Zeichnung Andreas Klammt

Unsichtbares Komitee

Vor einem halben Jahr erschien auf Deutsch eine gerade mal hundertseitige Schrift mit dem ­kraftvollen Titel »Der kommende Aufstand«. Seitdem gibt es im Feuilleton, aber auch in den linken ­Szenen kein Halten mehr. Christian Meier-Oehlke nähert sich dem Text auf die vielleicht sinnvollste Art: Man muss den »kommenden Aufstand« wie eine coole Platte besprechen.

Doom, Romantik, HipHop. Man hätte nicht unbedingt erwartet, dass das seit Jahren wichtigste Zeugnis des Agitpop aus Frankreich kommt. Schien es doch so, als kreisten unsere westlichen Nachbarn seit Jahren primär um sich selbst. Befindlichkeitsstrategien statt Befreiung, Konsumverweigerung statt Kommunismus. Seichtes Plätschern, ein leises, feines Säuseln — fast wäre man dabei eingeschlafen und hätte die Hauptsache verpasst: Dieses Monstrum von einer Veröffentlichung.

Jahrelang nur als Import zu haben, seit einigen Monaten endlich auch hierzulande lieferbar. Der Aufstand! Der nicht kommt, sondern schon da ist, seit den Unruhen vom November 2005, die in Clichy-sous-Bois ihren Anfang nahmen! Der Geruch von Benzin! Das Komitee!

Natürlich unsichtbar und damit in bester agitatorisch-autonomer Tradition. Von Nanni Balestrini und seinen Unsichtbaren der italienischen Autonomia in den 70er und 80er Jahren über die schwedischen Aktivisten der »Unsichtbaren Partei« zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Unsichtbar und ohne gesellschaftliche Anerkennung, dafür mit maximaler Aktionsfreiheit.

Der Sound der kommenden Kämpfe stammt nicht aus Marseille, von wo aus uns die Nachfahren der Pharaonen in den 90er Jahren mit aufrührerischen Reimen versorgt hatten. Und auch nicht aus Paris. Nein, für die Zentralmacht hat das Komitee nur Hohn und Verachtung übrig, es ist eben nicht mehr das Paris der Kommune (von 1871): Die Stadt würde lediglich als reines Terrain für Plünderung und Verwüstung taugen, also »comme pur terrain de pillage et de ravage«.

Man tut gut dran, sich die Originalpressung zu besorgen, es fließt besser im Französischen. Die Besetzung des Komitees ist selbstredend nirgendwo vermerkt, diese Nachforschungsmühen überließ man Sarkozy und seinen Spielkameraden. Ohne Erfolg freilich.

Der Sound des Komitees ist roh, kompromisslos, in Teilen verwirrend, irreführend, sozialromantisch. Jeder Kleinkrimeinelle, der die Bullen hasst, wird zum Protagonisten der Revolte, Hauptsache, er wohnt in der Banlieue. Stile werden munter gemixt, düsterster Doom (Auftritt: Die Metropole) trifft auf Schumann und Chopin (Vorhang auf für: Die Kommune!).

Dem Anschein nach Zusammenhangloses wird aneinandergereiht, manches bleibt offen. Denn die wichtigsten Antworten liefern die globalen Aufstände, die Propaganda der Tat, zu denen man die Songs des Komitees hören sollte. Vor einigen Jahren die Erhebungen etwa in ­Mexiko und Algerien, aktuell die in Tunesien und Ägypten. Man sieht: Die Vertriebswege des Komitees sind international. »La visibilité est à fuir«, dieser Duktus prangt beim kommenden Aufstand über allem.

Edition Nautilus, Hamburg 2010, bereits erschienen