Foto: Manfred Wegener

»Eine Lesung ist keine Theateraufführung«

 

Eine Radtour mit der neuen Literaturhaus-Leiterin Insa Wilke

Insa Wilke ist wie verabredet mit dem Rad zum Rudolfplatz gekommen – und schaut ein wenig ratlos. Irgendetwas sei mit dem Hinterreifen nicht in Ordnung. Vielleicht ist ja der harte Kölner Asphalt Schuld. Vielleicht fehlt aber auch einfach nur ein bisschen Luft, sagt sie. Und steigt aufs Rad.

Ein paar Minuten später steht die Programmleiterin des Literaturhauses in der Buchhandlung Bittner an der Apostelnstraße. Sie nimmt das Buch eines italienischen Bestsellerautors in die Hand. Ein schlechtes Buch sei das, flüstert sie. Hat sie für die Frankfurter Rundschau besprochen. Auftritt Klaus Bittner. Die beiden grüßen sich herzlich. Man kennt sich, schon nach kurzer Zeit. Die Literatur-Szene ist überschaubar, und außerdem ist Zusammenhalt ja wichtiger denn je in Zeiten leerer Kassen.

StadtRevue: Fangen wir doch mit Geld an, Frau Wilke. In der Kultur muss gespart werden, Förderung durch Wirtschaftsunternehmen wird zunehmend wichtiger. Wie stehen Sie dazu?

Insa Wilke: Man muss sich natürlich damit beschäftigen, ob das, wofür wir inhaltlich stehen, kompatibel ist mit dem Geschäftsgebahren bestimmer Förderer. Das kennen Sie ja auch, die Problematik mit den Anzeigenkunden. Das ist überall in der Kultur so.

Aber ich selbst weiß eigentlich noch gar nicht, wie meine Haltung dazu ist. Ist es okay, solange man inhaltlich autonom bleibt? Ich kenne eine sozialkritische Filmemacherin, die hat für einen Film keine staatliche Förderung bekommen und sich das Projekt dann von einem Pornoproduzenten finanzieren lassen. Das ist dennoch eine sehr integere Frau.


Als sie das sagt, haben wir die Buchhandlung Bittner schon hinter uns gelassen. Wo man eben noch mit ein paar Schritten den ganzen Laden durchmessen konnte, stehen wir nun bei Thalia am Neumarkt auf ein paar Tausend Quadratmetern voller Bücher. Wilke gesteht, dass sie in Notfällen auch mal hier hingeht. Stets gepaart mit schlechtem Gewissen.

Ich mag es lieber, wenn die Menschen erkennbar sind, die da arbeiten. Die kleinen Wohnzimmer-Läden, die haben Gesichter. Das hier ist eher ein Kaufhaus.

Schon verstanden. Also rauf aufs Rad und ab in die Lengfeld’sche Buchhandlung am Kolpingplatz. Die wollte Wilke unbedingt dabei haben. Ihr Lieblingsladen in Köln, sagt sie. Hier finde sie am meisten, hier könne man richtige Schätze ausgraben. Hier moderierte sie auch ihre erste Lesung in Köln.

Was macht für Sie denn eine gelungene Lesung aus?

Wenn ein Autor nicht perfekt liest, ist das nicht so wichtig. Eine Lesung ist keine Theateraufführung, wo es auf das Kunstwerk ankommt, das entsteht. Bei einer Lesung ist das Kunstwerk schon da.

Ihr Vorgänger Thomas Böhm sah das anders. Für ihn war eine Lesung durchaus eine theatralische Performance.

Ich finde es toll, wenn jemand das kann, aber ich sehe auch die Gefahr der Gleichmachung bei dieser Professionalisierung. Mich interessiert, wenn sich jemand verletzlich macht, wenn man den Menschen erlebt. Da ist es wichtig, dass es nicht inszeniert ist.

Letzte Station: die Unibibliothek. Es riecht streng nach öffentlicher Verwaltung. Insa Wilke hat viel Zeit an Universitäten verbracht, als Studierende und als Lehrende. Nach einem kurzen Blick in die Germanistik-Abteilung finden wir uns auf unbequemen Schalensitzen im ersten Stock wieder, inmitten hektisch umherlaufender Studenten.

Warum gehen diese ganzen jungen Leute eigentlich so selten zu Lesungen?

Ich habe in Berlin bei Lesungen selber oft das Gefühl gehabt, dass ich nicht willkommen war, dass das für einen Inner Circle bestimmt ist. Das ist nicht bösartig und nicht bewusst, aber das ist die Ausstrahlung. Das müssen wir ändern.

Wie das zu ändern ist? Da ist auch Insa Wilke ein wenig ratlos. Außerdem läuft uns die Zeit davon. Draußen wird es dunkel, und Insa Wilke ist noch eingeladen. Ein wichtiger Mitarbeiter der Stadt bittet zum Kennenlern-Abendessen. Bevor sie sich wieder auf ihr Fahrrad schwingt und hofft, dass die Luft im Reifen reicht, noch schnell ein Klassiker aus dem Fragenkatalog an Literaturhaus-Leiterinnen:

Wen würden Sie gerne mal ins Literaturhaus einladen?

Das Gemeine ist: Man weiß ja nie vorher, wie es wird. Es muss an diesem einen Abend funken. Das Unberechenbare spielt eine Rolle. Oft wird es dann gut, wenn die Planung nicht funktioniert. Ich habe mal eine Lesung mit Cees Nooteboom moderiert, und der hat mich richtig fies auflaufen lassen. Aber für das Publikum war das großartig.