Gleich kracht’s: Mogwai, Foto: Steve Gullick

Andacht für Agnostiker

Mag ihre Musik bombastisch sein, Mogwai geben sich betont unprätentiös

Die Art, wie ­Mogwai sorgfältig Klang­malerei üben, kann beim einen oder anderen den Eindruck erwecken, es handle sich um einen ins Endlose gedehnten Filmsoundtrack. Aus der Idee, zuerst ein paar leise Töne anzuschlagen, um sie hernach gemächlich und kunstvoll zu einem mordsmäßigen Crescendo anwachsen zu lassen oder das Publikum durch abruptes Wechseln der Lautstärke und der Dynamik aus der Trance, in das man es eben noch versetzt hat, wieder herauszureißen, hat die schottische Gruppe ihre eigene Ästhetik gemacht. Die variiert sie nun seit fünfzehn Jahren. Mit ihrem orchestralen Bummbumm erinnert sie zuweilen an das Epische und Hymnische bestimmter Spielarten des Progressive Rock der 70er Jahre.

 

Barry Burns, seit 1998 Gitarrist und Keyboarder bei Mogwai, ist vor einiger Zeit von Glasgow nach Berlin gezogen, um dort gemeinsam mit seiner Ehefrau und einem Kumpel im Stadtteil Neukölln eine Eckkneipe zu erwerben und unter dem Namen »Das Gift« wiederzueröffnen. Was die vermutete Prog-Rock-Tradition angeht, widerspricht er vehement: »Diese Art Musik erscheint mir ziemlich pompös. Das ist nicht das, wofür wir stehen. Diese übermäßig selbstzufriedene und hoheitsvoll daherkommende Musik der späten 70er wurde zu Recht vom Punk weggefegt! Was das Crescendo angeht: Wir machen das nicht mehr so häufig. Aber es ist schon ein schönes Gefühl, wenn es zunächst friedvoll zugeht und dann plötzlich die Ohren völlig überfordert sind. Es ist wie ein Schock. Es hat auch eine vollkommen hypnotische Wirkung, wenn eine Zeit lang auf diese Weise gespielt wird.«

 

Tatsächlich mischen sich auch auf dem neuen Album »Hardcore Will Never Die But You Will« die bekannten Soundmuster und wehmutsvollen Klangtupfereien mit festlichen Gitarrenrockakkorden. Welche Rolle spielt Improvisation dabei? »Wir improvisieren auch, aber auf eine sehr dezente Art. Es kann etwa vorkommen, dass man plötzlich an sich bemerkt, dass man einen Song jeden Abend ein bisschen anders spielt. Ich vermute, das geschieht aus Langeweile. Jedenfalls aus keinem anderem Grund als dem, den eigenen Ohren zu schmeicheln. Wir hassen es, die Songs so zu spielen, wie sie auf dem Album zu hören sind. Ich meine: Wozu geht man denn zu einem Konzert?«

 

Die Instrumentalmusik Mogwais, die erkennbar Einflüsse vom Noise-Pop der Pixies oder von My Bloody Valentine zeigt, erweckt oft den Anschein, sie lege es darauf an, den Hörer einzulullen, ihn zu überwältigen. Man kann die Soundlandschaftsgemälde Mogwais feierlich oder weihevoll nennen, aber auch schwülstig oder pathetisch. Ist ihre Musik romantisch, konservativ? »Ich weiß nicht, was sie ist. Das ist mir jedenfalls zu verkürzt, es so zu sehen«, meint Burns. »Aus Gesprächen mit einigen Leuten weiß ich nur, dass sie, wenn sie unsere Musik hören, ganz bewegt sind, was mir freilich gefällt«, sagt er. »Alle in der Band haben extrem voneinander abweichende und sehr bunt gemischte Geschmäcker, was Musik angeht. Das bleibt nicht ohne Einfluss auf unseren Sound.«

 

Bei dem Gesang auf dem neuen Album fällt auf, dass er stark elektronisch verfremdet wurde. »Weil wir keine versierten Sänger und Texter sind, versuchen wir, die Stimme wie ein neuartiges Instrument klingen zu lassen«, teilt Barry Burns mit. »Wir mögen Vocoder überaus gern, weswegen wir dazu neigen, sie häufig zu verwenden. Seien wir ehrlich: Es möchte sowieso niemand den Unfug hören, den wir da singen.« Wie schon auf früheren Alben üblich, haben auch auf der neuen Platte manche Tracks merkwürdige Titel (»Gerorge Square Thatcher Death Party«, ), was einen zu der Annahme verleiten könnte, es gäbe in der Musik versteckte Botschaften. Oder ist ein Titel wie »You’re ­Lionel Richie« ironisch gemeint?

 

»Eine spezielle oder tiefere Bedeutung gibt es nie, in keinem unserer Songs. Aber wenn sie einen markanten Titel haben – anstatt schlicht ›Song Nummer Vier vom vierten Album‹ zu heißen –, dann ist es einfacher für uns, sie live zu spielen. Ironie gibt es in den Songs nicht. Wie sie heißen, ist wirklich nicht wichtig. Überdies haben wir tatsächlich keine ›Botschaften‹, die wir an die Menschen weitergeben möchten. Wir lassen lieber sie entscheiden, worum es in den Songs geht.« Man kann solche Aussagen, stammen sie von einem Rockmusiker, als erfrischend betrachten: Wir können nicht singen. Wenn wir singen, singen wir Unfug. Unsere Musik hat keinen Inhalt. Wir haben nichts zu sagen. Barry Burns jedenfalls erweckt nicht gerade den Eindruck, als nehme die Band sich besonders wichtig. Musik scheint hier eher als ehrliches Kunsthandwerk gepflegt zu werden, dem man mit Passion nachgeht.

 

Ein frühes Konzert von Mogwai, dem ich vor dreizehn Jahren beiwohnte, als die Combo noch durch vergleichsweise kleine Clubs tourte, belehrte mich darüber, dass es erstaunlicherweise auch starrsinnigen Agnostikern wie mir möglich ist, religiöse Erfahrungen zu machen. Da standen ein paar in dunkle Kleidung – ich meine, es seien Trainingsanzüge der Marke »Kappa« gewesen – gewandete Teenager auf der Bühne, die gerade erst dem Kinderzimmer entwachsen zu sein schienen. Doch die Art und Weise, in der sie mit ihren Instrumenten verfuhren, hatte etwas von der Akribie und Ernsthaftigkeit, wie sie für gewöhnlich Schmetterlingssammlern oder Feinwerktechnikern zu eigen ist. Zärtlich wurde da auf einem Glockenspiel ein bisschen Klingklang gemacht, bevor schließlich, nach einem wohlberechneten Moment völliger Stille, bombastische Gitarren nach und nach allmählich eine undurchdringliche Wall of Sound errichteten. Nicht wenige im Publikum standen, wie von religiöser Inbrunst ergriffen oder in einen plötzlichen Trancezustand versetzt, steif und schweigend da und lauschten verzückt, als nähmen sie an einer Andacht teil.

 

Tonträger: Mogwai, »Hardcore Will Never Die But You Will« (Pias UK/Rock Action Records/Rough Trade )