Elend, Sex und Gewalt

Umstritten in seiner Heimat, erfolgreich auf europäischen Festivals: der philippinische Regisseur Brillante Mendoza

Letztes Jahr schrieb Brillante Mendoza Kinogeschichte: Es gelang dem philippinischen Regisseur auf den zwei weltweit bedeutendsten Filmfestivals innerhalb weniger Monate mit jeweils einem neuen Werk im Wettbewerb vertreten zu sein. Im Mai schockte er das Publikum in Cannes mit »Kinatay«, im September in Venedig lief dann der wesentlich freundlichere »Lola«.

Kinatay heißt »schlachten« auf Tagalog, der am meisten verbreiteten Sprache auf den Philippinen. Und förmlich geschlachtet wird in der zweiten Hälfte des Films eine Prostituierte, die ihre Schulden nicht bezahlen kann. An ihr soll nun ein Exempel statuiert werden soll, so will es der Kredithai (eine allgegenwärtige Gestalt im Schaffen Mendozas). Zu Tode gefoltert wird sie von einer Gruppe Polizisten, die das Blutgeld gut gebrauchen können, man verdient in dem Beruf ja nichts und muss auch noch froh sein, wenn man sein Gehalt überhaupt bekommt. Der junge Polizist, mit dem man zu Beginn lange durch die Straßen und Gassen, seine Arbeitswelt, kreuzt, ist zum ersten Mal bei so einer Strafaktion dabei: Er verliert hier sein letztes Stück Unschuld. Als er heimkehrt, ist von ihm allein die sterbliche Hülle übrig, sowie ein paar blasse Erinnerungen an jenen Menschen, der er einst war.

Dieses Kreuzen und Streifen durch das Leben, dieses flüchtige und doch seltsam genaue Hinschauen, diese Verdichtung sozialer Zusammenhänge durch Details: Das kann im gegenwärtigen Kino kaum jemand so gut wie Mendoza. Ebenso kann niemand Menschenansammlungen so in Szene setzen wie er, sei es auf einer Beerdigung (»Masahista«, 2005), einer Hochzeit (»Kaleldo«, 2006) oder beim Cruisen von Schwulen (»Serbis«, 2008).

Mendozas Welt ist offen, erzählt wird die Vielgestaltigkeit des Lebens. In »Kinatay« allerdings dramatisiert er das Singulär-Absolute des Tötens, wenn er den Film nach der Weite der ersten Hälfte zum Kammerspiel des Massakers engführt, dessen Horror er ernst genug nimmt, um ihn zu zeigen. Und er zeigt, was mit einem geschieht, wenn man dabei mitmacht.

Um einen Mord, genauer: dessen Folgen, dreht sich auch »Lola«. Zwei ältere Damen versuchen Geld aufzutreiben: Sepa für das Begräbnis ihres Neffen, das Opfer eines Raubmordes; Puring für die Kaution wiederum ihres Neffen, des Täters. Die beiden geplagten Seniorinnen begegnen sich. Puring bietet Sepa an, das Ganze finanziell außergerichtlich zu regeln. Nach allerhand Hin und Her wird man sich handelseinig. Der Kredithai freut sich. Das Leben geht weiter; der tote Junge aber wird durch nichts je wieder lebendig werden. Das ist hart. Das ist vor allem aber: wahr.
»Kinatay« forderte das Publikum an der Croisette letztes Jahr noch mehr heraus als Lars von Triers »Antichrist«. Vielleicht erfuhr »Lola« deshalb auch am Lido nicht die gebührende Aufmerksamkeit. Mendoza wartet immer wieder mit Werken auf, die dem internationalen Kinokultur-Nett-Set gewaltig gegen den Strich gehen. Ähnliches lässt sich über die Wahrnehmung in seiner Heimat sagen. Auch weite Teile der Filmwelt auf den Philippinen stehen Mendoza kritisch gegenüber. Dort meint man, er würde mit seinem Schaffen im Allgemeinen und mit Werken wie »Kinatay« im Besonderen dem Westen genau das geben, was er von den Philippinen sehen will: Not und Elend, Sex und Gewalt. Wurden nicht alle Filme Mendozas, die in Cannes und Venedig liefen, von westlichen Firmen mitfinanziert? Und hat nicht auch sein Manager gesagt, dass sie alles tun würden, um Erfolg zu haben?

Der Ausbeutungsvorwurf ist nicht neu. Selbst Lino Brocka, der vielleicht Größte aller philippinischen Filmemacher, musste sich Ähnliches in den 70er Jahren öfters anhören, wenn er wieder einmal in Cannes mit einem Melodram oder Film-noir aus den Slums im Wettbewerb lief. Dabei hatte er schon Filme über die Elendsten der Gesellschaft gemacht, bevor auch nur ein europäischer Festivalchef von ihm gehört hatte. Ähnliches lässt sich über Mendoza sagen: Auch er hat schon vor »Forster Child« (2007), seinem ersten Cannes-Beitrag, mindestens zwei Filme reali­siert, die unter Marginalisierten spielten: »Masahista« (2005) und sein Meisterwerk »Manoro« (2006). Doch wirft man ihm nun noch zusätzlich vor, dass er sich mit seinen Blicken auf die Ränder der Gesellschaft als Erbe Brockas aufspielen wolle. Die Situation ist verfahren. Was bei all dem aus den Augen verloren geht, ist die Reichhaltigkeit dessen, was in den Filmen erzählt wird, was in ihnen zu sehen und zu hören ist.

Lola (dto) Philippinen 09, R: Brillante Mendoza, D: Anita Linda, Rustica Carpio, Camille Solari, 110 Min. Filmpalette, ab 15.7.

Kinatay (dto) Philippinen 09,
R: Brillante Mendoza, D: Mercedes
Cabral, Julio Diaz, Jhong Hilario,
105 Min. Der Film läuft im August.