Iaido: Unsichtbare Gegner

Einmal in der Woche greifen sie zum Schwert – eine kleine Gruppe KölnerInnen, die sich in ihrer Freizeit der japanischen Kampfkunst Iaido verschrieben haben. Martin Klein traf zwei von ihnen und berichtet über den Kampf gegen das innere Chaos.

Sauber muss die Klinge von der Schläfe bis zum Kiefer gleiten, bleibt das Schwert bereits in Nasenhöhe oder am Jochbein hängen, ist möglicherweise die Haltung nicht korrekt, vielleicht stimmt eine Bewegung aber auch nicht. Wird der Schnitt richtig ausgeführt und der sachgemäß tranchierte Gegner liegt regungslos am Boden, gilt es, sich in einer bestimmten Schrittfolge rückwärts vom getöteten Gegner zu entfernen. Vielleicht noch ein letzter Gruß. Der Gegner ist aber gar nicht tot, auch das Gesicht ist noch tadellos, denn es gibt keine Gegner bei Iaido.

Köln gehört zu den deutschen Zentren dieser Kampftechnik, die im 15. Jahrhundert aus den Kriegskünsten der Samurai entstanden ist. Damals gab es freilich noch Gegner, die nach gekonnt angesetztem Schnitt oder Hieb in Teile fielen und ihr Leben aushauchten. »Die Schwerttechniken der Samurai muss man sich ganz anders vorstellen als die der Ritter im europäischen Mittelalter«, weiß Sabine Pflitsch, »die Japaner haben das Fertigen der Schwerte und den Schwertkampf zur Kunst erhoben, hier war das ja eher ein Kloppen und Matschen.« Sabine Pflitsch, 34-jährige selbstständige Grafikdesignerin, hat Iaido vor vier Jahren für sich entdeckt, beim Frisör. »Da hing ein Zettel aus, der auf diese Disziplin hingewiesen hat. Ich hatte keine Ahnung, was das ist, interessierte mich aber gerade für japanische Kampfsportarten, bin mal hingegangen und war vom ersten Moment an fasziniert.« Fasziniert hätten diese ganz besondern Bewegungsabläufe, die Anmutung der harmonischen und eleganten Bewegungen der Kämpfer ohne Gegner. Denn Iaido wird zwar in der Gruppe, aber in der Durchführung alleine praktiziert.
Hubert Schmitz trainiert die Kölner Gruppe, zehn bis 18 Schüler und Schülerinnen versammeln sich jeden Mittwoch in der Turnhalle einer Schule in Braunsfeld. Der 35-jährige EDV-Koordinator beim Zollamt ist Träger des fünften Dan. Bis zum zehnten Dan kann es ein Iaidoka bringen, zurzeit ist dieser Grad selbst in Japan unerreicht. Das hat auch mit dem Alter zu tun: Für jeden Grad sollte sich der Iaidoka die entsprechende Zeit nehmen, also neun Jahre für den neunten Dan, dann noch mal zehn Jahre für den zehnten. Sagawa Hakuo Sensei ist 85 Jahre alt und Träger des 9. Dan. Er ist der japanische Lehrmeister für die Kölner Iaidoka, besucht regelmäßig seine deutschen Schüler und empfängt umgekehrt Besucher aus Köln in seinem Haus in Tokyo, in dem er seine Schwertkämpfer unterweist. Sowohl Pflitsch als auch Schmitz haben bei ihm in Tokyo geübt und wissen seither, dass das Alter die Qualität der Übungen nicht einschränkt. Im Gegenteil, zu jung sollte man nicht sein, für Kinder sei Iaido keine Alternative zu Judo oder Karate. Der notwendige Grad an Konzentration kann Kindern kaum abverlangt werden, aber der ist eine entscheidende Voraussetzung. Im Idealfall werden alle Gedanken ausgeblendet und die Bewegungen fließen perfekt , ohne dass über die Abfolge nachgedacht werden muss.

Iaidolässt sich nur unelegant und wortreich übersetzen: Der Weg zum harmonischen Eins-Sein mit sich selbst, so lautet eine der häufiger zu findenden Übertragungsversuche. Eine Bewegungslehre mit einem klar definierten Bewegungsprogramm; Kata werden die einzelnen Formen genannt, die aus verschiedenen Elementen bestehen. Iaido ist als eine von mehreren Schwertkampkünsten in der heutigen Form noch sehr jung. 1968 wurde ein Übungskanon festgelegt, der aus den zwölf Kata besteht. »Die Übungen beginnen damit, dass man in seiner Umgebung eine Tötungsabsicht feststellt«, erklärt Schmitz, »wir beginnen also, uns auf einen Angriff einzustellen.« Mit dieser Information nehmen die Übungen Gestalt an. Es gilt, imaginäre Feinde, meistens gleiche mehrere, die aus verschiedenen Richtungen attackieren, zu schlagen. Überzeugt von deren Tod nach einem finalen Schnitt muss das Schwert gesäubert werden, bevor es wieder in die Scheide gleitet, »das Blut wird abgeschlagen wie bei einem nassen Regenschirm«.
Be- und Abgrüßen spielt ebenfalls eine wichtige Rolle in Kulturen, in den Töten zu den schönen Künsten gezählt wird. Reelle Personen würden sie sich bei den Übungen nicht vorstellen, versichern Lehrer und Schülerin unisono, »aber ich will nicht ausschließen«, räumt Schmitz ein, der auch in diversen anderen japanischen Disziplinen geübt ist und in einer anderen Schwertkampfart gerade in Paris erneut Europameister wurde, »dass der eine oder die andere sich tatsächlich lebende Personen als Gegner vorstellen.« Doch es gehe ja gar nicht um den Gegner, es gehe um einen selbst: »Ich bin tendenziell chaotisch«, erläutert Sabine Pflitsch ihre Gründe, regelmäßig zum Schwert zu greifen, »und Iaido verlangt in hohem Maße Selbstdisziplinierung, Ruhe und geistige und körperliche Kontrolle ab.« Im Idealfall bewusster und selbstbewusster durch die Straße und den Tag zu gehen, mit der üblichen Hektik, Unkonzentriertheit und Lustlosigkeit anders umzugehen, das könne Iaido leisten. Ein probates Mittel, Wirtshausschlägereien für sich zu entscheiden, sei es nicht. »Aber vielleicht komme ich dahin, gar nicht angegriffen zu werden«. Der Gegner ist immer die Situation, die einen fordert. Das kann ein mieser Tag im Büro sein, das können auch Ängste oder Zweifel sein. Die Persönlichkeit werde jedoch nicht grundlegend verändert: »Wenn ich ein kleines Arschloch bin, ändert sich das auch durch Iaido nicht«, korrigiert der Kölner Lehrer Vorstellungen und Klischees von japanischen Kampfkünsten als transzendentale oder therapeutische Heilslehren, die andere, bessere Menschen hervorbringen.

Dojo heißen in Japan die geschlossenen Räume, in denen Iaido praktiziert wird, in Köln müssen noch Turnhallen als Dojo genügen. Der Boden sollte nicht allzu verschmutzt sein, denn viele Übungen finden im Sitzen statt und Hakama, der weite Hosenrock und die mit einem Gürtel gehaltene Jacke sind schwarz und von fernöstlicher Eleganz, die traditionelle Kleidung zeugt von höfischen Ursprüngen. Trainiert wird mit einem Bokken, einem Holzschwert, das später durch das Iaito ersetzt wird. Dieses entspricht in Form, Länge, Material und Gewicht einem richtigen Schwert, die Klinge ist jedoch ungeschliffen. Die Unterweisung im Training erfolgt fast ausschließlich wortlos, auch die Theorie der Formenlehre wird durch Vorführungen gelehrt. »In Tokyo haben wir gemeinsam mit Bäckern und Blumenhändlern trainiert«, berichtet Schmitz, »50- und 60-jährige Männer, für die das Freizeitbeschäftigung und Traditionspflege in einem ist, – gelebte Geschichte.«

Der Samurai Hayashizaki Jinsuke Shigenobu gilt als Begründer des Iaido. Während einer Meditation soll sich ihm Ende des 16. Jahrhunderts die Natur des Kampfs mit dem Katana eröffnet haben. Das Katana gilt nicht nur als Schwert und Waffe, es ist Ausdruck der Kultur und Klasse seines Trägers. Lange war es nur den Samurai vorbehalten, ein Katana mit sich zu führen. Als zu Beginn des 17. Jahrhunderts endlich nach zahllosen Bürgerkriegen eine längere Friedensperiode in Japan begann, mussten sich die Samurai neue Beschäftigungen suchen. Ohne Gegner hatten sie nun Zeit und Muße, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Immer noch das geliebte Katana in der Hand, entdeckten sie die spirituelle und meditative Dimension des Kampfes mit dem Schwert. Zenbuddhistische und taoistische Momente gingen in die martialische Kunst ein. Immer wieder war aber auch das Tragen von Schwertern in Japan verboten, zuletzt für einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, nachdem japanische Propagandafilme den Amerikanern gezeigt hatten, dass ein richtiges Schwert in den richtigen Händen auch Maschinengewehrläufe spalten kann.
Friedlich und ohne Feindberührung führen die Kölner ihre Holzschwerter. Dennoch kann man sich bei Wettkämpfen mit anderen messen. In der Wettkampfsituation treten zwei Iaidoko an, aber nicht gegeneinander. Parallel müssen sie einem Wettkampfgericht bestimmte Übungen präsentieren, wem das besser gelingt, der ist – nach dem Prinzip B-Note – eine Runde weiter. »Wenn man rausfliegt, ärgert das schon«, erinnert sich Pflitsch an eine Erfahrung. Wie in jedem sportlichen Wettstreit, nur dass man mit dieser japanischen Kampfkunst eben auch lernen möchte, Ärger und Verdruss zu bändigen. Doch zu diesem Ziel ist es ein langer Weg. Nichts anderes meint das Suffix »-do« in Iaido.