Foto: Manfred Wegener

Hohelied im Sachbuch-Sound

Markus Berges, als Sänger und Texter von Erdmöbel hochgepriesen, schlägt in seinem Debüt-Roman einen anderen Ton an.

Jedes Jahr gibt es ein deutschsprachiges Album, auf das sich die Pop-Intelligenzija einigt. Da werden die ambitio­nier­testen For­mulierun­gen durchs Feuilleton gereicht. Manchmal wirkt es, als müsse man sich versichern, dass ja doch nicht alles so schlimm sei da draußen, wo das Formatradio regiert. 2010 hieß dieses Leuchtfeuer »Krokus« von der Kölner Band Erdmöbel. Und das klang dann so: »Die beste deutschsprachige Band unserer Ta­ge« und ihre »großartige, zeitgemäße, ganz und gar wundervolle« Platte, »al­lergrößter Pop-Impressio­nis­mus«, ein »Meis­ter­werk«, und mit dabei: »Deutschlands aufregendster Pop­sänger«, der den deutschen Pop »rettet«.

Markus Berges sitzt im Café Wahlen am Ring und rührt im Kaffee. Er ist jenseits der vierzig, die Haare werden grau, er trägt ein überdimensionales Brillengestell. Er hat Familie. Er arbeitet als Berufsschullehrer. Und er ist Sänger, Songwriter, Heilsbringer und Frontfigur von Erdmöbel. Jetzt ist er auch noch Roman­autor: »Ein langer Brief an September Nowak« heißt das Debüt.

Eine Sprach­macht, der man sich kaum entziehen kann

Die Erwartungen sind turmhoch, zählt Berges doch zu den besten Lied­textern des Landes. Er lässt in seinen Erdmöbel-Miniaturen die Dinge erstrahlen, er erschafft mit Metaphern und skurrilen Bildern eine wundersame Welt. In seiner Köln-Ode (»Fremdes, Billiges, Lautes und Hässliches«) singt er »In den Himmel hat sich meine Stadt ­gegossen / Feine Schwei­ne­leber­wurst im goldenen Darm / Wann kommt denn jetzt das Riesenrad / So was like Bierbike mein ich / Ist noch ein Silber­sattel frei / Musik zwo-drei-für ...« Eine Sprach­macht, eine lyrische Wollust, der man sich kaum entziehen kann.

Berges, freundlich blinzelnd, dämpft die Aufregung: »Das sind ja auch nur die Texte, die funktionieren nicht alleine, nur als Musik.« Diese Abgeklärtheit kommt nicht von ungefähr. Erdmöbel ex­istieren seit fünfzehn Jahren, »Kro­kus« ist ihr achtes Album. Ge­meinsam hat man einen schwe­re­losen, lässigen Sound geschaffen, irgendwo zwischen zackigem Easy-Listening und schrä­gem Bos­sa Nova. Berges hat sich als Texter eine Haltung, eine Stimme erarbeitet, die einzigartig ist. Dafür hatte er eben 15 Jahre Zeit.

»Hör mal, du schreibst kein Sachbuch«

Schnell war Berges klar, dass er für »Ein langer Brief an September Nowak« anders ansetzen musste: »Wenn ich bei der assoziativen Methode, die ich für Erdmöbel-Texte nutze, geblieben wäre, wäre das ein lyrischer Roman geworden«, sagt er. »Das wäre echt schwer zu lesen gewesen. Und genau darauf hatte ich keinen Bock. Ich lese selber gerne etwas umständliche Texte. Deswegen bin ich sehr nüchtern da rangegangen, so dass mein Ver­leger zu einer der frühesten Versionen sagte: Hör mal, du schreibst kein Sachbuch.«

Tatsächlich sollte man nicht den Sound, der Erdmöbel prägt, erwarten. Markus Berges, der ­Ro­manautor, hat die Poetisierungsmaschine verlangsamt. Die Atmosphäre tritt zurück, es geht zunächst vor allem um die Geschichte: Die 19-jährige Betti reist nach Monte Carlo, um ihre langjährige Brieffreundin September Nowak zu treffen. Es stellt sich schnell heraus: September Nowak ist nicht September Nowak. Sie heißt Nicole, ist fett und eher keine Ballerina. Geschockt flieht Betti, das ist der Beginn eines Roadmovies.

Das Erzähler-Ich taucht auf und verschwindet

Berges hat vor allem einen Coming-of-Age-Roman ge­schrie­ben. Die Flucht, die Verlockungen, die Naivität, die Kunst, das Leben. Es gibt Bezüge zur Romantik, mehrere Zeitebenen wer­den aufgefächert, das Erzähler-Ich taucht auf und verschwindet. Es ist natürlich ein ambitionierter Roman geworden. Aber es geht auch um die Möglichkeiten, sich neu zu erfinden, als Schriftsteller, als Künstler, als Mensch. Angestoßen durch eine Brieffreundschaft, dieser verglimmen­den Kul­turform. Dennoch sehr zeitgemäß, wie Berges findet: »Das Thema ist eigentlich aus dem digitalen Zeitalter, also aus den letzten Jahren: digitale Fiktio­nen für Jugendliche, also sich selbst zu entwerfen im Netz, in Blogs oder bei Myspace. Vielleicht nicht mit falschen Fotos, aber mit komplett durchinszenierten.«

Dass der Roman in der prä-digitalen Welt angesiedelt ist, in einer Welt ohne Handy und Web, das ist dann allerdings ein typischer Berges-Kniff. Wie in seinen Erdmöbel-Texten, die stets eine Zeitlosigkeit umweht, die sich nicht auf Referenzen ins Jetzt reduzieren lassen, dauert es etwas, bevor man sich zeitlich orientieren kann im »Langen Brief«.

Ein Hohelied auf die Kraft der Fantasie

Es ist ein Hohelied auf die Kraft der Fantasie – und Berges ist sich bewusst, dass ein derarti­ges Thema die Gefahr in sich birgt, alle Schönheit unter eso­te­rischem Wortgebimmel zu begra­ben. Viel­leicht bleibt er deshalb bei seinem nüchternen Tonfall. Wenn da nicht die erratische, fast märchenhafte Sequenz einer Büh­nenperformance wäre. »Es gibt eine Stelle im Roman, da weiß ich selber nicht genau, wo die angesie­delt ist, was die soll. Das war ein zweiter Schritt, loszulassen und mich darauf zu besinnen, was ich eigentlich kann. Zuzulassen, mit meinen Ressourcen zu arbeiten.«

Es scheint, als sei man mit »Ein langer Brief an September Nowak« Zeuge einer Initiation. Die Initiation des Markus Berges als Romanautor. Die Erwartun­gen an den zweiten Roman, sie sind schon jetzt – turmhoch.