Anatomie eines Skandals

Poesie in Bewegung: Ein Film über Allen Ginsbergs

»Howl – Das Geheul«

Gedichte sind kurz und lassen sich nicht verfilmen. Das haben sie Romanen voraus. Schon so mancher literarische Geniestreich geriet in Filmen unter die Räder, in denen die Handlung zwar rechtschaffen illustriert, der Geist der Erzählung aber nicht einmal annähernd eingefangen wurde. Rob Epsteins und Jeffrey Friedmans »Howl – Das Geheul« bildet hier eine doppelte Ausnahme.

Zum einen bringen sie mit Allen Ginsbergs »Howl« ein ausuferndes, sich über dutzende Seiten erstreckendes Gedicht auf die Leinwand. Zum anderen nähern sie sich ihrer Vorlage gleich aus allen vier Himmelsrichtungen an.
»Howl« entstand 1955 und wurde schnell zu einem Gründungsdokument der Beat Generation. Es ist ein zügelloser Wortschwall, in dem Ginsberg das Lebensgefühl einer verlorenen Generation beschwört und dabei kein Blatt vor den Mund nimmt. Ginsbergs Verleger wurde wegen Obszönität verklagt und in einem Aufsehen erregenden Verfahren freigesprochen. Der Prozess gilt immer noch als Meilenstein der US-Rechtsgeschichte.

Diese Zeiten sind lange vorbei, das Skandal-Gedicht zählt in den USA mittlerweile in Schulen zur Pflichtlektüre. Epstein und Friedman versuchen deswegen, die Aufregung, die »Howl« entfachte, wieder aufleben zu lassen. Dazu haben sie ihren Film in vier miteinander verschränkte Episoden aufgeteilt. In der einen sehen wir, wie ­Ginsberg (James Franco) den Text zum ersten Mal einem Publikum vorträgt, in der zweiten den Prozess, in der dritten ein Interview, das Ginsberg etwa zur gleichen Zeit gegeben hat, und schließlich eine digitale Animation, die »Howl« beinahe eins zu eins nacherzählt.

Eric Drookers Trickfilm ist mit Abstand der schwächste Teil. Über den Look mag man noch streiten, die wortwörtliche Umsetzung macht ihm endgültig den Garaus. Das Interview ist schon besser gelungen, auch wenn man deutlich merkt, dass es vor allem biografische Fußnoten setzen soll. Für die literaturhistorische Einordnung werden ausgewählte Experten in den Zeugenstand gerufen, während andere die damalige Bigotterie in ihrer ganzen Lächer­lichkeit vorführen.

Die Stippvisiten bei Gericht sind höchst unterhaltsames Starkino, in dem unter anderem Jeff Daniels als bornier­ter Literaturprofessor bril­liert und David Strathairn den Staats­anwalt als auf geradezu rührende Weise überforderten Spießbürger porträtiert. Den besten Auf­tritt legt jedoch James Franco hin. Er deklamiert das Geheul so mitreißend, dass es einem mitunter kalt den Rücken herunter läuft.

Howl – Das Geheul (Howl) USA 2010,
R: Robert Epstein, Jeffrey Friedman,
D: Jon Hamm, James Franco,
Mary-Louise Parker, 90 Min. Start: 6.1.