Foto: Jörn Neumann

Wir müssen draußen bleiben

Eltern auf der Suche nach Kita-Plätzen
Über 500 private und städtische Kindergärten und -tagesstätten gibt es in Köln. Hinter dieser stattlichen Zahl verbergen sich aber die mühsame Suche der Eltern nach den wenigen freien Plätzen, die große ­Debatte um Integration und Spracherziehung und nicht zuletzt der Kampf der Erzieherinnen um bessere Arbeits-bedingungen. Die Kitas stehen zunehmend im Fokus verschärfter gesellschaftlicher Konflikte. Die Erziehung von Kindern scheint dem­gegenüber fast schon nebensächlich zu werden. Felix Klopotek geht den Konflikten um die besten Kita-Plätze nach. Jörn Neumann inszeniert auf seinen Fotos eine Welt ohne Kitas.

Nehmen wir zum Beispiel die kleine Olga. In ihrem ersten Lebensjahr haben ihre Eltern Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um für sie einen Platz in einer »U3-Gruppe« zu ergattern. Das sind die Kinderbetreuungsgruppen für die ganz Kleinen, U3 heißt »unter drei Jahren«. Nach einem Jahr Elternzeit will Monika, Olgas Mutter, wieder arbeiten gehen, sie muss es auch, denn das Gehalt von Karl, dem Vater, reicht nicht für die Klein­familie. Oder bloß ganz knapp, die Abstriche im Vergleich zu ihrem vorherigen Leben ohne Olga wären zu groß. Und der Tochter will und muss man ja auch einiges bieten.

Himmel und Hölle in Bewegung setzen – das heißt, einen Antrag bei der Stadt zu stellen, mit der sicheren Aussicht, dass dort niemand auf irgendwelche Nachfragen oder Bitten reagieren wird. Das heißt zahlreiche Informationsbesuche bei städtischen Kindertagesstätten und Kitas von anderen Trägern, z.B. kirchlichen. Das heißt Anmeldung in zahlreichen Internet-Foren, um sich mit anderen Eltern auszutauschen und vielleicht die ein oder andere heiße Adresse abzuklappern. Das heißt zuletzt auch anstrengende Bewerbungsrunden in privaten Elterninitiativen – mit allem Drum und Dran: Einreichen von Mappen mit Fotos und Lebens­läufen, Bewerbungsgespräche, Probebesuche. Eine Jobsuche sei unkomplizierter, meint Karl lakonisch. Es gibt tausend unterschiedliche Er­ziehungsangebote, Fördermethoden, Spezialprogramme. Wer in die Kindergarten-Szene einsteigt, bekommt schnell den Eindruck, das Leben der Kleinen sei völlig zergliedert und haarklein ausgestaltet – zwischen Sprachförderung, Walderlebnispädagogik, Bio-Essen, musikalischer Früherziehung. Eine Karikatur des Schiller’schen Renaissance­menschen. Natürlich wird einem in jeder Kita versichert, dass die Kinder ganz viel Zeit für sich hätten, alles ausprobieren dürften. Natürlich. Karl konnte diesen Satz irgendwann nicht mehr hören.

Fündig geworden sind Karl und Moni­ka schließlich bei einer Tagesmutter – ganze zwei Wochen vor dem beruflichen Wiedereinstieg Monikas. Die Tagesmutter wohnt sogar in der Nähe. Die Unterbringung Olgas ist dort wesentlich teurer (und frisst einen nicht unerheblichen Teil von Monikas Lohn), aber die Kindergruppe ist überschaubar und kuschelig, die Tagesmutter wirkt souverän. Endlich Ruhe. Zumindest bis Olga drei Jahre ist, dann steht der Wechsel in eine »Ü3-Gruppe« für Drei- bis Sechsjährige an. Seit 1996 haben ­Eltern einen Rechtsanspruch auf einen städti­schen Ü3-Platz.

Ein halbes Jahr später meldet sich plötzlich ein städtischer Kindergarten – der Leiterin liegt eine Zuweisung vor, Olgas Eltern können ihre Tochter in eine der begehrten U3-Gruppen geben. Doch der Stress beginnt von neuem. Sollen sie ihre Tochter aus der intimen Gruppe der Tagesmutter schon so früh rausnehmen? Ist die städtische Kita nicht ein riesiger Betrieb, in dem hundert Kinder in sechs Gruppen von je zwei Erzieherinnen betreut werden? Aber die sind natürlich Profis, und die Einrichtung der Kita ist auch tipptopp. Wäre da nicht das Tiefkühlessen, das die Stadt zentral anliefern lässt. Und was ist, wenn Karl und Monika den Platz nicht nehmen? Verschwinden sie dann von den Listen des Jugend­amts? Wird das negativ verbucht? ­Niemand scheint das zu wissen. Gerüchte und Unterstellungen gibt es zuhauf. Suchenden Eltern gelten die städtischen Angestellten, die für die Zuweisung von Kindergartenplätzen zuständig sind, als Phantom – ungreifbar.

»Bitte sehen Sie von weiteren Anfragen ab«, diesen Satz hat Verena Maas als Antwort auf ihre zunehmend gereizten Anfragen ans Amt häufiger zu lesen bekommen. Während die Eltern von Olga den Druck haben, die richtige Entscheidung zu treffen, ist ihre Tochter Vivianne durchs Raster gefallen. Vivi­anne hat im letzten Januar ihren dritten Geburtstag gefeiert. Eigentlich hätte sie seit August 2009 – die Kindergartenjahre beginnen immer im August – ihren Kita-Platz bekommen sollen. Hat sie aber nicht. Das Amt hat es versiebt, irgendwie, oder aber, auch das eine Unterstellung, die man immer wieder hört, benachteiligt »Winterkinder«. Kinder also, die ihren dritten Geburtstag erst ein paar Monate nach dem Beginn des Kindergartenjahrs haben. Vivianne musste ein weiteres Jahr in der U3-Gruppe einer Elterninitiative zubringen, aus der sie schon rausgewachsen ist. Ihrer Entwicklung war das nicht zuträglich, meint Verena Maas. Und auch der finanziellen Situa­tion der Familie nicht, denn Eltern­initiativen, selbst wenn sie von der Stadt unterstützt werden, sind teurer und und kosten den Eltern viel Zeit, weil sie von deren Engagement leben.

Verena Maas hätte deswegen gerne von der Stadt eine finanzielle Kompensation ihrer Mehrausgaben, sie lässt zurzeit rechtliche Schritte gegen die Stadt prüfen, Kontakt zu anderen Eltern, deren Kinder ebenfalls durchs Raster gefallen sind, hat sie bereits aufgenommen. Vielleicht hätte sie sich aber auch einfach über eine persönliche Antwort gefreut. »Bitten sehen Sie von weiteren Anfragen ab« – auch wenn die Mitarbeiter in der entsprechenden Abteilung des Jugendamts unter Druck stehen, für Eltern, die häufig nur mit großer Anstrengung Erziehungs- und Lohnarbeit unter einen Hut kriegen, ist diese Floskel purer Hohn...

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