Foto: Manfred Wegener

Biografie auf der Anklagebank

Einem Kölner Autor und Menschenrechtler droht in der Türkei lebenslange Haft. Freunde und Mitstreiter vermuten ein politisches Motiv

 

Als Dogan Akhanlı Mitte August erstmals nach zwanzig Jahren in die Türkei flog, um seinen kranken Vater zu besuchen, wurde er kurz nach der Ankunft festgenommen. Der Vorwurf: Er soll 1989 an einem Raubüberfall auf eine Wechselstube in Istanbul be­teiligt gewesen sein, bei dem ein Mensch starb. Der Schriftsteller und Menschenrechtler mit deutscher Staatsbürgerschaft bestreitet das. Die Anklage stütze sich auf zwei Zeugenaussagen von 1992, erklärt Akhanlıs Anwalt ­Illias Uyar. »Beide haben ihre Aussagen von 1992 schriftlich zurückgezogen.« Einer habe erklärt, Akhanlıs Namen damals unter Folter genannt zu haben.

Dennoch hält die türkische Justiz den Schriftsteller für tatverdächtig, so dass sie alle Haftbeschwerden abgelehnt und den Pro­zess zugelassen hat. Inzwischen wirft die Staatsanwaltschaft Akhanlı nicht mehr nur Raub und Totschlag vor. Laut Anklageschrift war er Kopf einer linksextremen Gruppe, die das Ziel verfolgte, die verfassungsmäßige Ordnung der Türkei zu stürzen. Darauf steht lebenslänglich.

»Immer wieder Tabuthemen wie den Genozid an den Armeniern angesprochen«

»Den Staatsanwalt hat nicht interessiert, dass das höchste türkische Gericht Dogans damalige Organisation 1994 als ›nicht-terroristisch‹ qualifiziert hat«, sagt Albrecht Kieser vom Kölner Verein Recherche International. Über die Hintergründe der Festnahme lässt sich nur spekulieren. »Als sich zu Beginn die Eigentümlichkeiten häuften, dachten wir: Schlamperei? Mangelnde Kompetenz?«, so Kieser. Inzwischen müsse man aber ein Motiv vermuten, dass über die rein rechtliche Klärung eines Gewaltverbrechens hinausgehe. »Ich habe den Eindruck, dass hier der Justizapparat mit juristisch fragwürdigen Mitteln die 80er Jahre aufarbeiten will.«

1980 putschte sich das türkische Militär an die Macht. Zum »Schutz der Einheit des Landes« verbot es alle politischen Parteien. Es folgte eine Welle der Gewalt, bei der Tausende Menschen Opfer politischer Verfolgung wurden, vor allem Anhänger linker Gruppen. Do˘gan Akhanlı lebte nach dem Putsch im Untergrund, bis ihn Militärkräfte gefangennahmen und als politischen Häftling folterten. Anwalt Uyar ist überzeugt: »Do˘gan Akhanlıs Biografie sitzt auf der Anklagebank.« Weil er immer wieder Tabuthemen wie den Genozid an den Armeniern angesprochen habe, betrachteten ihn nationalistische Türken als Nestbeschmutzer. »Und diese Nationalisten dominieren den Justizapparat klassischerweise«, erklärt der Anwalt.

Festnahme verblasst vor dem Hintergrund des Verfassungsreferendums

Türkische Medien vermeldeten zwar die Festnahme des Schriftstellers. Das Hauptinteresse galt im September allerdings dem Verfassungsreferendum am 12. September. An diesem Tag hat die Mehrheit der Türken entschieden, die Verfassung – eine Hinterlassenschaft der Putschgeneräle von 1982 – zumindest in 26 Punkten zu ändern. Militär und Justiz sollen nun künftig einer stärkeren zivilen Kontrolle unterzogen werden. Beobachter sahen das Referendum als Machtprobe zwischen dem laizistisch-nationalistischen Militär und der religiös-konservativen Regierung Recep Tayyip Erdogans.

Adnan Keskin vermutet keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Referendum und der Festnahme. Keskin, der Akhanlı seit den 70er Jahren kennt, eine ähnliche Geschichte durchlebt hat und ebenfalls in Köln wohnt, möchte noch nicht von einem politischen Motiv sprechen. »Dafür ist es zu früh.« Allerdings beklagt er – und da schließt sich der Kreis zur Verfassungsänderung – dass Akhanlı bis zum Prozessbeginn inhaftiert bleibt. »Man kann keinen dringenden Tatverdacht, keine Flucht- oder Verdunklungsgefahr erkennen«, sagt Keskin. Das sei ein generelles Problem der Türkei: Rund die Hälfte der Gefängnisinsassen sei nicht verurteilt und warte auf den Prozess. »Damit das nicht mehr möglich ist, braucht das Land dringend eine Justizreform.«

Keskin hat 2007 zusammen mit Akhanlı und anderen das Projekt »Erinnern und Handeln für die Menschenrechte« im Allerweltshaus gegründet. »Und wir vermissen ihn«, sagt Adnan Keskin.

Er, Kieser sowie viele andere Künstler und Menschrechtler, die sich mit Do˘gan Akhanlı solidarisiert haben, hoffen nun auf eine klare Ansage des deutschen Außenministers Guido Westerwelle (FDP). »Es muss deutlich werden, dass es hier nicht um ­einen Kriminalfall, sondern um ein Politikum geht«, fordert Anwalt Uyar.