Frauen in der Nische
Er fühle sich noch zu jung, um schon in Rente zu gehen. Und ohnehin wollte er schon immer eine literarische Brücke zwischen der arabischen Welt und Europa schlagen, sagt Abdul-Rahman Alawi. Der gebürtige Palästinenser mit Wohnsitz Köln gründete Ende 2008 einen Verlag, der im Herbst gleich drei neue Titel herausbringt.
Der Alawi-Verlag ist kein gewöhnlicher Verlag – veröffent-licht werden ausschließlich arabische Autorinnen. Gewiss hat bei dieser Spezialisierung eine Rolle gespielt, eine Nische zu besetzen und in der deutschen Verlagslandschaft existieren zu können. Hinzu kommt, dass sich Bücher aus weiblicher arabischer Feder besser verkaufen als die Literatur der männlichen Kollegen. Aber es kam noch ein anderer Gedanke hinzu. »Wir wollten solidarisch sein mit der arabischen Frau«, sagt Abdul-Rahman Alawi. »Denn zunehmend mehr Frauen in der arabischen Welt schreiben, und sie schreiben über viele Themen, die die dortigen Gesellschaften betreffen.«
Immer mehr Frauen melden sich zu Wort
Tatsächlich ist seit einiger Zeit eine verstärkte schriftstellerische Tätigkeit arabischer Frauen zu beobachten. Während der erste von einer Frau geschriebene Roman im westlichen Sinne aus den 50er Jahren stammt, haben sich seit den 90er Jahren immer mehr zu Wort gemeldet. Meist sind sie jung, gut ausgebildet und müssen sich ihren schriftstellerischen Freiraum kaum noch gegen den Willen ihrer Familie oder ihres Ehemannes erkämpfen, wie es im letzten Jahrhundert der Fall war.
Im Gegenteil: In Ländern, in denen die Lebensbedingungen prekär sind und sich auch Akademiker und Akademikerinnen nur mit mehreren Jobs über Wasser halten können, ist die Schriftstellerei ein Luxus, den man sich finanzieren muss. So auch die Autorinnen des Alawi-Verlags. »Alle Schriftstellerinnen, die wir bis jetzt haben, sind nicht nur Autorinnen«, sagt Abddul-Rahman Alawi. »Sie sind tätig im Film, beim Fernsehen, im Journalismus, im Literaturbereich, im künstlerischen Bereich. Sie schreiben nebenher.«
Facettenreiches Bild der arabischen Gesellschaft
Und sie schreiben viel. Auch wenn die Politik häufig im Hintergrund mitschwingt, sind es doch meist gesellschaftliche Themen, die die Autorinnen ansprechen. Da werden kleine Räume ausgeleuchtet, verwischen die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Vergangenem und Gegenwart, da gibt es Introspektionen, Monologe, innere Zwiesprachen. Selten werden große Geschichten erzählt, trotzdem ist diese Literatur dazu angetan, dem westlichen Leser ein facettenreiches Bild der arabischen Gesellschaft aus weiblicher Sicht zu vermitteln.
Dass seit einigen Jahren so viele Frauen in der arabischen Welt schreiben, hat nach Meinung Alawis mit dem zunehmenden Islamisierungsprozess in den dortigen Ländern zu tun. »Die Männer haben sich dieser Entwicklung eher angepasst. Die Frauen beginnen, sich dagegen zu wehren. Sie versuchen, Themen anzusprechen, die die Männer bisher nicht klar und eindeutig angesprochen haben. Die Frau war die erste, die durch diesen Islamisierungsprozess Privilegien oder Rechte verloren hat. Und ich denke, dass die Frau es ist, die auch als erste darauf reagiert und versucht, sich durch Literatur gegen diese Zustände aufzulehnen.«
Diese Literatur in Deutschland bekannt zu machen, sieht Alawi, der jahrelang als Vertreter der PLO in verschiedenen europäischen Ländern und als Korrespondent für die palästinensische Nachrichtenagentur tätig war, als Beitrag, um Klischees zu entlarven. In Zeiten, in denen die arabische Welt fast ausschließlich mit Terrorismus assoziiert wird, möchte er ein anderes Bild vermitteln: »Ich lebe hier in Deutschland seit über vierzig Jahren, und ich will die arabische Welt näher bringen. Über politische Wege ist das nicht möglich und wird es nie möglich sein. Deshalb finde ich, dass die Literatur, die Kunst ein Bereich ist, wo man etwas tun kann.«