»Es geht nicht um Realismus«

Poesie geht vor Politik – ein Gespräch mit Shirin Neshat über ihren Spielfilm »Women Without Men«, das iranische Kino und verwunschene Gärten

StadtRevue: Frau Neshat, Ihr Film arbeitet viel mit Metaphern und Symbolen. Warum?

Shirin Neshat: Im Iran fühlen wir uns in dieser Form von Poesie zu Hause, weil wir über eine so lange Zeit zensiert wurden. Iraner ­nutzen Bilder, Allegorien und Symbole, um das auszudrücken, was sie nicht direkt sagen dürfen. Das iranische Publikum ist sehr gut darin, diese Metaphern zu entschlüsseln, ob im Film, in der Kunst oder der Literatur. Für das westliche Publikum ist diese Ausdrucksform eher ungewohnt.

Die drei Protagonistinnen Ihres Films finden in einem verwunschenen Garten Zuflucht. Wofür steht dieser surreale Ort?

Der Garten ist in der iranischen Kultur, Mystik und Poesie ein sehr wichtiges Bild. Er ist einerseits ein Ort spiritueller Transzendenz und andererseits im politischen Sinne eine Metapher für die Freiheit, für eine sichere Zuflucht oder ganz direkt für das politische Exil. Im Christentum wiederum gibt es das Bild vom Garten Eden. In meinem Film können die Frauen in diesem Garten die Probleme der äußeren Welt hinter sich lassen, um sich mit sich selbst auseinander zu­setzen. Der Garten wirkt wie ein Spiegel – im Guten wie im Schlechten. Es ist ein existenzieller, universeller und zeitloser Ort mit einer eigenen Logik und eigenen Regeln. Er kann ein Paradies sein, sich aber auch gegen einen wenden, wenn man die ­Regeln nicht einhält.

Wie schwierig war es, in diesem Film die Balance zwischen Poesie und Politik zu finden?

Mit diesem Konflikt lebe ich alltäglich. Wenn ich die Straße entlanggehe, begebe ich mich in den Widerspruch zwischen meinem Inneren und dem Äußeren, zwischen dem, was mir im Kopf herumgeht, und dem, was draußen vor sich geht. Ich fühle mich verletzlich und mache mir Sorgen über den Zustand unserer Welt, über Dinge, die viel größer sind als ich. Durch die individuellen Emotionen wird in meinem Film die politische Dimension für das Publikum zugänglich. Mir ging es nicht ja nicht darum, einen didaktischen Politfilm zu drehen, sondern den Bereich auszuloten, wo Persönliches und Politisches aufeinandertreffen.

Dies ist Ihr erster Kinospielfilm. Zuvor haben Sie vornehmlich mit Video­installationen gearbeitet. Was ist der Unterschied?

Am Kino gefällt mir, dass es näher an den normalen Menschen ist. Kino ist ein Grundnahrungsmittel. Man zahlt seine acht Euro und wird zwei Stunden lang gut unterhalten. Museen und Galerien sind sehr viel elitärer. Man muss sehr gebildet sein, um die zeitgenössische Kunst verstehen zu können. Eine Videoinstallation dauert selten länger als zehn Minuten und man kann kommen und gehen, wann man will. Im Kino hingegen muss die Aufmerksamkeit des Publikums über zwei Stunden gebunden werden. Das ist eine große Herausforderung. Aber ich glaube trotzdem, dass es möglich ist, Elemente der Kunst, konzeptionelle Ideen, moralische und politische Themen ins Medium Film zu injizieren. Man darf das Kino nicht dem Hollywood-Mainstream überlassen.

Das iranische Kino ist auf internationalen Filmfestivals sehr präsent. Wie ordnen Sie sich als Exil-Filmemacherin dort ein?

Zwischen meinem Film und den Filmen der Regisseure, die heute im Iran leben, besteht ein großer Unterscheid. Die Filme aus dem Iran sind eher neorealistisch orientiert. In den Parametern, die durch die Zensur vorgegeben sind, erzählen sie sehr starke, menschliche Geschichten auf eine minimalistische, poetische und universelle Weise. In meinem Film geht es nicht um Realismus. Ich habe nie versucht, möglichst nah an die Wirklichkeit heranzukommen. Mit »Women Without Men« wollen wir in erster Line große Kunst machen. Und erst danach diskutieren wir die iranische Zeitgeschichte.

Warum ist das iranische Kino so erfolgreich?

Mit manchen iranischen Filmen habe ich meine Probleme, weil sie Stereotypen bedienen und immer wieder auf die Unterdrückung hinweisen. Sie füttern das Mitgefühl, das das westliche Publikum gegenüber den Iranern hat. Aber zuallererst soll ein Film ein Beitrag zur Kunst des Kinos sein und nicht ein Report über die politischen Zustände. Der Westen begeistert sich für das iranische Kino nicht wegen seiner künstlerischen Ausrichtung, sondern zumeist aus thematischen Gründen. Einige Filmemacher haben sich eine Formel geschaffen, weil sie wissen, was die westlichen Festivals mögen: Heute sind es die Frauen, morgen Homosexuelle, übermorgen arme Kinder, deren Unterdrückung vorgeführt wird. Viele Exiliraner weigern sich mittlerweile, diese Filme anzuschauen, obwohl einige davon wirklich fantastisch sind.

Dürfen Sie selbst in den Iran reisen?

Ich reise nicht in den Iran. Ich habe zwar kein offizielles Einreiseverbot, aber ich fühle mich persönlich nicht sehr sicher dort.

»Women Without Men« wird im Iran wohl nicht gezeigt werden. Findet der Film trotzdem seinen Weg dorthin?

Der Film ist am 9. April in den USA gestartet. Meine Schwester hat in Teheran bereits einen Tag zuvor zwei DVD-Kopien auf dem Schwarzmarkt gekauft.