung noch unbekannt ist. Schreiner behauptet, sie seien abgeschlossen worden, nachdem er 1998 als Stadtdirektor ausgeschieden sei. ... Ein Schuft, wer sich von diesem Vorgang an den Wechsel des ehemaligen Kölner Oberstadtdirektors Lothar Ruschmeier in die Privatwirtschaft erinnert fühlt?
Ruschmeier verließ Ende März 1998 seinen Chefsessel in der Kölner Stadtverwaltung und trat einen Monat später in die Geschäftsleitung der Oppenheim-Esch-Holding ein, einer der größten Immobilienfirmen der Stadt. Mit dem Unternehmen hatte er zuvor schon bei diversen Großprojekten zu tun, etwa dem Bau des Coloneums und dem Kombinationsgeschäft Kölnarena/Technisches Rathaus. Der Baukomplex im Rechtsrheinischen war damals äußerst umstritten. Die Stadt hatte sich verpflichtet den Verwaltungsbau von Oppenheim-Esch zu mieten. Kritiker hielten Ruschmeier daraufhin vor, die Verträge würden den Investor begünstigen und mit überhöhten Mieten würden die vorhersehbaren Anlaufverluste der Veranstaltungshalle aufgefangen. Manche Politiker berichteten nach Ruschmeiers Ausscheiden zudem, der Verwaltungschef habe auf schnelle Entscheidungen zu Gunsten Oppenheim-Eschs gedrängt – auch im Fall des Medienzentrums in Ossendorf.
Ruschmeiers Verhalten im Genehmigungsverfahren für die Kölner MVA brachte dem Oberstadtdirektor ebenfalls deutliche Kritik und sogar eine Klage ein. Bürger aus dem Umfeld der Kölner Initiative Müllvermeidung statt Müllverbrennung (KIMM) hatten den Verwaltungschef im Dezember 1996 wegen Untreue und Nötigung angezeigt. Der Vorwurf: Ruschmeier habe den Vertrag über den Bau der MVA unterschrieben, obwohl das Bürgerbegehren gegen die MVA noch nicht entschieden und die Anlage auch noch nicht immissionsschutzrechtlich genehmigt war; damit sei städtisches Vermögen gefährdet worden (Untreue), denn der Vertragspartner Steinmüller könnte, falls die MVA nicht gebaut würde, Entschädigung verlangen; genau diese Drohung habe Ruschmeier dem Rat gegenüber ausgesprochen für die Fälle, dass das Verfahren verzögert oder der Bau gestoppt würde (Nötigung). Der Kölner Staatsanwaltschaft schien die Beweisführung schlüssig genug, bei Gericht die Durchsuchung von Ruschmeiers Amtsräumen und die Beschlagnahme seiner Unterlagen zu beantragen. Der Verwaltungschef händigte daraufhin die Unterlagen freiwillig aus. Im Februar 97 wurde das Verfahren allerdings wegen Mangel an Beweisen eingestellt. In einem weiteren Verfahren im gleichen Jahr stellte sich dann heraus, dass zumindest die von Ruschmeier angesetzte Entschädigungssumme in Höhe von 320 Millionen Mark durch die Verträge nicht belegbar und seine Argumentation, so das Urteil, »politisch motiviert« war.

Wiederaufnahme der Ermittlungen?

Eberhard Reinecke, Rechtsanwalt der Bürgerseite im Verfahren von 1996, will nun die Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen Lothar Ruschmeier beantragen. Außerdem soll geprüft werden, ob es nicht »hinreichende Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht im Zusammenhang mit Korruption« gibt. Reinecke will eine »außergewöhnliche Häufung von Entgegenkommen gegenüber der Firma Steinmüller« festgestellt haben. Beispielsweise sei die Anlage zu groß und zu teuer geraten, und die Firma Steinmüller laut Zeitungsberichten keineswegs der günstigste Anbieter gewesen – obwohl Ruschmeier dies in einer eidesstattlichen Erklärung 1997 behauptet hatte. Außerdem zweifelt Reinecke an, dass Ruschmeier trotz seiner bekanntermaßen engen Beziehungen zu AVG-Chef Ulrich Eisermann nichts von der Korruption bemerkt habe. Eisermann, seit 1988 Chef des Hauptamtes in der Kölner Stadtverwaltung, hatte 1991 auf Wunsch seines Vorgesetzten Ruschmeier die Amtsleitung aufgegeben, um zuerst der Projektgruppe zur Gründung der AVG vorzusitzen und dann der AVG selbst.
Die Kölner Staatsanwaltschaft äußerte sich zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses nicht zu den offenen Fragen im MVA-Komplex. »Es ist zu aggressiv berichtet worden, das stört unsere Ermittlungen«, sagte die Behördensprecherin Regine Appenrodt.