Ein Genie macht Theater

Backstage-Drama: »Ich & Orson Welles« von Richard Linklater

New York, 1937. Während die Welt am anderen Ende des Atlantiks immer tiefer in hoch moderne Formen der Barbarei versinkt, scheint in den USA dank des New Deal endlich wieder alles für alle möglich. Das Abenteuer Zukunft lockt.

So auch für Richard, ein High-School-Lümmel, der vom Theater träumt. Seine arglose Großmäuligkeit verschafft ihm unverhofft eine Bühnenrolle als Lucius in Shakespeares »Julius Cäsar«, Inszenierung: Orson Welles. Der ist gerade mal fünf Jahre älter, doch schon eine Berühmtheit, ein Genie, dem man deshalb allerhand durchgehen lässt: seine Egozentrik, die Schürzenjägerei und all die Schwindeleien, durch die er kriegt, was er will und braucht. Darunter auch: die berückende Sonja, die sich Welles’ Theatertraum völlig hingibt, in der Hoffnung, so zu ihrer großen Chance zu kommen.

Richard ist zwar die Hauptfigur, der emotionale Schlüssel von »Ich & Orson Welles«, aber nicht dessen Kern. Er ist der träumende Teenager – eine grundlegende Figur in Richard Linklaters Kino –, dessen Entwicklung klassisch verläuft: von der Hoffnung über die Ernüchterung zur Erlangung früher Weisheit. Wesentlich schillernder sind Orson und ­Sonja. Er ist ein Transformator, der Emotionen und Gedanken generiert, weil er es wie ein Magier versteht, die Dinge zu verwandeln. Wenn Orson Welles »Julius ­Cäsar« hier his­torisch ­korrekt, als Paraphrase des Röhm-Putschs inszeniert, dann zeigt sich, dass der Meister ganz klar wusste, was die Stunde auch für sein Land geschlagen hat.

Sonja ist Welles’ Pendant, jedoch in einer nach innen gerichteten Art. Wie er wird sie alles tun, was notwendig ist, um ihr Ziel zu erreichen – in ihrem Fall: einen Platz im Rampenlicht. Wie der Mann mit der vielleicht markantesten Stimme des 20. Jahrhunderts ist sie absolut authentisch in ihrem Spiel mit ihrer Umwelt: Sie meint alles ernst und ist jederzeit bereit, etwas anderes genauso ernst zu meinen – und zwar aus tiefster Überzeugung.

»Ich & Orson Welles« wirkt im positiven Sinne theaterhaft: Die Bilder haben bisweilen einen schönen, modernistischen Guckkastencharme, das Spiel der Darsteller kommt auch in den hinteren Reihen noch gut an. Im tiefsten Inneren seines gar nicht so verkappt Brechtschen Volksstücks erzählt Linklater davon, dass das amerikanische Jahrhundert ein gewaltiges, aber auch lächerliches Königsdrama war. Ein Königsdrama, gespielt von Menschen, die zutiefst überzeugt wie ergriffen waren von ihrer eigenen Authentizität, die sich selbst liebten und die ganze Erde lieben wollten wie sich selbst.

Ich & Orson Welles (Me and Orson Welles) GB 08, R: Richard Linklater,
D: Zac Efron, Christian McKay,
Claire Danes, 109 Min. Start: 26.8.