Foto: Volker Schulte

Verpasste Chancen am Kap

Kriminalität, Schwierigkeiten beim Stadionbau, schleppender Ticketverkauf – in Europa betrachtet man die Fußball-WM in Südafrika mit ­Skepsis. Achille Mbembe aus Johannesburg ist im Gespräch mit ­Christian Steigels optimistischer – die Probleme sieht der ­Historiker und Politologe an anderer Stelle

StadtRevue: Herr Mbembe, am 11. Juni findet in Johannesburg das Eröffnungsspiel der WM 2010 statt. Freuen Sie sich?

Achille Mbembe: Natürlich. Ich glaube, das wird ein großartiges Fußballturnier. Wir sind für einen Monat Gastgeber der Welt – wir sind bereit und freuen uns.

Das klingt optimistisch. In einem Artikel schrieben Sie, die WM sei eine post-kolonialistische und größenwahnsinnige Veranstaltung.

So eine Veranstaltung ist immer ein Stück weit größenwahnsinnig. Denken Sie an die Olympiade 2008 in China – ein geradezu pharaonisches Ereignis. Postkolonial ist es, weil es typisch ist für ehemalige Kolonien, in einer zu hohen Liga spielen zu wollen. Da ist Südafrika keine Ausnahme. Wir schmeißen eine Menge Geld dafür raus.

Die WM kostet Südafrika 2,5 Milliarden Dollar an Steuergeldern – warum nimmt ein Land mit großen finanziellen und wirtschaftlichen Problemen so ein Projekt auf sich?

Zunächst mal: Ich schätze, alles in allem wird die WM 7 Milliarden kosten. Umso mehr ist also die Frage berechtigt: Warum sollte ein Land, das voll von sozialen und ökonomischen Problemen, von Armut, Verbrechen, schlechter Gesundheitsvorsorge und Erziehung ist, soviel Geld für die WM ausgeben?

Haben Sie eine Antwort darauf?

Sicher ist: Die WM wird nicht die Wunderheilung der Probleme Südafrikas sein. Aber die Regierung hofft, dass eine erfolgreiche und gut organisierte WM langfristig Investoren aus dem Ausland anlockt, was der ­Entwicklung der Wirtschaft zuträglich wäre. Abgesehen davon, dass ich da wenig optimistisch bin, da Auslandsinvestitionen von vielen verschiedenen Faktoren abhängen, kritisiere ich vor allem, dass die Regierung ausschließlich auf den kommerziellen Effekt setzt.

»Weg von den Bildern von Scheitern, Korruption und Gewalt«

Worauf hätte man zusätzlich setzen sollen?

Auch mehr als 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid ist das Land im öffentlichen Raum immer noch von Separierung geprägt. Man hätte die vielen infrastrukturellen Projekte, die Baumaßnahmen, für eine soziale Transformation nutzen können. Doch das ist nicht passiert. Es ging nur darum, moderne und große Stadien zu bauen. Es gab keinen Masterplan, der den Bauvorhaben vorausgesetzt worden wäre. Wir haben die WM nicht als Chance genutzt, das Apartheids-Erbe weiter abzureißen und womöglich zu beenden, als Zeichen des Umbaus der Gesellschaft.

Sie bemängeln auch, dass man sich nicht damit beschäftigt hat, ein neues Bild von Südafrika zu vermitteln.

Ich hatte die Hoffnung, dass wir ein kulturelles und intellektuelles Programm entwickeln, das helfen würde, das Bild Südafrikas und womöglich auch des gesamten Kontinents in der Welt zu verändern, einen Imagewandel herbeizuführen. Weg von den Bildern von Scheitern, Korruption und Gewalt auf der einen Seite, aber auch von den klischeehaften und folkloristischen Stereotypen Afrikas als Wiege der Menschheit.

Was hat Ihnen da vorgeschwebt?

Südafrika hätte zum Beispiel seine Bewerbung auf die Ausssöhnung zwischen schwarz und weiß ausrichten können. In einer Welt, in der trotz Globalisierung ständig neue Grenzen und Beschränkungen wieder erfunden werden, hätte das viel Anklang finden können. Für Afrika hätten wir unsere Bewerbung auch als Projekt einer afrikanischen Renaissance präsentieren können. Südafrika ist immerhin ein Land, dass sich teilweise unterscheidet von der gewöhnlichen Geschichte des Scheiterns, die die meisten Leute mit Afrika verbinden. Doch beides ist nicht passiert, es fehlt an einem Konzept. Es wird eine Menge Geld verpulvert, aber dahinter stecken keine Ideen. Es kommen Journalisten aus der ganzen Welt – wir haben aber nichts unternommen, um eine passende Geschichte für die WM zu entwickeln.

»Es werden die profitieren, denen es sowieso besser geht«

Sie sprachen bereits die Hoffnung der Regierung auf Investitionen aus dem Ausland an. Eine ­andere Hoffnung war die auf mehr Jobs durch die WM. Hat sich die erfüllt?

Bei den Vorbereitungen waren natürlich viele Menschen beschäftigt, 70.000 allein beim Bau der Stadien. Aber die sind nun fertig, und die Regierung kann jetzt nicht einfach weitere Jobs kreieren. Die werden durch eine starke Wirtschaft geschaffen. Oder durch mehr Tourismus. Aber da gibt es ein anderes Problem: Dieser Sektor wird immer noch von Weißen dominiert. Letztlich werden also die profitieren, denen es sowieso besser geht.

Dazu passt, dass das Maskottchen Zakumi in ­China produziert wurde, statt in Südafrika.

Zakumi ist nicht das einzige Beispiel. Ich bin überzeugt davon, dass nach der WM noch viel mehr solcher Sachen ans Licht befördert ­werden. Zakumi ist nur ein Vorbote. Aber die Produktion ist in China halt günstiger. Und Geschäftsleute lassen das dann dort produzieren. Das ist Kapitalismus.

Viel Aufregung gab es auch wegen der Bannmeile um die Stadien, in der keine Produkte verkauft werden dürfen, die nicht offiziell von der FIFA lizenziert sind. Ein Problem für die vielen Straßenhändler.

Es ist sogar verboten, die Zahl 2010 in Kombination mit der Flagge oder einem Fußball zu benutzen. So ist das halt. Nur die Luft, die wir atmen, ist nicht lizenziert. Aber ich denke und hoffe, dass die Händler andere Wege finden werden, an den Rändern. Die FIFA kann ja auch nicht überall kontrollieren.

»Die FIFA arbeitet wie ein Unternehmen«

Sind die Menschen sauer auf die FIFA?

Es gab eine wachsende Anti-FIFA-Haltung in den letzten Monaten. Viele haben erst spät realisiert, dass die Konditionen der FIFA maßlos sind. Aber das ist ja keine Überraschung: Die FIFA arbeitet wie ein Unternehmen. Ihr Ziel ist es nicht, die Arbeitslosigkeit in Südafrika zu bekämpfen, sondern möglichst viel Profit zu machen. Und das machen sie, ohne Gedanken an Menschenrechte oder ethische Fragen zu verschwenden. Und nicht die FIFA, sondern ein südafrikanischer Geschäftsmann hat Zakumi in China produzieren lassen.

Kein Imagewandel, wenig Chancen auf Jobs – rechnen sie zumindest sportlich mit einer süd­afrikanischen Erfolgsgeschichte?

Leider nein. Die südafrikanische Mannschaft hat überhaupt keine Chance. Darüber ist sich jeder hier im Klaren. Es wäre sensationell, wenn sie die Vorrunde überstehen würden.

Und die anderen afrikanischen Teilnehmer?

Natürlich können alle afrikanischen Mannschaften die Gruppenphase überstehen – aber ab da wird es dann sehr schwierig. Die Elfenbeinküste ist vom Potenzial das einzige Team mit Chancen aufs Viertelfinale. Aber die sind in einer sehr schwierigen Gruppe, mit Brasilien, Portugal und Nordkorea.

Wer wird Weltmeister?

Spanien, Brasilien und Argentinien machen es unter sich aus. Aber man weiß nie: Deutschland startet ja bekanntlich langsam und wird dann stärker. Aber ich tippe auf Spanien.

Trotz all der negativen Erwartungen bleiben Sie aber dabei: Sie freuen sich auf die WM?

Noch einmal: Ich glaube, es wird eine gute WM werden, vom Turnier und vom Spektakel her. Aber es ist schade, dass wir die Chancen verpasst haben, die sich uns geboten haben. Es wird ein unfertiges Event. Trotzdem hoffe ich, dass die Gäste nach Hause fahren mit dem Bild eines Landes, das eine Zukunft hat.



Achille Mbembe

Der gebürtige Kameruner Achille Mbembe ist Professor für Geschichte und Politik am »Insitute for Social and Economic Research« der Witwatersrand-Universität in Johannesburg.
Er gilt als wichtiger Theoretiker der »Postcolonial Studies« und hat sich im Vorfeld der WM kritisch mit den Auswirkungen des Turniers auf ­Südafrika beschäftigt.