Wir haben uns was vorgenommen.

2011 wollen wir fleißiger, disziplinierter und gelassener sein. Und bessere Menschen sowieso. Solche Dinge nehmen wir uns jedes Jahr vor, und jedes Jahr scheitern wir aufs Neue. Stimmt etwas mit unseren Vorsätzen nicht? Oder verbergen sich dahinter ­womöglich ganz andere ­Wünsche? Wir haben dem Philosophen Andreas Speer und dem ­Psychologen Stephan ­Grünewald unsere Vorsätze vorgelegt und nach Rat gefragt. Max Ruf hat unsere Vorsätze illustriert.

»Ich will kein Fleisch mehr essen.«
(Christian, Redaktion, 31 Jahre)
»Dass ich immer noch Fleisch esse, betrachte ich als die größte Niederlage meines Lebens«, sagt Kurt Netter in dem Roman »Die Prozedur« des kürzlich verstorbenen niederländischen Autors Harry Mulisch. Obwohl ich dieses Buch vor langer Zeit gelesen habe, kommt mir dieser Satz zuletzt wieder häufiger in den Sinn. Denn theoretisch weiß ich nicht erst seit gestern, dass es richtig wäre, vegetarisch zu leben: gegen Massentierhaltung, gegen den Welthunger, gegen den Klima­wandel. Doch trotz dieses Bewusstseins habe ich es bisher nicht geschafft und esse weiterhin Fleisch. Das muss ein Ende haben!


Grünewald: Was mir als erstes aufgefallen ist, ist ein gewisses dramatisierendes Moment in dem Vorsatz durch das Zitat von Mulisch: »Die größte Niederlage meines Lebens.« Essen ist ein zwar sehr grundsätzlicher, aber dennoch banaler Akt der Aneignung. Und wenn man das geschichtlich sieht, hat sich das mit dem Fleisch dann auch oft von selbst erledigt, je nachdem, ob Fleisch verfügbar war. Das Interessante ist, dass dieser banale Akt mit der größten Niederlage verknüpft wird. Das heißt umgekehrt, wenn das gelingt, wäre das der größte Sieg ihres Lebens. Dieser banale Akt kriegt also auf einmal eine ungeheure Wucht. Was hier anklingt, ist ja: Wenn ihm das gelingt, dann bekämpft er die Massentierhaltung, den Welthunger und stoppt den Klimawandel. Man macht etwas Banales, und schon ist man in einer ungeheuer machtvollen und sinnreichen Position.

StadtRevue: Man kann dadurch natürlich nicht den Welthunger bekämpfen, und man kann auch nicht den Klimawandel aufhalten, aber die Frage ist doch: Was bedeutet es für einen selbst, das zu tun?

Speer: Natürlich sind die Argumente zur Massentierhaltung richtig, und dass Fleisch eines der nahrungsintensivsten Produktionsmittel von Nahrung ist, das sollte man schon bedenken. Aber: Alles, was lebt, steht in einem universalen Fresszusammenhang. Das ist einfach so. Alles, was lebt, frisst und wird gefressen. Das ist das Erste. Zur Ent­ideologisierung quasi.
Zum anderen: Essen ist eine Ausdruckshaltung. Essen ist etwas Besonderes, gar nichts Banales. Wir haben es mit Recht entbanalisiert, auch aus der Not heraus, da wir nicht mehr instinktgesichert durch die Umwelt laufen. Jeder von uns würde in einem Wald völlig verloren gehen. Wir würden entweder verhungern oder uns vergiften, binnen kurzer Zeit. Wir müssen unser Essen gestalten, das ist eine wichtige Geschichte.

Grünewald: Es schwingt natürlich mit, dass wir heute in einer Überflussgesellschaft leben, wo alles möglich ist, wo wir eine unendliche Vielzahl von Optionen haben und in diesem Meer der gleichgültigen Optionen zu versinken drohen. Die Hoffnung, dass wir uns selber stärker profilieren, spüren, ausrichten, in dem wir zum Beispiel auch auf Fleisch verzichten. Dadurch erleben wir uns als jemand, der zwar etwas entbehrt, aber das gibt uns ein Profil.

Essen erfährt in der Gegenwart eine Art Tabuisierung

StadtRevue: Interessant an diesem Vorsatz ist aber doch auch der Aspekt der Askese. Dieses Phänomen, dass man sich selber erhöht, indem man sich erniedrigt. Wer verzichtet, ist der moralische Sieger. Würden Sie da mitgehen?

Speer: Ernährung hat natürlich auch manchmal Ersatzhandlungsfunktion. Gerade in einer Gesellschaft wie der unsrigen, die wirklich total vergisst, dass eine Milliarde Menschen, also ein Fünftel der lebenden Menschen, morgens nicht wissen, ob sie abends genug zu essen haben werden. Da sehe ich auch den Sinn von Askese und Fasten, Verzicht, um sich das wenigstens ab und zu mal klar zu machen, dass wir in einer solchen High-End-Luxussituation leben.

Alle Religionen haben Fastenzeiten. Der Ramadan ist da noch stärker, das Christentum hat das leider etwas banalisiert, das ist alles sehr liberal geworden. Das sind Aufmerksamkeitsriten: Einen Monat bewusst leben, oder vierzig Tage bewusst leben. Dieser Verzicht erzeugt Werthaltungen. Und das ist ja nie nur etwas, was nur eine äußere, sondern vor allem auch eine innere Seite hat. Aufmerksamkeitsakte, wie immer man sie definiert, haben eine Bedeutung. In diesem Fall für ein besseres Leben, wenn wir selbstbestimmt als besser definieren. Dann gehören die da rein.

Grünewald: Ein weiterer Aspekt ist der, dass Essen in der Gegenwart eine Art Tabuisierung erfährt. Wir haben zuletzt eine große Ernährungsstudie gemacht und bemerkt, dass das, was früher in der Sexualität war, als bestimmte Bereiche totgeschwiegen wurden, verpönt waren, und ins Heimliche abgeschoben waren, sich jetzt im Zuge einer sexuellen Liberalisierung aufs Essen verschoben hat.

Wie es weitergeht in der Diskussion um die Fleisch-Frage und was unsere beiden Experten zu den anderen Vorsätzen sagen, erfahrt ihr in der aktuellen Ausgabe der StadtRevue.