»Man muss viele Frösche küssen«

Ungläubig schaut Stephen Hays von 120 dB Films Claudia Steffen an. Hays, Mitbegründer eines New Yorker Hedge Fonds, den eine Sinnkrise ins Filmgeschäft verschlagen hat, bekommt von der Kölner Produzentin einen kleinen Nachhilfekurs in Sachen europäischer Filmfinanzierung, mit der er offensichtlich nicht allzu viel Erfahrung hat. Gerade hat sie ihm erklärt, dass in Europa nicht jeder Vertrag erst einmal von Anwaltskanzlei zu Anwaltskanzlei geschickt wird. Sie selber habe schon Abschlüsse per Handschlag gemacht.

Für Hays’ Dienstleistung hat die Produzentin von Pandora Film keine Verwendung: 120 dB Films, aus dem nördlich von New York gelegenen Salem, haben sich auf die Zwischenfinanzierung bei Filmproduktionen spezialisiert. Sie springen ein, wenn etwa während der Dreharbeiten Rechnungen nicht bezahlt werden können, weil Gelder noch nicht überwiesen wurden. Ein finanzielles Risiko trägt die Firma dabei nicht, denn sie vermittelt nur mögliche Finanziers – natürlich gegen entsprechende Gebühren. Die sind der Deutschen zu hoch, »außerdem gehe ich selber zu den Banken, wenn ich eine Zwischenfinanzierung brauche. Das ist mein Job als Produzentin«.

Steffen ist zusammen mit der Regisseurin Pia Marais (»Die Unerzogenen«) auf dem New Yorker Koproduktionsmarkt »No Borders«, um ihr gemeinsames neues Projekt »Layla Fourie« in der Branche vorzustellen. Sie hoffen, die Mischung aus Thriller und Drama nächstes Jahr in Südafrika drehen zu können. Aus Köln angereist ist außerdem Steve Hudson, dessen junge Firma Gringo Films den letztjährigen Venedig-Gewinner »Lebanon« mitproduziert hat. Er sucht nach möglichen Koproduzenten, aber auch geeigneten Darstellern und einem Regisseur für die Verfilmung des autobiografischen Drehbuchs »Take the Blame« von MTV-Urgestein und Wahlkölner Steve Blame.

Seit 2002 schickt die Filmstiftung NRW jährlich ein bis zwei Produzenten nach New York, die dort ihre Projekte vorstellen können. No Borders findet im Fashion Institute of Technology statt, mitten in Manhattan. Die glamourös klingende Adresse täuscht: In einem anonymen Saal, der auch zu einer Jugendbegegnungsstätte in Osnabrück gehören könnte, sind notdürftig mit weißen und blauen Stofflaken verschiedene Bereiche unterteilt. Auf einem Tisch stehen ein paar traurige Topfblumen und Thermoskannen mit Kaffee. Hinter den Stoffabtrennungen sind in zwei Bereichen jeweils um die zwanzig nummerierte Tische aufgebaut, an denen Vertreter der »Industry« sitzen: Mitarbeiter von Weltvertrieben, Verleihen, Agenturen, Festivals, Produktionsfirmen oder Finanzdienstleister wie 120 dB Films. Im Vorfeld konnten sie sich aussuchen, welche der für No Borders ausgewählten Filmprojekte sie so interessant finden, dass sie mit den angereisten Produzenten und Kreativen sprechen wollen. Ein Koproduktionsmarkt ist also nichts anderes als eine riesige Speed-Dating-Veranstaltung mit Hunderten von Treffen in wenigen Tagen.

»Man muss viele Frösche küssen, bis man auf einen Prinzen trifft«, beschreibt Hudson seine Erfahrung. Dass er hier einen Geldgeber für »Take the Blame« findet, hält er für eher unwahrscheinlich. Der unabhängige Filmsektor in den USA ist mit dem Börsencrash vor zwei Jahren quasi zum Erliegen gekommen, auch wenn langsam erste Zeichen der Erholung am Horizont zu erkennen sind. Auf Hudsons Programm stehen Treffen mit Weltvertrieben, einem US-Verleih, britischen Filmförderern und einem Filmfestival.
Außerdem hat er sich einen Termin im New Yorker Büro der Agentur CAA besorgt, die unter anderem Meryl Streep, George Clooney und Brad Pitt vertritt. So genannte talent agencies haben im Filmgeschäft der USA eine weitaus größere Bedeutung als in Europa. Teilweise ermöglichen sie erst Filme, indem sie ganze Pakete schnüren mit mehreren Schauspielern und einem Regisseur.

Wie Anwaltsbüros und Firmen wie 120 dB Films gehören Agenturen zu den Dienstleistern, die in den USA zwischen Kreative und Produzenten geschaltet sind – was die Kosten für Filmproduktionen in die Höhe treibt. Dass in den USA eine nennenswerte öffentliche Förderung nicht exis­tiert, macht die Filmproduktion nicht unbedingt effizienter. »Filme entstehen hier zwischen Managern und Anwälten«, erklärt Steffen. »Das ist eine komplett andere Herangehensweise als bei uns. Da in Amerika so viele Leute, die keine Ahnung von Film haben, an der Finanzierung beteiligt sind, versuchen sie ihr Risiko zu minimieren, indem sie alles von Anwälten überprüfen lassen.«
Steffen ist die Arbeit mit den Filmförderern und Redakteuren in den Sendeanstalten lieber, die in Europa einen Großteil der Filmfinanzierung sichern. Grundsätzlich hält sie nur wenige Projekte für eine transatlantische Zusammenarbeit geeignet, auch wenn sie Koproduktionen grundsätzlich lohnend findet: »Es geht ja nicht nur um einen Austausch von Geld, sondern auch von Ideen.«
Viele Kontakte hat sie geknüpft, ob sich ihre Reise nach New York gelohnt hat, wird sich aber erst in den kommenden Monaten herausstellen. Steve Hudson geht es ähnlich. »Wichtig ist, dass das Projekt jetzt in der Branche bekannt ist. Die Reaktionen auf ›Take the Blame‹ waren positiv, aber was dabei herauskommt, weiß man nicht.«