Büropark Mercedes-Allee in Braunsfeld; Foto: Manfred Wegener

Licht aus, Tür zu: Im Jahr der Schweine

Büroleerstand ist eine Ressource, sagen Politiker. Doch gibt es zuviel, ­drohen die Städte zu veröden. Nava Ebrahimi, Thilo Großer und Bernd Wilberg über ein skurriles Phänomen, das auch in Köln zu ­besichtigen ist.

Mercedes-Allee – das klingt nach Boulevard und Großstadt. Aber die schmucklose Straße im Industriegebiet Braunsfeld endet auf einem Parkplatz. Riesige Werbeplakate am Straßenrand verheißen einen »Büropark Mercedes-Allee« auf diesen 100.000 Quadratmetern Brach­land. Aber obwohl seit fünf Jahren ein Bebauungsplan vorliegt und der Grundstücks­eigentümer, Lammerting Immobilien, sofort einen Büroturm mit 18 Etagen hochziehen könnte, passiert nichts. Selbst die Internet­adresse liegt brach und verkündet bloß »Wird aktualisiert«.

 

Nur in der Vorstellung von Alexander Lammerting, Geschäftsführer des Kölner Pro­­jektentwicklers, ist das Gelände ein Mercedes unter den Kölner Bürogrundstücken: eine der letzten zentrumsnahen Flächen in Köln, auf die eine ganze Konzernzentrale – der Wunschkandidat – hinpasste. Doch genau dies ist das Problem. Für große Büroflächen kommen nicht viele finanzkräftige Mieter infrage. Gespräche mit einem Interessenten sind gerade gescheitert. Warum Lammerting nicht einfach schon mal losbaut? »Keine Bank finanziert mit, wenn wir nicht wenigstens für fünfzig Prozent der Fläche Mietverträge vorlegen«, sagt er. Außerdem setze sich kein Konzern in ein gemachtes Nest, sondern wolle bei der Pla­nung mitreden. »Wir bauen nicht auf Vorrat.«

 

Andere bauen allerdings auf Vorrat.  Gut ein Viertel der Projekte in Köln entstehen »spekulativ« – also nicht, weil ein Auf­traggeber einen konkreten Bedarf angemeldet hat, sondern weil Investoren erwarten, dass die Nachfrage künftig so hoch sein wird, dass eine gute Rendite dabei herausspringt. Laut dem Immo­biliendienstleister BNP Paribas lag die Rendite für hochwertige Objekte in Top-Lagen im vergangenen Jahr bei 5,3 Prozent. Im Mediapark ist diese Strategie gescheitert, im Rheinauhafen hat es funktioniert: Unter anderem wegen dieses Mega-Projekts sind in Köln seit 2005 jedes Jahr rund doppelt so viele Büro-Quadratmeter neu vermietet worden, wie noch 2001 und in den Jahren zuvor. So hat Köln es auch erst um die Jahrtausendwende in die Liga der deutschen »A-Bürostandorte« geschafft.

 

Die Städte nehmen eine gewisse Überschussproduktion in Kauf. Das Kalkül: Springt der Wirtschaftsmotor an, wollen Unternehmen, die bereits vor Ort sind, expandieren, neue siedeln sich an. Dann kann es schnell eng werden auf dem Büromarkt. Die Wirtschaftsförderer der Städte wollen verhindern, dass in solchen Zeiten die Spitzenmieten in die Höhe schnel­len und sich wichtige Arbeitgeber und Gewerbesteuerzahler in Nachbarkommunen umsehen.

 

Die Leerstandsrate betrug 2010 in Köln 8,3 Prozent, wie BNP Paribas angibt. Während München und Hamburg knapp darunter liegen, sind es in Düsseldorf 11,5 Prozent, in Frankfurt gar 13,3 Prozent. »Im Augen­blick ist die Lage in Köln nicht dramatisch«, sagt Baudezernent Bernd Streitberger (CDU). »Sicher, wir haben auch ein bisschen Schwein gehabt«, gibt er zu. »In den starken Jahren von 2005 bis 2008 ist bei uns der Rhein­auhafen realisiert worden, sehr viel Büro­raum ist geschaffen und dann auch am Markt abgesetzt worden.« Spektakuläre Neubauten, die total leer stehen, gebe es in Köln nicht.

 

Dass die Situation in Köln nicht so verheerend ist, wie zeitweise in großen Büro-Städten wie Düsseldorf oder Frankfurt liege, am Branchen-Mix, erklärt Streitberger. Während dort der Büromarkt auf die Finanzbranche fixiert ist und einbricht, wenn die Banken kriseln, kommen die hiesigen Büronachfrager aus vielen Bereichen: Medien, Versicherungen, Industrie, For­schung, Behörden. So profitiere man zwar in Zeiten des Aufschwungs weniger, werde allerdings bei einem Abschwung nicht so hart getroffen.

 

Auf einem funktionierenden Markt würde nichts Neues errichtet,
solange die Leerstände nicht abgebaut sind. Doch die Branche unterliegt dem Schweinezyklus: Ist die Nachfrage groß, fangen alle an zu bauen.
Sind sie fertig, ist der Bedarf bereits gedeckt

 

Allerdings bietet auch in Köln jeder Spaziergang Gelegenheit, ältere Bürokomplexe, die leer stehen und in denen nie wieder Menschen an Schreibtischen arbeiten werden, zu besichtigen. Struktureller Leerstand ist die Bezeichnung der Branche für solche Büroflächen, die keine »marktfähigen Objekte« mehr sind. Sie werden gar nicht mehr berücksichtigt, wenn die Leerstandsquote ermittelt wird. Das heißt, dass der Anteil ungenutzter Büroflächen tatsächlich höher ist als die offiziellen 8,3 Prozent. Berüchtigte Beispiele für strukturellen Leerstand sind das ehemalige Funkhaus der Deutschen Welle am Raderberggürtel oder das alte Bürohochhaus am Perlengraben. Gebäude, die zu speziell konzipiert sind, als dass sie Investoren locken könnten. Bisweilen fehlen elementare moderne Ausstattungsmerkmale wie Kabelschächte für die IT-Infrastruktur. Hinzu kommen, wie beim alten Funkhaus, Schadstoffbelastungen, vor allem durch Asbest.

 

Überhaupt werden fast nur noch neue, moderne Gebäude nachgefragt. Weil die Ener­gieeffizienz schlecht ist, sind in den alten Bürokomplexen die Nebenkosten zu hoch. Wie groß die Unterschiede ausfallen, zeigt sich an den neuen Cologne Oval Offices in Bayenthal. Der ökozertifizierte Bürokomplex, der etwa das Raumklima mithilfe von Grundwasser temperiert und die Deckenlichtstärke der Sonnen­einstrahlung anpasst, benötigt bloß rund halb so viel Strom wie andere Bürogebäude. Neben den Cologne Oval Offices steht das alte Bürohaus des Bundesverbands der Deutschen Industrie, es hat nicht mal eine Klimaanlage. Der Verwalter Heinrich Adam Marqua will das seit einem Jahr leer stehende Haus loswerden, findet aber keinen Käufer.

 

Neue Standorte in bester Lage haben hingegen Firmen nach Köln gelockt. Als Coup gilt, dass der IT-Riese Microsoft vor drei Jahren von Neuss an den Rheinauhafen gezogen ist, und damit ein paar Hundert Arbeitsplätze für Hochqualifzierte. Die schicken Bürogebiete sind aber auch für Unternehmen, die be­reits in Köln ansässig sind, attraktiv. Sie verlassen ihre alten Räume. Gerade Firmen, die auf begehrte Fachkräfte angewiesen sind, müs­sen diesen ein ansprechendes Ambiente bieten. Neben den hohen Personalkosten fallen die Mietausgaben ohnehin kaum ins Gewicht.

 

»Der Firmensitz ist zu einer Art Icon geworden, es soll die Leistungsfähigkeit des Unternehmens widerspiegeln«, erklärt Guido Spars, Professor für Ökonomie des Planen und Bauens an der Bergischen Universität Wuppertal. Das führt dazu, dass in Köln massenweise graue und braune Kästen aus den 60er, 70er und 80er Jahren in Spitzenlagen herumstehen, an denen selbst die »Zu ver­mieten«-Schilder schon alt aussehen – obwohl Fläche in der Stadt ein rares Gut ist. Fehlgeleitete Ressourcen, nennen Ökonomen das. »Der Markt funktioniert nicht optimal«, sagt Spars. Auf einem funktionierenden Markt würde nichts Neues errichtet, solange Leerstände nicht abgebaut seien. Außerdem unterliegt die Branche dem Schweinezyklus: Ist heute die Nachfrage nach Bürogebäuden groß, fangen alle an zu bauen. Sind sie fertig, ist der Bedarf jedoch oft schon gedeckt.

 

Ideen, wie sich diese Fehlleitung eindämmen ließe, existieren. »Entschärfen ließe sich das Problem mit einer restriktiveren Flächenausweisung«, heißt es etwa im Immobi­lien-Report des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). In den Niederlanden hilft sich die Immobilienbranche selbst: Dort haben sich die Projektentwickler darauf verständigt, nur dann zu bauen, wenn an anderer Stelle Leerstand abgebaut wird. Solche Forderungen, sagt Karl Jürgen Klipper (CDU), Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusser, seien natür­lich vor allem im Interesse derjenigen, die gerade Büroflächen im Angebot hätten – an Miet­preissteigerungen kann ihnen nur gelegen sein. »Aber erklären sie das mal den Unternehmen, die etwas ganz Bestimmtes suchen.«

 

Barbara Moritz, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Rat der Stadt, betrachtet das Problem aus der Perspektive der Stadtentwick­lung. Viele Bürostandorte seien reine Monokulturen. Der Rheinauhafen etwa, ein Vorzeigeprojekt der Stadt. Hier, so Moritz, gebe es bloß dreißig Prozent Wohnungen. Das sei zu wenig und mache die Viertel öde. »Vor allem aber fehlt die soziale Mischung. Ich kenne gut verdienende Leute, die wegziehen wollen, weil ihnen das zu glattgestrichen ist«, sagt Moritz. »Ich bin auch hier für preiswerten oder geförderten Wohnraum.« In Bezug auf die neue Deutzer »Messe-City« (siehe S.?9), immerhin ein Drittel so groß wie der Rheinauhafen, schwant Moritz nichts Gutes.

 

Klipper, ihr Kollege von der CDU, freut sich über die Messe-City. Er sähe es zudem gern, wenn der Deutzer Hafen demnächst zum Bürostandort würde. Grundsätzlich ist jedoch auch Klipper für lebendige Viertel. Das neue Gerling-Quartier im Friesenviertel sei ein gutes Beispiel, sagt er. Dort entstünden viele Wohnungen, zudem werde das Viertel durch die Nähe zu den Ringen und neue Gastronomie belebt werden. Köln habe »weniger ein Problem mit Büro-Albträumen als mit Wohnungs-Albträumen wie in Chorweiler«, sagt Klipper. Eine Leerstandsquote unter zehn Prozent, sagt Klipper, könne eine Stadt verkraften.

 

Durch den Strukturwan­del ist die Zahl der Bürobeschäftigten in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, und mit ihr die Nachfrage nach Büroflächen. Mit einer Bürobeschäftigtenquote von knapp vierzig Prozent, die das Marktforschungsinstitut Bulwien Gesa errechnet hat, ist das Ende der Fahnenstange in der ehemaligen Industriestadt Köln noch nicht erreicht – in Düsseldorf, Stuttgart, Hamburg und erst recht Bonn liegt die Quote deutlich höher. »Deshalb lautet die Grundannahme für diesen Markt: Wachstum«, sagt Experte Guido Spars. In Büros zu investieren ist interessanter, als neue Wohnhäuser bauen zu lassen. Zum einen seien viele Kapitalgeber durch die demografische Entwicklung ver­unsichert, so Spars. Ein paar Jahre noch wird die Zahl der Haushalte in Regio­nen wie Köln steigen – aber wie lange noch? »Zum anderen ist der Büromieter rechtlich schlechter gestellt als der Wohnungsmieter, das macht die Sache also weniger risikoreich.«

 

Allerdings mehren sich die Hinweise darauf, dass sich der Wind dreht, dass auch auf dem Büroimmobilienmarkt die Zeichen nicht mehr lange auf Wachstum stehen. Der demografische Wandel macht sich auch hier bemerk­bar: Die Zahl der Erwerbspersonen nimmt ab, in den Bürostädten Düsseldorf und Frankfurt am Main werde sie schon in den nächsten Jahren sinken, meldete vor kurzem das Institut der deutschen Wirtschaft. Zugleich beklagen die Menschen in den Großstädten, dass bezahlbarer Wohnraum in einigermaßen zentraler Lage kaum noch zu finden ist. Sie üben Druck auf die Politik aus.

 

»Wir wollen keine nach Büroschluss menschenleere Mono­kultur«,
sagt Anwohner Henning Sonnemann.
Das Ziel: die kleinräumige Mischung von Wohnen und Arbeiten

 

Projektentwickler Alexander Lammerting hat den neuen Trend schon ausgemacht. »Vor zehn bis fünfzehn Jahren hat man gedacht, hier gibt’s noch viel mehr Bedarf für gewerbliche Nutzung«, sagt der Dreißigjährige. Sein Vater hatte in den 80er Jahren große Flächen in dem Industriegebiet im Kölner Westen gekauft und den Technologiepark gegründet, auf dessen rund 280.000 Quadratmetern Bürofläche derzeit rund 360 Firmen mit 6500 Mitarbeitern residieren. Vor wenigen Jahren hat Lammerting den Park zum großen Teil verkauft.  »Der Markt wandelt sich«, sagt sein Sohn. Er ist in den Wohnungsbau eingestiegen, schwärmt von »hybriden Gebäudeformen«, Kombinationen zum Beispiel aus Büros, Wohnungen, Hotels.

 

In den 90er Jahren noch galt als ausgemacht, dass Köln gar nicht genug Büroflächen haben könne. Der Trend weg von der Indus­trie, hin zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, so die Vorstellung, werde zu einem vermehrten Bedarf an Büroflächen führen. So sahen die Stadtplaner zwischen Aachener Stra­ße, Militärring, Melatengürtel und Vogelsanger Straße ein Gewerbegebiet mit weiten Flächen für Bürokomplexe vor.

 

Doch es regte sich Protest. »Wir wollen keine nach Büroschluss menschenleere Mono­kultur«, sagt Anwohner Henning Sonnemann. Er ist Mitglied der Bürgerinitiative IG Braunsfelder Bürger (IGBB). Deren Ziel: die kleinräumige Mischung von Wohnen und Arbeiten. 2003 trotzte die IGBB der Stadt eine moderierte Bürgerbeteiligung ab, samt »Rahmenplanungsbeirat«. Dort diskutieren seit 2005 Anwohner, Unternehmer und Lokal­politiker über die Entwicklung des Areals. Der Albtraum von der Bürowüste ist nicht Wirklichkeit geworden.

 

In Braunsfeld zeigt sich der Wandel: An der Max-Wallraf-Straße liegt ein ehemaliges Bürohochhaus von Rheinbraun in Trümmern. Stattdessen werden 112 Wohnungen gebaut. An der Eupener Straße berserkern die Abrissbagger auf dem südlichen Teil des ehe­maligen Sidol-Werksgeländes; hier entstehen 350 Wohnungen. In beiden Fällen hat Lam­merting die Umnutzung von gewerblicher Nutzung auf Wohnbebauung organisiert und das Projekt dann an Investoren verkauft. Der Geschäftsführer sieht eine Zäsur auf dem Weg zu einem gemischten, lebendigen, neuen Stadt­teil. »Damit korrigieren wir die Fehler des da­maligen Städtebaus«, sagt Lammerting.