Animation nach realem Vorbild: Protestierende im Iran

»Bei Menschenrechten gibt es keine Seiten«

Mit The Green Wave hat der Kölner Ali Samadi Ahadi einen genresprengenden Film über die Protest­bewegung im Iran gemacht. Ein Gespräch über Widerstand aus dem Exil und die Grenzen der Objektivität

StadtRevue: Jede Besprechung von »The Green Wave« gibt dieselben Filme als Bezugspunkte an ...

 

Ali Samadi Ahadi: ... »Persepolis« und »Waltz with Bashir«. Das sind hervorragende Filme, aber für mich komplett andere Baustellen. Ich verwebe Realwelt mit Animation und mache aus Interviews, Handymaterial und Hochglanzaufnahmen eine Collage. Wir mussten außerdem ganz anders arbeiten, weil wir nur drei Monate Zeit hatten und nicht drei Jahre.

 

Auch Richard Linklater hat reale Schauspieler als Grundlage für seine Animationsfilme benutzt. Sie setzen eine ähnliche Technik ein, um authentisches Material ohne Gefährdung eines Zeugen verwerten zu können.

 

Mir fallen dazu die jüdischen Künstler ein, die aus Nazi-Deutschland nach Amerika fliehen mussten: Bevor sie später bei Marvel die Superhelden zeichneten, hatten einige tatsächlich einen jüdischen Comic-Helden erfunden, der gegen die Nazis kämpft. Aus dem Exil heraus haben sie ein Medium geschaffen, mit dem sie einer Diktatur begegnen konnten.

 

Ihre Montage des Materials ist sehr subjektiv. Inwieweit ist das noch dokumentarisch?

 

Dokumentarfilm ist eine künstlerische Ausdrucksform und somit Ausdruck einer Haltung: Jede Frage, jede Art der Formulierung, die Perspektive, die Musik – alles ist subjektiv. Aber hier finde ich die ewige Objektivitätsforderung besonders abstrus: »Warum zeigt Ihr nicht die andere Seite?« Bei Menschenrechten gibt es keine Seiten! Als ob die Friedensnobelpreisträger und UN-Menschenrechtsaktivisten in meinem Film die »eine Seite« seien. Ihr Wunsch nach Veränderung ist mit Kugeln beantwortet worden. Das darf so nicht zur Debatte stehen, erst recht nicht, wenn, wie im Iran,   Menschrechte, Demonstrationsrecht und so weiter in der Verfassung verbrieft sind. Wenn Du am Kairoer Tahrir-Platz filmst, wie Kamelreiter mit Macheten durch die Leute preschen, kannst Du auch nicht nach der »anderen Seite« fragen. Da sind Macheten, die auf Köpfe hauen!

 

Es gibt auch kaum offizielle Bilder oder Stimmen.

 

Trotzdem heißt es: In den Dörfern ist nicht demonstriert worden. Entschuldigung, welcher Staatswechsel, welche Revolution hat denn in Lehmhütten stattgefunden? Die Leute sind in Bussen nach Teheran gefahren, um zu demonstrieren. Als die Wende kam, hörte man von Leipzig und Berlin und mit Glück auch von Dresden, aber was in Frankfurt/Oder und Oberniederwalde war, davon wusste man nichts. Da hieß es auch nicht: Vielleicht will die Mehrheit gar nicht die Wiedervereinigung, und die Berliner haben Unrecht. Obwohl, wer weiß – vielleicht war es so. (lacht)

 

Es gibt neben verwackelten Handy-Bildern auch ungewöhnlich professionelle Aufnahmen. Wie haben Sie das Bildmaterial aus dem Iran beschafft?

 

Die Frage war, entweder hinzufahren oder mit Leuten zusammenzuarbeiten, die für uns Bilder machen. Beides kam aus Sicherheitsgründen nicht in Frage, aber es gab Leute, die während der Ereignisse gedreht hatten. Wir haben Material von Associated Press verwendet und auch aus dem Iran selber Bilder herausbekommen.

 

»The Green Wave« zeichnet ein sehr romantisches Bild einer jugendlichen Protestbewegung. Was ist davon geblieben?

 

Im ganzen Nahen und Mittleren Osten sind die Folgen zu spüren. Diktaturen bauen auf zwei Faktoren: Informationskontrolle und Gewalt. Der erste ist ihnen entglitten, weil die Menschen sich nicht nur besser informieren per Internet und Satellitenschüssel, sondern mittlerweile selber Informationen generieren. Geblieben ist das Monopol der Gewalt. Dass die Bevölkerung sich davon nicht mehr einschüchtern lässt, haben wir bei den gewaltlosen Demonstranten gesehen. Man kann ein so großes Land nicht allein mit Hundertschaften kontrollieren. Irgendwann kommt der Moment, in dem man die Menschen braucht. Dann ist die Frage, ob die Menschen die Politik noch brauchen.

 

Ihr Film emotionalisiert das exil-iranische Publikum sehr stark, bei der Kölner Premiere waren in kürzester Zeit die Taschentücher vergriffen. Was könnte er außerhalb der Community bewirken?

 

Im Iran könnte er Diskussionen anfachen, etwa über die Gewalt  der Bassidji, der Milizionäre. Für die Exil-Community, die sich nicht mehr mit dem Iran von heute identifiziert, haben diese Proteste etwas freigelegt, das 30 Jahre fast verschüttet war: Der Begriff »Heimat« – lange Zeit für sie ein Fantasiegebilde – wurde durch die Grüne Bewegung wieder fassbar. Das hat viele nach langer Zeit wieder zusammengebracht. Und für das nicht-iranische Publikum im Westen stellt sich aktuell die Frage: Was ist seine Haltung gegenüber Menschen wie Mubarak und Chamenei? Wie soll man mit solchen Systemen umgehen? Merkel hat den ägyptischen Präsidenten früher als guten Freund bezeichnet – heute ist es nicht mehr so gemeint?

 

Ihr Film lief im Januar auf dem amerikanischen Sundance-Festival, wird er auch offiziell irgendwo im Nahen Osten zu sehen sein?

 

Kein Filmfestival aus der Region wollte »The Green Wave« haben. Die Strukturen sind ja überall gleich: Es gibt einen Diktator, der an der Macht festhält und dann gibt es junge Leute, die Mehrheit, die eine Veränderung herbeirufen wollen. Das ist in Tunesien und Ägypten nicht anders als im Iran, in Saudi-Arabien oder Kuwait. Und der Prozess wird wohl auch andere Regionen erfassen.