Dritte Stunde Chemie, sponsored by Bayer und Shell
Franziska hat schon mal etwas explodieren lassen. »Das hat richtig Spaß gemacht«, sagt die Drittklässlerin. An diesem Vormittag geht es in der Experimentierstunde etwas ruhiger zu. Die Schüler der Gemeinschaftsgrundschule (GGS) An den Kaulen in Worringen beobachten heute chemische Substanzen; Zucker, Natron, Babypuder. Dazu nehmen sie jeweils einen gestrichenen Laborlöffel voll aus einer kleinen Plastikdose und kippen das Pulver auf schwarzes Tonpapier. Dann machen sich 23 Kinder daran, zu erklären, wie das Pulver riecht, welche Geräusche es auf dem Tonpapier macht, wie es aussieht. Die Schüler, verpackt in Schutzmäntel und mit Schutzbrillen auf der Nase, nehmen ihre Sache ernst.
Zwei Aufkleber und ein Poster an den Wänden klären darüber auf, wer diesen praxisnahen Unterricht ermöglicht: die Bayer Science & Education Foundation. Die Stiftung des Leverkusener Pharmariesen hat Anfang 2010 einmalig 2500 Euro in die Ausstattung des »Forscherlabors« der Grundschule gesteckt. Ineos, ein Chemieunternehmen mit Sitz in Worringen, hat einmalig 3500 Euro bezahlt und wird nun pro Schuljahr 1500 Euro hinzusteuern.
Die Zusammenarbeit der GGS An den Kaulen mit der Wirtschaft ist ein Beispiel von vielen. Die GGS Godorfer Hauptstraße etwa arbeitet mit Shell zusammen, die GGS Dellbrücker Hauptstraße mit dem TÜV Rheinland. Diese Kooperationen sind Teil des bundesweiten Projekts TuWaS. Dabei geht es darum, das Interesse von Grundschülern an Technik und Naturwissenschaften zu fördern. An TuWaS-Initiativen ist in Köln und Umgebung neben Ineos, Shell, TÜV Rheinland auch RWE beteiligt.
Projekte wie TuWaS entstehen allerorts. Inzwischen finden sich immer weniger Schulen, die nicht gesponsert werden. »Partner für Schule NRW« meldete vor einem Jahr, dass 67 Prozent aller allgemeinbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen mit einem oder mehreren Unternehmen kooperierten. Die Stiftung, die 2003 von der rot-grünen Landesregierung und Konzernen wie Fujitsu Siemens, Microsoft und IBM gegründet wurde, strebt an, »privatwirtschaftliche Ressourcen und Engagement aus den Unternehmen für die Schulen des Landes nutzbar zu machen«. Als einen der Gründe für ihr Engagement gibt die Wirtschaft an, den Fachkräfte-Nachwuchs – vor allem den technisch und naturwissenschaftlich qualifizierten – von morgen sichern zu wollen.
Christa Thoben (CDU), bis Mitte 2010 Wirtschaftsministerin des Landes, erklärte vor einem Jahr, einhundert Prozent der Schulen mit einem Partner versehen zu wollen. Die Unternehmen könnten so »ihr Marktwissen in die schulische Arbeit einbringen und damit die Möglichkeit eröffnen, die Bildungsangebote darauf abzustimmen und zeitgemäßer auszurichten«, so Thoben. Die neue rot-grüne Landesregierung behält diesen Kurs bei.
Weder Schulleiter, noch Lehrer oder Eltern scheinen zu hinterfragen, ob es wünschenswert ist, dass der Unterricht zunehmend auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes ausgerichtet wird. Dankbarkeit ist die vorherrschende Haltung: Zu sehr sind die Schulen damit beschäftigt, den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden, zu sehr sind Lehrer auf die bessere Ausstattung angewiesen, zu sehr sind Eltern in Sorge darüber, ob sich das Kind mal auf dem Arbeitsmarkt behaupten können wird.
Kathrin Jung ist Lehrerin an der GGS An den Kaulen, sie hat die Kooperation mit Ineos vorangetrieben. »Wir haben jetzt ganz andere Möglichkeiten als früher«, sagt sie. Ineos-Mitarbeiter hätten kürzlich gemeinsam mit Viertklässlern eine Handlotion hergestellt, so etwas sei früher undenkbar gewesen. »Außerdem lernen die Schüler so auch, dass da drüben, bei Ineos, nicht alles gefährlich ist, und dass die auch sinnvolle Sachen machen«, erklärt Jung. Da gehört es dazu, dass die Grundschüler beim Tag der Offenen Tür bei Ineos ein Experiment vorführen. Schöne Pressefotos garantiert.
Nichts umsonst sind Spenden an Schulen ein beliebtes Instrument der Marketingabteilungen. Laut der Studie »Sponsoring Trends 2010« der Werbeagentur BBDO sagen Unternehmen dem Bildungssponsoring den größten Bedeutungszuwachs voraus, während Kunst- und Kultursponsoring in der Gunst sinken.
Schulsponsoring ist in allen Bundesländern erlaubt. Laut NRW-Schulgesetz, Paragraph 99, dürfen Schulen »zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Schulträger Zuwendungen von Dritten entgegennehmen und auf deren Leistungen in geeigneter Weise hinweisen (Sponsoring), wenn diese Hinweise mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule vereinbar sind und die Werbewirkung deutlich hinter den schulischen Nutzen zurücktritt.« Produktwerbung an Schulen handhaben die Länder unterschiedlich: Während NRW hier restriktiv handelt, ist Berlin großzügig.
Gerade Hauptschulen, denen die Schüler ausgehen und die sich profilieren müssen, bemühen sich um Kooperationspartner aus der regionalen Wirtschaft. Ihr Anliegen ist es, den Übergang von der Schule in den Beruf zu organisieren, in dem sie früh den Kontakt zu potenziellen Arbeitgebern herstellen und Praktika vermitteln. Ohne diese Anstrengungen bekommt kaum ein Hauptschüler einen Ausbildungsplatz.
Norbert Müller ist stellvertretender Vorsitzender der Lehrergewerkschaft GEW in Nordrhein-Westfalen. Auf Kooperationen zwischen Wirtschaft und Schule angesprochen, drückt er sich vorsichtig aus. Das Thema sei nicht ganz unkompliziert für die Gewerkschaft, »aber da hat sich eine Realität entwickelt«, stark forciert von unternehmensnahen Initiativen wie »Partner für Schule NRW«. In den vergangenen Jahrzehnten seien die Etats der Schulen nur minimal angehoben worden. »Für viele Schulen ist es daher attraktiv, den Etat mit Hilfe von Unternehmen aufzubessern«, erklärt er.
»Außerdem lernen die Schüler so auch, dass da drüben, bei Ineos,
nicht alles gefährlich ist, und dass die auch sinnvolle Sachen machen«
Kathrin Jung
Deutlicher kritisiert Müller, dass Lehrerseminare in ökonomischer Bildung oftmals einseitig seien. »Da haben wir ein Problem mit. Das sind nicht die ausgewogenen Angebote, derer es bedarf.« Die Referenten stammten oft aus Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden. So ist etwa die Arbeitsgemeinschaft SchuleWirtschaft, eng mit dem von Verbänden und Unternehmen finanzierten Institut der deutschen Wirtschaft verwoben, in der Fortbildung aktiv. »Das Land kommt hier seiner Verpflichtung nicht in hinreichendem Maß nach, dienstliche Fortbildungsmaßnahmen anzubieten«, beklagt Müller. Auch die Unterrichtsmaterialien entspringen oft der Feder arbeitgebernaher Institutionen, etwa die Hefte der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« zu Themen wie »Schlanker Staat« oder »Soziale Sicherung«.
Die Grundschullehrerin an der GGS in Worringen, die die Experimentierstunde leitet, sagt, sie habe Mathematik, Deutsch und Sport studiert, und daher »von Chemie überhaupt keine Ahnung«. Die eintägige TuWaS-Schulung an der Industrie- und Handelskammer hat ihr das nötige Wissen vermittelt. An einer Grundschule mag das noch nicht schlagend sein, denn es geht um simple chemische Tests. Es fragt sich aber, wie an weiterführenden Schulen, etwa in Wirtschafts- und Sozialkunde, über Atomenergie oder Chemieunfälle – Stichwort Wirtschaft und Verantwortung – unterrichtet wird, wenn RWE oder Bayer regelmäßig Geld aufs Schulkonto überweisen.
Weil die Not der öffentlichen Kassen größer geworden ist, habe sich die Wahrnehmung verändert, sagt Gewerkschaftsvertreter Müller. »Der Widerstand gegen Einflußnahme der Wirtschaft ist heute viel geringer als früher.« Gleichzeitig pocht die Politik stärker auf die »Eigenverantwortlichkeit der Schulen«, wie die Losung lautet. Schulen sollen mehr Freiheiten kriegen – aber nicht mehr Geld. Das sollen sie bei Dritten akquirieren. Die Frage nach dem Bildungssponsoring könnte dann eine neue Qualität erhalten: Als Obendreingabe mögen Spenden aus der Wirtschaft unbedenklich sein. Nicht hinnehmbar sind sie allerdings spätestens dann, wenn davon abhängt, ob Schulen den Unterricht gestalten können.