Das Theater ist auf der Straße

1961 schrieb Köln Kunstgeschichte: Wolf Vostells Tour »­Cityrama 2« – eine Art alternativer Stadtrundfahrt – gilt als erstes Happening in Deutschland. Sie führte vor allem zu Kriegsruinen. »sehen sie ruine maximinenstr.-domstr. sehen sie ruine hohenzollernring 60«, beginnt die litaneiartige Aufzählung der Schauplätze. Der Appell an das Publikum blieb ein Vostell’sches Leitmotiv.

Der 1932 in Leverkusen geborene, 1998 verstorbene Provokateur verstand Kunst als Medium der Aufklärung und Emanzipation: »Es sind die Dinge, die Ihr nicht kennt, die Euer Leben verändern werden.« Eine seiner Obsessionen waren Kriege und die Verletzbarkeit des Körpers. Als Jugendlicher hatte er im Zweiten Weltkrieg nach einem Flugzeugabsturz Leichenteile in einem Wald gefunden, darunter ein Gehirn, das von einem Ast aufgespießt worden war. Als Motiv kehrt es später in einem seiner Happenings zurück. Als ein Vorbild nannte er Goya; für ihn war der Spanier der erste Künstler, dessen Werke wenig geeignet waren, als schöne Dekoration zu enden. Gegenstand von Vostells Kunst war jedoch nicht die Kunst, sondern das Leben mit seinen Übergängen und Stillständen – »Flucht in die Wirklichkeit« lautete sein Projekt. Sein Opel Kapitän, den er 1969 in Köln einbetonierte, hat unter dem Titel »Ruhender Verkehr« seinen Standort auf dem Hohenzollernring gefunden.

Obwohl für die Straße gemacht, ist Vostells Kunst im ­Museum und im Archiv (das er selbst anlegte und bis zu seinem Tod pflegte) gut aufgehoben und wird dort keineswegs neutralisiert. In der Leverkusener Ausstellung liegt das vielleicht weniger an den Möglichkeiten für Besucher, dort selbst aktiv zu werden und etwa in der Installation »UMGRABEN« mit einem Spaten zu hantieren, sondern an der vielschichtigen Präsentation der Artefakte und der Aussagekraft von dokumentarischen Formen wie Protokollen und Fotografien. Die Präsenta­tion, die in Zusammenarbeit mit dem Museo Vostell Malpartida in ­Spanien entstand, soll einer der Schritte sein zur Entstehung eines Fluxus-»Kompetenzzentrums« am Museum. »Das Theater ist auf der Straße« zeigt, wieviel Poten­zial dieses Vorhaben entfalten kann.