Alle Tassen im Schrank?

Alles in Ordnung: Angie Hiesl und Roland Kaiser bespielen mit ihrer Performance-Installation »Pick’n’Place« die Innenstadt

Im ersten Stock des Kunsthauses Rhenania befindet sich das Atelier von Angie Hiesl, Regisseurin, Choreografin und Performance-Künstlerin. Auf dem Boden liegen unzählige Alltagsgegenstände, fein säuberlich in Kategorien sortiert, die darauf warten in 400 bereitstehende Ordner geheftet zu werden. Unter dem Rubrum »Freizeit/Unterhaltung« sammeln sich unter anderem Tennisbälle, Mickey Mouse-Hefte, Puzzle, Spielfiguren, Reiseführer oder der gute alte Brockhaus, bei »Admin/Kommunikation« gibt es Steuerunterlagen, Überweisungsvordrucke, Handys, Locher, eine Weltzeituhr oder einen KVB-Plan zu sehen und »Hygiene« hat eine Bürste, Fön, Handtücher, Ohrreiniger, ein Döschen mit Nivea Creme und vieles mehr zu bieten.

Barfuß stehe ich mit der Künstlerin und ihrem Partner Roland Kaiser mitten im Material für den ersten Teil ihres neuen auf drei Jahre angelegten Projektzyklus »Urban-City-Urban«. Part eins heißt »Pick’n’Place«. Ein Mix aus Performance und Installation soll es werden, dessen konzeptioneller Mittelpunkt Regale sind, auf, in, unter und neben denen zwei Performer, Gerno ­Bogumil aus Deutschland und Yang Yunzhi aus China, räumen und sortieren, sich hängen und verdrehen werden. In Szene gesetzt wird das Projekt am Hans-Böckler-Platz und am Friesenplatz. »Damit setzen wir eine Intervention in den urbanen Raum, mit der wir die Menschen konfrontieren, sozusagen eine Konfrontation des Alltags mit dem Alltag«, erklärt Angie Hiesl. An dem einen Ort werden die Büroordner mit den Alltagsgegenständen platziert, an dem anderen eine chinesische Variante des Aufbewahrens: kleine bunte Schüsselchen und Eimer schmücken die Regale. »Bei unseren Reisen nach Peking und Shanghai seit 2005 sind uns die bunten Plastikschüsseln und -eimer in Geschäften und auf Märkten vieler Stadtviertel immer wieder aufgefallen. China ist zwar nicht das primäre Thema von »Pick’n’Place«, aber durch die bewusste Auswahl eines chinesischen Tänzers bringen wir Einflüsse und Aspekte seiner Kultur in die Performance ein«, so die Künstlerin weiter.

Seit den 1980-er Jahren verwandelt Angie Hiesl Straßen und Plätze, Hausfassaden, Fußgängerzonen oder Bahnunterführungen zu Kunstwerken auf Zeit. In der engen, unheimlichen U-Bahnunterführung am Kölner Appellhofplatz wandelte man zum Beispiel plötzlich entspannt und angstfrei auf Rasen; Menschen über 60 schwebten an Häuserwänden der Ehrenstraße, am Eigelstein tauchte man ein in fiktionale Welten zum Thema Haare. Das Künstlerpaar Angie Hiesl und Roland Kaiser provoziert mit ihren Arbeiten den neuen Blick auf vertraut Geglaubtes im öffentlichen Raum. Am Anfang ihrer Projekte gehen sie immer erst einmal da­ran, die jeweiligen Eigenarten des Ortes, die Atmosphäre, den Klang, Grundstruktur und Architektur genau zu untersuchen. Daraus entwickeln sie die Raumidee und dann die Installationen, die gewohnte Sichtweisen oft wunderbar komisch und bizarr auf den Kopf stellen.

Sie setzen am Vorhandenen an. Dieses Mal ist es der konkrete urbane Raum, der zum Medium wird. »Wenn man es sich genau überlegt, funktioniert die Architektur einer Stadt eigentlich wie ein Regal«, erzählt Roland Kaiser. »Wenn du die Stockwerke und Wände von Gebäuden als Regalsystem begreifst, ordnen sie den Raum in Wohn- und Arbeitseinheitseinheiten, in denen wiederum ganz unterschiedliche Menschen und Dinge sichtbar werden.« In diesem Sinn die spezifische Ordnung der Dinge zu zeigen und gleichzeitig außer Kraft zu setzen, um ihnen eine neue Form zu geben, scheint die Idee hinter Pick’n’Place zu sein. Auf den zweiten Blick wird sie allerdings bei jedem anders funktionieren und zu interpretieren sein. Denn welche Assoziationen der Betrachter entwickelt, kommt ganz auf ihn selbst an. Regale können schließlich Sammelstelle für Erinnerungen, Liebgewonnenes, Vergessenes und Unangenehmes oder sie können Archiv- und Ausstellungsraum sein. Sie sind eine Welt im Kleinen, die gesellschaftliche Ordnungs- und Lebensprinzipien und Regeln reflektiert.

Am Hans-Böckler- und Friesenplatz werden die Performer diese Welt ausagieren: Mittels Verzerrung und Demontage bis zur Selbstaufgabe werden beide selbst Teil der Regal-Ordnung bzw. der (Regal-)Un-Ordnung. Außen- und Innenwelten werden verrückt. Dazu geht’s ans Eingemachte, das entblößt und vorgeführt wird – das Eingemachte von Regal-Ordnern, aber auch das der Performer oder der Zuschauer, die sich als Betrachter ja nicht entziehen können. Ein manisches Spiel steht bevor, das dem Zuschauer nachhaltige, verstörend schöne Bilder bescheren dürfte. Teil zwei des mehrteiligen Projektzyklus wird im Frühjahr 2011 stattfinden. »Den nennen wir improvisierte Intervention«, sagt Hiesl. »Wir laden Künstler und Personen aus unterschiedlichsten Berufs- und Lebensfeldern ein, nach gezielten Improvisationsaufgaben im öffentlichen Raum zu agieren. Im dritten Teil planen wir dann inszenierte, performative Vorträge mit Fachleuten aus Wissenschaft und anderen Berufsfeldern. Die sollen aus ihrer Warte den öffentlichen Raum und das künstlerische Handeln reflektieren.« Klingt abstrakt. Aber genau das zeichnet Hiesl und Kaiser aus: die Kunst, den abstrakten Ansatz in super anschauliche Performances zu überführen. Das eine ohne das andere wäre ja auch langweilig.

»Pick’n’Place« Interdisziplinäres
Performance-Projekt von Angie Hiesl und Roland Kaiser, Uraufführung,
Friesenplatz und Hans-Böckler-Platz, 1. (P), 2., 8., 9., 14., 15.10., jeweils
15 Uhr, Dauer: ca. 5 Stunden. Der Eintritt ist frei und an beiden Plätzen möglich.