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»... die Stadt, alles eingestürzt, alles hin, alles weg ...«

Elfriede Jelineks »Ein Sturz«, das Ende Oktober im Kölner Schauspiel uraufgeführt wird, ist ein Stück über den Archiv-

Einsturz, den Ausverkauf der Stadt und den Wahn von Kapital und Technologie. Lesen Sie hier einen Vorabdruck.

 

Wir sind die Herren, wir sind der Schutzwall gegen die Natur, Reichtum, der, von Glück satt, die Verträge macht, die Verträge umstößt, die Verträge mit uns, umstößt des heiligen Rechts Altar, vor der Vernichtung, also bitte, da steht es ja!, erstellt im Auftrag der Versicherungen: Die Erde darf nicht kommen, das Wasser darf nicht kommen, der Kirchturm darf sich nicht neigen, das Haus, es darf nicht einstürzen, die Stühle, die Schreibtische im Rathaus, sie dürfen nicht wackeln, der Riß, er darf nicht entstehen, nichts darf etwas, nur wir dürfen alles. Natürlich. Unser Flehn erhört dann keiner der Götter, wenn wir getan, was wir nicht gedurft hätten, die Götter machen, was sie wollen, die Baukonzerne machen, was sie wollen, die hören uns gar nicht. Das ist aber noch kein Grund, daß auch du machst, was du willst, Erde! Du nicht! Von dir hätten wir das nie gedacht. Willst gehen, willst enden wie wir, Erde? Willst finden dein Schicksal, den Tod? Nein, das geht nicht. Solange wir leben, wirst du nicht sterben, Erde. Du wirst vielleicht weniger, aber sterben wirst du nicht ...

Die Stadt zahlt nun dafür, daß ihr der Grund entzogen wird, daß Schande ihr angetan wird, des Gastfreunds Tisch angetan wird, Firmen hat sie geholt, die Stadt, und Firmen sind auch gekommen und haben der Stadt die Erde geraubt. Was das kostet! Aber es hat sich gelohnt. Sie haben gepumpt und gepumpt, und auf einmal war die ganze Erde weg, und das ganze Wasser war da. Ein Pauschalarrangement. Alles in einem und bar bezahlt. Was sagt die Stadt nun? Was sagt ihr berauschter Schwarm der Väter? Das haben wir nicht gewollt. Das haben wir nicht bestellt. Das Stadtvolk tobt, aber das ist der Stadt egal, das hört sie gar nicht, genauso egal, wie alles egal der Erde und dem Wasser, alles egal. Die Stadt durchschreitet raschen Tritts das Tor, aber da ist kein Tor, da ist keine Bahn, die sie ziehen könnte oder gar fahren, die Stadt, alles eingestürzt, alles hin, alles weg, na ja, nicht alles, aber das eine oder andre schon. Etwas Wichtiges ist jetzt weg, das seh ich schon, auch wenn ich nicht weiß, was es ist, man sieht ja nicht gleich, wenn was fehlt. Der Weg ist auch weg, etwas andres wächst uns zu, da gibts keine Heilung, die wär eitler Wahn, da gibts Versicherungen, aber keine Heilung. Den Glanz arger Glut hatten sie schon vor Augen, die Väter der Stadt, und was haben sie bekommen? Dreck, Sand, Geröll, Schlammpackungen. Da brachen sie Bahn für die U-Bahn unter Tag, den Tunnel, den Schacht, die Station, die Erde schwarz, starr, stumpf, verfällt der Prüfung und besteht sie nicht, oder hat etwa keiner geprüft? Der Prüfung Spruch trotz allem: geht!, paßt!, wir graben weiter!, irgendwohin werden wir schon kommen!, schließlich wollen wir dem Loch doch einen Boden einziehen, oder dem Boden etwa ein Loch? Der Stadt Leid schwillt dafür an, das gute Eisen, das Halt gab, verschwunden, das schlechte Erz gut verkauft, das in der Glut der Hämmer geschmiedete fort, das Erz gestohlen, der Erde entrissen, macht ja nichts, dafür kommt das Wasser. Unerschöpfliche Vorräte, deshalb schöpft ja keiner. Würde auch nichts bringen! Erde, du hast das so gewollt, jetzt kommt es, dein Wasser, jetzt deckt es dich ein, jetzt bist du bedient...

Das Wasser kann man nicht beaufsichtigen, das läuft durch viele Irrtümer, wo es wohl sonst noch Platz haben mag, durch die Länder. Bauten kann man beaufsichtigen, aber man tut es nicht. Die Bauaufsicht fällt ihr Urteil, doch es gibt sie gar nicht. Haß und Abscheu! Warum tut sie nichts, warum schaut sie nicht drauf, die Aufsicht? Warum beaufsichtigt sie sich selbst und ist so nachsichtig, ist nicht als Richter hart zu sich selbst? Hinopfert ihr Kind, die schöne Baustelle, die eigene Frucht, die Frucht eigenen Tuns, das eigene Werk? Zum eigenen Werk ist als Richter man eben nicht hart. Wir rüsten uns zu Drohungen, doch nein, die Aufsicht hört uns nicht, sie schaut auf sich selbst, das einzige, das sie beaufsichtigt, sie selbst, mit großer Nachsicht, und schaut dem Wasser, der Erd hinterher, dem Loch in der Wand, den gestohlenen Sicherheitsbügeln, und nein, bevor Sie noch fragen: Bis zum Alteisenhändler rennen wir denen jetzt nicht hinterher, das wäre zuviel, denn falsch gedeutet hat die Aufsicht die Eingeweide des Bodens. Klar, daß der böse geworden und persönlich emporstieg, ist ja kein Wunder. Wenn man nicht sieht, was ihm fehlt, wenn man das Grundwasser nicht sieht, hat man jeden Grund, hinaufzusteigen und selber nachzuschauen, was man selber gemacht hat, aber nicht weiß. Die Aufsicht ihr eigener Herr, so soll sie auch unser Herr sein! Wer sich selber beaufsichtigen kann, der hat auch Macht über alles andere, der kann es, der kann es, auch wenn dies das Gegenteil bewirkt von Aufsicht, sie schaut auf sich, die Aufsicht, so lernt, belehrt sie, wenn auch zu spät, das Wasser.

Wo sind vielleicht Fehler gemacht worden? Nirgends. Alles, was wir machen, alle Erbaulichkeiten, tun es dem Wasser nach, sie tun, was sie wollen. Ob mit oder ohne uns. Sie rennen davon, sie stürzen zusammen, sie fallen, leckere Zukost zum tobenden Wasser, das sie hinunterspült mit kräftigem Schluck. Da kann man nichts machen. Wenn man das Wasser nach seinen Absichten fragt, was antwortet es? Ich will alles! Und dann will ich noch mehr! Da schauen Sie, was?! Das trauen Sie sich nicht, alles zu wollen. Und erhebt einer die Hand gegen mich, versenkt er die Schlitzwand, die mich abhalten soll, dann komm ich erst recht, jetzt erst recht! Ein Hindernisrennen, das macht mir doch Spaß! Würd ich mich nicht rastlos bewegen, spricht das Wasser, dann würde ich rosten, dann wär ich den Toten gleich, die da liegen, hineingegossen liegen, von Fischen gebissen, von Giften zerfressen, die Toten, mit denen ich spiele. Das täte jeder gern, dem Wasser gleich: alles wollen und alles bekommen, aber er bekommt es nicht, jeder bekommt das nicht, und jedem bekommt das nicht. Das Wasser, das an seine Bahn glaubt, die überall ist, ja, auch in dieser U-Bahn, das bekommt einfach immer, was es will. Die Bauaufsicht will gar nichts und bekommt auch nichts, sie will nichts sehen und sieht auch nichts, denn allein das Wasser ist es, das alles bekommt und überhaupt nichts sehen muß, mächtig herrscht es in mächtigen Strömen, das heißt, es strömt halt so vor sich hin, da kümmert es nicht, wohin die Reise geht. Das Wasser ist ein Unternehmen, das keine Aufsicht braucht. Unternehmen sind Unternehmen, die auch keine Aufsicht brauchen. Wer braucht schon Aufsicht? Du, Erde? Brauchst du Aufsicht? Wäre vielleicht besser gewesen, aber du willst etwas, das dich vernichtet, ausschwemmt, wegträgt, je mehr Wasser, desto weniger Erde, ja macht dir denn das nichts, Erde, daß deine große Liebe, das Wasser, das vorhin noch still dich umschlang wie aus Liebe, aus dir immer weniger macht? Da strömt es schon, haarscharf vorbei ist auch daneben, aber irgendwann findet es schon zu uns, findet es schon in unsere Erd-Baulichkeiten, da sind wir nicht sehr erbaut darüber, aber wen kümmerts?

Mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt Theater Verlag, Reinbek bei Hamburg

Termine: 29.10., 30.10., 31.10., 6.11., 14.11., 23.11., 24.11., 28.11., alle Aufführungen um 19.30 Uhr, 7.11.,
16 Uhr, Schauspielhaus