Allein unter Männern

Patti Smith spielt in Bonn eines ihrer selten gewordenen Konzerte.

Ein Rückblick auf die Anfänge ihrer erstaunlichen Vita

Derzeit ist Patti Smith vor allem als Autorin im Gespräch. »Just Kids«, ihr autobiografisches Buch über die gemeinsamen Jahre mit Robert Mapplethorpe im New York der 60er Jahre, schaffte es vor wenigen Wochen auf Platz 10 der Focus-Bestsellerliste. Das ist verwunderlich, denn Patti Smith war nie ein kommerziell erfolgreicher Star. Von dem schwulen Fotografen Mapplethorpe ganz zu schweigen. Beide sind immer wieder Feuilleton-Themen gewesen, das schon, doch Präsenz im Feuilleton und Bestseller-Erfolge schließen einander häufig aus. Patti Smith hatte zudem nur einen einzigen Hit, »Because the Night« von 1978, in Zusammenarbeit mit Bruce Springsteen entstanden. Ansonsten war und ist die Musik der Frau, die als Mitbegründerin von Punk gilt, zu intellektuell und sperrig, um die Massen zu erreichen.

Doch vielleicht hat der Erfolg von »Just Kids«, wovon auch ihre ausverkaufte Lesung auf der lit.Cologne zeugte, gar nichts mit der Musikerin Patti Smith zu tun. Vielmehr zeigt er das Bedürfnis von wohl meist weiblichen Lesern nach Büchern von intelligenten Frauen, die das Überleben im ­Boheme-Underground mindestens so cool wie ihre männlichen Kollegen gemeistert haben. Denn genau davon handelt »Just Kids«, von Hunger und Gelegenheitsjobs, schimmelnden Wohnungen und lausigen Krankheiten, also von all den Widrigkeiten, die ein Mensch in Kauf nehmen muss, wenn er sich bedingungslos in den Kopf gesetzt hat, Künstler zu werden. Smith erträgt all das viel stoischer als ihr Freund Mapplethorpe. In gewisser Weise verklärt und romantisiert »Just Kids« das Leben in den heruntergekommenen Vierteln von New York. Es suggeriert, dass ökonomische Widrigkeiten bedeutungslos werden, solange man nur an die Kunst und die Liebe glaubt. Das macht Mut in Krisenzeiten und könnte ein weiterer Grund sein für den Bucherfolg.

Immerhin sind es nicht die schlechtesten Werte, die Smith einer brutal durchökonomisierten Gesellschaft entgegenstellt. Sätze wie »Es war befreiend, mit jemandem über alles von Nietzsche bis Godard reden zu können«, sind typisch für die im Buch ­entworfene Vita einer wissbegierigen jungen Frau, die aus armen Verhältnissen stammt, mit 19 Jahren schwanger wurde, das Kind zur Adoption freigab, 1969, im Alter von 22, mittellos in New York ankam und fast nichts außer einem Buch von Rimbaud in der Tasche hatte.

Obwohl »Just Kids« zahlreiche Boheme-Klischees bedient, besticht das Buch durch den neugierigen Blick, mit dem sich Patti Smith binnen kürzester Zeit alles Erdenkliche aus Kunst, Literatur, Musik und Philosophie aneignet. Begeistert saugt sie Kultur in sich auf, von Jean Genet bis Jazz, von Bob Dylan bis zur abstrakten Malerei. Es gibt für sie keine Grenzen, sie liebt nahezu alle Ausdrücke menschlicher Kreativität, was auch vor Kitsch und Esoterik nicht halt macht. Genau diese Offenheit prägt knappe zehn Jahre später auch ihre Musik und hat dafür gesorgt, dass ihr LP-Debüt »Horses« (1975) mit nichts zuvor in der Popgeschichte vergleichbar ist: Poetry-Elemente, freie Improvisation, spröder Minimalismus und straighter Rock fügen sich zu etwas, was später als eines der Gründungsdokumente des Punk bezeichnet wurde. Und dies wahrscheinlich nur, weil es für eine solche Musik, die Rock vom herkömmlichen Songformat befreite, noch keinen Namen gab.

Patti Smith war Teil der damaligen New Yorker Szene rund um Richard Hell und die Ramones, ihre Texte waren wütend (»Outside of society/ That’s where I wanna be«), ihre Stimme klang rau und unmelodiös, ihr Auftreten war androgyn – mit konventionellem Punk, der sich auf das Drei-Akkord-Schema reduzieren sollte, hatte das nichts zu tun. Smith war einerseits ihrer Zeit voraus und ­andererseits einer Kontinuität ­verpflichtet, der es gar nicht darum ging, mit Punk einen radikalen historischen Bruch zu vollziehen.
Während Malcolm McLaren seine Erfindung namens Sex ­Pistols als Frontalangriff auf die alte Hippie-Ästhetik stilisierte und aus Punk eine aggressive Neuauflage des Rock’n’Roll machte, blieb Patti Smith den 60ern treu. In ihrer Musik finden sich Einflüsse von Bob Dylan und den Doors, in ihren Texten ­huldigt sie den Beat-Poeten. Auf diese Weise war Patti Smith stets Kulturvermittlerin, die ihre Arbeit in einer langen Boheme- und Avantgarde-Tradition verortete, vergleichbar mit dem, was Sonic Youth später taten, wenn sie ihr Pop-Publikum mit Free-Jazz und John Cage konfrontierten. Kein Wunder, dass Smith viele ­ihrer Weggefährten vor den Kopf stieß, für die Punk nichts weiter als Party und Rock’n’Roll bedeutete.

Als Legs McNeil sie Ende der 70er für sein Punk-Fanzine interviewen wollte und nur Fragen über Fast Food und ­Heavy Metal im Programm hatte, wurde er von Patti Smith regelrecht angebrüllt. In »Please Kill Me« erinnert er sich: »Dann hielt ­Patti mir einen langen Vortrag über den Stellenwert der Undergroundpresse, über Professionalität und darüber, wie wichtig es sei, eine Botschaft rüberzubringen und wie Kunst alle erlösen würde, und dann fing sie an, über italienische Fresken der Renaissance zu predigen. Und ich hatte keinen blassen Schimmer, worüber sie sprach.«

Patti Smith setzte sich in einem von Männern dominierten Underground durch, war ihnen intellektuell überlegen. Es gibt bei ihr keine bildungsbürgerliche Pose, man spürt ihre schiere Begeisterung für Kultur als Medium, die Verhältnisse in Frage zu stellen. Sie ist Feministin, die doch immer die Zusammenarbeit mit Männern gesucht hat. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich bis heute auf männlichem Terrain bewegt, hat kommende Generationen von Musikerinnen, nicht zuletzt die Riot Grrrls, nachhaltig beeinflusst. Das Wort »Ikone« dürfte sie hassen, obwohl sie trotz ihrer Bescheidenheit längst zu ­einer geworden ist.

Konzert: So. 4.7., 19 Uhr, Bonner ­Museumsplatz

Buch: Patti Smith, »Just Kids. Die
Geschichte einer Freundschaft«, 321 S., 19,95 €, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010.