Foto: Manfred Wegener

Eine Hauptstadt der Korruption und des Verbrechens

Spielzeiteröffnung am Schauspielhaus: Karin Beier über ihre Inszenierung

von Elfriede Jelineks »Das Werk. Im Bus. Ein Sturz«

StadtRevue: Frau Beier, Ihre aktuelle Inszenierung basiert auf drei ­Jelinek-Stücken. Das letzte, »Ein Sturz« (siehe S. 22), handelt vom Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Elfriede Jelinek hat diesen Text eigens für das Kölner Schauspiel neu geschrieben. Wie kam es dazu?

Karin Beier: Angefangen hat es damit, dass die Dramaturgie und ich einen Text zum Thema »Bauen« und »Baukatastrophen« gesucht haben. Da haben wir nicht nur an den Einsturz des Stadtarchivs gedacht, sondern auch an Kölner Querelen wie den Messeskandal, den Abriss der Kölner Kunsthalle, nicht zuletzt die Auseinandersetzungen um die Sanierung der Kölner Bühnen, die uns in der letzten Spielzeit ja sehr beschäftigt haben. In diesem Zusammenhang haben wir uns an »Das Werk« erinnert, Jelineks großer Text von 2003, der auch eine ökologische Kritik an der Hybris des Menschen ist. Dann sind wir auf »Im Bus« gestoßen. Der Text greift einen Unfall auf, der 1994 durch Pfusch beim U-Bahnbau in München ausgelöst wurde und drei Menschenleben kostete. Als wir soweit waren, haben wir uns tatsächlich getraut, Elfriede Jelinek zu fragen, ob sie uns einen Epilog über den Einsturz des Stadtarchivs schreibt. Sie hat sofort zugesagt.

Generalthema der drei Stücke ist das Eingreifen des Menschen in die Natur durch Bauwerke und die Folgen davon.

Ja, im »Werk« geht es um das technologisch unglaublich ehrgeizige Projekt eines Wasserkraftwerkes in den österreichischen Alpen, an dem fast drei Jahrzehnte gebaut wurde. 1955 wurde es in Kaprun fertig gestellt. Bei diesem Kraftwerksausbau verunglückten Hunderte von Menschen, vor allem während des Zweiten Weltkrieges, als Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene mit mangelnder Ausrüstung auf die Baustelle getrieben wurden und durch Wetterumschläge, Stein- und Lawinenstürze, Murenverschüttungen und vieles mehr ums Leben kamen. Bei Jelinek ist das natürlich ein großes politisches Thema, sie zeigt, dass diese Unfälle ihre Ursache auch in Ausbeutung, Verantwortungslosigkeit, Menschenverachtung haben. »Im Bus« ist eigentlich nur eine Szene, aber auch in München haben Profitgier und Schlampigkeit ein Unglück ausgelöst. Und im letzten Text »Ein Sturz« macht ein Chor die Naturgewalten »Erde« und »Wasser« für den Einsturz des Archivs verantwortlich. Nun ging dem Kölner Einsturz ja tatsächlich ein Erdrutsch infolge eines Grundwassereinbruches voraus. Die Verantwortung für das Unglück aber an Erde und Wasser zu delegieren, bedeutet Verschleierung der Fehler, die passiert sind, eine Weißwäscherei, die Jelinek mit dem ihr eigenen aggressiven Humor angreift.

Wie gehen Sie mit den weitgehend figurenlosen Textflächen Jelineks um? Schaffen sie Figuren oder zielen Sie eher auf eine Text-Performance?

Nun, die Texte müssen ja einen Körper bekommen. Es geht, glaube ich, nicht darum, von Figuren vollständig zu abstrahieren. Ich versuche, für die verschiedenen Teile des Abends sehr unterschiedliche Formensprachen zu finden, in dem großen mäandernden Sprachfluss der Autorin sinnlich unterschiedliche Blöcke zu verankern, die die Wahrnehmung des Zuschauers immer wieder herausfordern.

Der Vorabdruck von Teilen aus »Ein Sturz« in der StadtRevue hebt an mit einer Klage der »Herren«, die gemacht hätten, was sie nicht gedurft hätten. Sie selbst haben während des Streits über die Sanierung des Schauspielhauses auch über diverse Runden mit »diesen ganzen Herren der Schöpfung« geklagt. Wie paternalistisch ist das System der Stadtverwaltung?

Ich fände es ein bisschen kleinlich, das Problem auf Paternalismus zu reduzieren. Gewisse menschliche »Todsünden« teilen sich leider Männer und Frauen wie Verdrängung, mangelnde Zivilcourage, Autoritätshörigkeit. Es geht natürlich auch um Macht und Machtmissbrauch, und da haben Männer sozusagen die längere Übung, die größere Erfahrung. Aber mir persönlich ist der Jelineksche Ansatz sehr nahe, der gerade in »Ein Sturz« deutlich wird: In der Konsequenz ist doch aus diesem Text zu folgern, dass Schuld nicht einfach delegiert werden kann, auch nicht an die »da oben«, seien es Männer oder Frauen. Sondern dass wir alle Verantwortung tragen, auch das »Volk«, das bestimmte Dinge zulässt oder eben auch nicht, wie sich gerade in der letzten Zeit in manchen Städten zeigt.

Machen Sie sich Gedanken darüber, dass Teile des Publikums den Umstand missverstehen könnten, dass auch das »Volk« im Stück keineswegs gut weg kommt?

Es kann gut sein, dass nicht alle Zuschauer den bösen Witz dieses Textes, seinen aggressiven Humor teilen wollen. Denn da liegt natürlich ein Stachel begraben, niemand kann sich in der Opferper­spektive einrichten. Der Text spart ein würdevolles Gedenken der Opfer, der Menschenleben, die der Einsturz gekostet hat, und der historischen Schätze, die mit dem Einsturz verloren gingen, einfach aus. Er parodiert die Tragödie, höhnt und spottet über die Banalität der geschehenen Fehler und provoziert damit – meiner Meinung nach sehr kalkuliert – einen Phantomschmerz: Man vermisst das »angemessene« Gedenken, die »angemessene« Analyse des Geschehens und muss sich fragen: Haben wir alle, also auch das »Volk«, aus dieser Katastrophe wirklich gelernt? Was für Konsequenzen hat denn der Schock bisher gehabt?

Was denken Sie?

Es ist doch leider kein Zufall, dass uns Elfriede Jelinek aus dem fernen Österreich, nachdem sie sich in der Vorbereitung mit diversen Kölner Geschichten beschäftigt hat, eine E-Mail schickte. Sie schrieb, dass sie den Eindruck gewonnen hätte, Köln wäre eine Hauptstadt der Korruption, des geduldeten Verbrechens. 

Das Interview von Alexander Haas
wurde schriftlich geführt

»Das Werk. Im Bus. Ein Sturz«
von Elfriede Jelinek, Uraufführung,
R: Karin Beier, Schauspielhaus,
29. (P) -31.10., 6., 14., 23., 24., 28.11., 19.30 Uhr, 7.11., 16 Uhr.